Die Neuseeländische Premierministerin hielt vor einigen Tagen eine Rede, in welcher sie den freien Meinungsaustausch mit einer Kriegswaffe verglich. Die Rede war sehr verschachtelt verfasst, doch aus Sätzen wie „Wie beendet man erfolgreich einen Krieg, wenn Leute dazu gebracht werden zu glauben, der Grund für dessen Existenz sei nicht nur legal sondern nobel? Wie packt man den Klimawandel an, wenn die Leute nicht glauben, dass er existiert? Wie sichert man die Menschenrechte Anderer, wenn diese hasserfüllter und gefährlicher Rhetorik und Ideologie ausgesetzt sind?“ und „Die Waffen mögen anders sein, doch die Ziele derer die sie verwenden sind meistens die Selben“, ist die einzig mögliche Folgerung dass der freie Meinungsaustausch als etwas gefährliches gelten muss, und die Lösung, welche Frau Ardern „ihnen heute nicht mitteilen kann“, unweigerlich über die Eingrenzung dieses Menschenrechtes führt. (Es ist hierbei aufschlussreich, dass Frau Ardern irgend ein Menschenrecht nicht gekränkt oder beleidigt zu werden erträumt, dieses aber dem anerkannten Menschenrecht auf freie Meinungsäusserung entgegenstellt.)

In anderer Sache, wenn man auf Google nach dem sozialen Netzwerk „Gab“ sucht, welches sich dadurch auszeichnet, alle Äusserung zu erlauben welche nicht gesetzlich unterbunden ist, und somit den freien Meinungsaustausch in seiner grössten Fülle praktiziert, so findet man den Wikipedia-Auszug, welcher im ersten Satz erwähnt, diese Plattform sei für seine „rechtsextreme“ („far-right“) Nutzerbasis bekannt, und das vierte Resultat beinhaltet im Titel „Ein Blick auf die rechtsextreme social-media Plattform“.

Es scheint, überall wo heute noch Meinungsfreiheit herrscht, wird eventuell das Etikett „rechtsextrem“ verpasst. Die grossen sozialen Medien sind deshalb immer fleissig dran, das, was sie nach ihren unklaren und subjektiven Kriterien als „Hass“ verstehen, zu unterbinden. Dass dann plötzlich mal einige Werbeträger sich von Twitter zurückziehen, weil ihre Werbung in die nähe von pädophilen Inhalten gelangt war, kann schon passieren. Immerhin war es keine Hassrede.

Logischerweise werden sich auf den wenigen Plattformen, wo tatsächlich freier Meinungsaustausch praktiziert wird, in grösserer Proportion Inhalte finden, welche gerade ausserhalb des Spektrums befindet, welches die grossen Plattformen und Medien zulassen. Die Gesetzgebung ist allerdings, obgleich es immer schwierig ist, exakt abzugrenzen, generell recht klar bezüglich dessen, was gesagt werden darf, und was nicht. Doch dass deshalb solche Plattformen von Medien, Politikern und sonstigen einflussreichen Stimmen kurzerhand etikettiert werden, zeugt davon, dass der freie Meinungsaustausch zu etwas gesellschaftlich inakzeptablem wandelt. Er wird reflexartig mit Rechtsextremismus und sonstigem für die Mehrheit ungemütlichem Gedankengut (z.B. Verschwörungstheorien) in Verbindung gebracht. Dies ist so weit gekommen, dass es inzwischen eher tolerabel ist, sich, wie Frau Ardern, offen für eine systematische Zensur und Inhaltskontrolle auszudrücken, wenn auch noch in leicht verschleierter Rede, als für die glorreiche Errungenschaft der freien Meinungsäusserung. Mit welchem Recht kritisiert man Autokratien, wo es explizit keine solche freie Äusserung gibt, wenn man doch für die eigene Gesellschaft das gleiche ersehnt? Etwa weil man es auf Grundlage von wandelbaren, allumfassenden Konzepten von „Hassrede“ usw. tut, als ob sich dahinter nicht ebenso eine Ideologie versteckt, wie in Russland wo man die „spezielle Militäroperation“ nicht als Krieg bezeichnen darf?

Wenn die freie Rede zum Problem wird, weil sie zulässt dass auch rechtsextreme Sachen gesagt werden, dann ist zu befürchten, dass genau diese Auffassung bald auf die Demokratie überschwappt, wie wir es ansatzweise bereits erleben. In Deutschland wird die AfD üblicherweise als rechtsextrem bezeichnet, und die Forderung, sie zu verbieten, ist geläufig. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung betitelt einen Artikel von 2020 mit „Die AfD verbieten? Das ist kein Politikersatz“, im Untertitel folgt dann aber der seltsame Satz: „Die AfD muss weiter politisch bekämpft werden.“ Es ist ein seltsamer Satz, weil es wider dem Konzept einer parlamentarischen Demokratie ist, dass eine Partei einerseits gesetzlich zugelassen ist, aber zugleich „bekämpft werden“ müsse. Ist es nicht Sinn und Zweck der Demokratie, den Willen des Volkes zu repräsentieren? Bedeutet es dann nicht, dass das „Bekämpfen“ dieser Partei einem Kampf gegen einen Teil des Volkes gleichkommt? Natürlich ist die demokratische Politik immer die Auseinandersetzung zwischen Ansichten, Interessen, Ideologien, usw., und jeder möchte, dass hierbei die eigenen vorneweg sind, doch gleichzeitig erfordert die Demokratie auch den Respekt vor dem Willen der Mehrheit sowie der Entscheidung des Individuums.

Wird der Vorsatz akzeptiert, dass die AfD „bekämpft“ werden muss, als handle es sich um ein Problem, einen Schädling, dann bedeutet das auch, dass aus dieser Sicht das ganze demokratische System fehlerhaft ist, da es zulässt, dass solche zu bekämpfenden Parteien überhaupt in der Politik tätig sind. Warum verbietet dann das Gesetz dann diese Partei nicht, und wenn es sie nicht verbietet, warum meint jemand, diese Partei hätte keine Daseinsberechtigung oder wieso wird das Gesetz nicht geändert, wenn es die Mehrheit so wünscht? Was wäre, wenn einstmals die AfD eine absolute Mehrheit erreichen sollte? Wäre das Land dem Untergang geweiht, einer neuen Nazi-Diktatur, einem Völkermord, dem Faschismus, einem totalitaristischen Unrechtsstaat? Es ist eine einfache Übung in Logik: Entweder, das System funktioniert korrekt, und folglich muss man die AfD als legitime Partei respektieren, so sehr man auch nicht mit ihr einverstanden sein mag; oder aber das System funktioniert nicht, da es eine Partei zulässt, die nicht legitim sein dürfte und eine Gefahr für das Land darstellt. Es ist ganz offensichtlich ein Paradox, welches hier vor sich geht, und von vielen Menschen scheinbar nicht unter einen Hut gebracht werden kann: Man will nicht das System als fehlerhaft sehen, aber auch nicht die AfD als legitim.

Die Wahlen in Italien, wo ebenfalls eine solche gefährliche, „rechtsextreme“ politische Gruppierung an die Macht gekommen ist, haben dieses Paradox veranschaulicht. Das ZDF bringt eine grossartige Schlagzeile: „Nach Melonis Wahlsieg in Italien: Journalist Berizzi: Schwächung der Demokratie“. Der Tagesspiegel betitelt: „Nach Melonis Wahlsieg: Ist der Faschismus zurück? Ja, aber“. Die TAZ schreibt: „Wie stoppt man Postfaschisten?: 'Eine militante Demokratie tut not'“. Es muss erwähnt werden, dass es auch Schlagzeilen gibt, die sich bewusst gegen diesen Trend stellen. Trotzdem ist es von Bedeutung, dass das Resultat einer demokratischen Wahl auf solche Art aufgenommen wird. Es ist vielleicht utopisch zu meinen, man könne eine Wahl stets mit stoischer Akzeptanz als den Willen des Volkes annehmen, trotzdem aber sollte es ein gewisses ideal bleiben, dass man diesen Willen respektiert, auch wenn man keineswegs damit einverstanden ist, und möglicherweise eine negative Auswirkung für das Land daraus erwartet. Wenn die Mehrheit das Land z.B. durch eine irrationale Energiepolitik zu einem Strommangel und exorbitanten Strompreisen verdonnern wollte, so wäre es schliesslich doch der Wille der Mehrheit.

Ebenso wie es mit dem freien Meinungsaustausch geschieht, entwickelt sich die Auffassung der Demokratie in die Richtung, dass man sie nur noch gut findet, so lange dabei etwas raus kommt, was man selber gut findet. Das ist aber nicht die Grundidee der Demokratie. Es ist lediglich die Vertretung des Volkes. Darüber, ob das dann alle gut finden, hat niemand etwas gesagt. Es gibt dann allenfalls gesetzliche Eingrenzungen, wie es sie auch bei der freien Rede gibt. Die sind klar definiert, und dafür gibt es auch eine Gewaltenteilung, worin die Judikative (idealerweise) unabhängig von der Legislativen prüft, dass alles gesetzlich korrekt verläuft. Die Idee, eine Partei politisch zu „bekämpfen“, ist abstrus.

Folglich ist zu erwarten, dass die Entwicklung der Auffassung der Demokratie ähnlich zu der der freien Meinungsäusserung verläuft. Innert weniger Jahren wurde hier erreicht, dass Zensur erwartet wird, dass hohe Politiker sich für die systematische Kontrolle der Meinungsäusserung aussprechen, und dass die Abwesenheit solcher Mechanismen reflexartig zu einer Wahrnehmung von etwas Radikalem, Gefährlichen, „Rechtsextremen“ führt. Vor allem ist dies möglich, indem, wie es in der Postmoderne üblich ist, die Fassade des ursprünglichen Wertes erhalten wird: Es ist nicht die Meinungsfreiheit an sich die eingeschränkt wird, sondern das Spektrum dessen, was nicht gesagt werden darf, welches ausgebreitet wird.

Die Demokratie würde sich dann auch in diesem Sinne entwickeln: das Spektrum der unzulässigen politischen Ausrichtung wird immer weiter ausgebreitet, und folglich die zulässigen Ansichten immer enger definiert, indem Parteien, die ausserhalb dieses Spektrums liegen von den anderen Parteien sowie von Medien und sonstigem Druck „bekämpft“ werden, bis schlussendlich alle Parteien praktisch die gleichen Ansichten und Ideologien hegen, allenfalls mit unbedeutenden kosmetischen Unterschieden. Dies wäre die perfekteste aller Autokratien, nämlich die, mit einer makellosen Fassade von liberaler Demokratie, worin viele bunte Parteien existieren, die aber alle genau die selbe Ideologie vertreten. Echte Demokratie, hingegen, ist rechtsextrem.

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