Demokratie und Technokratie; oder was man will und was man sagt, zu wollen

Zu beteuern, wie sehr die Politik wider der Wissenschaft agiert ist zu einem ermüdenden Mantra geworden, egal, aus welcher Seite des Spektrums die Lamentation kommt, und egal, wie sehr sie nun tatsächlich zutreffen mag oder nicht. Es ist ermüdend aus dem einfachen Grund, dass solche Behauptungen einfach eine wichtige Grundsatzfrage ausser Acht lassen: Warum sollte die Politik überhaupt gemäss der Wissenschaft handeln? Der Auftrag der Politik ist es, dem Willen des Volkes zu folgen, nicht der Wissenschaft bzw. dem, was sich zumal als Wissenschaft aus gibt.

Eine Regierungsform, welche in erster Linie technischen oder wissenschaftlichen Kriterien folgt, nennt sich Technokratie. Eine Regierungsform, worin die Regierung vom Volk gewählt wird, und gemäss dem Willen von diesem handeln nennt sich Demokratie. Zwei relativ einfach zu verstehende Konzepte.

Im öffentlichen Diskurs wird das Wort „Technokratie“ fast nie verwendet, und seltener noch in einem positiven Licht. Das Wort „Demokratie“ hingegen wird konstant verwendet, und als eines der grössten Heiligtümer der sog. „freien Welt“ behandelt. Zugleich aber, wird immer wieder die Forderung gestellt, dass die Regierung der Wissenschaft folgen soll. Man hat es während der sog. „Pandemie“ erlebt, und das findet nun nahtlosen Anschluss zur sog. „Klimakrise“. Aber es taucht auch anderswo auf, z.B. beim sog. „Atomausstieg“ Deutschlands. Es ist wahrlich seltsam, dass mit solcher Vehemenz verlangt wird, was im Grunde eine Technokratie wäre, und folglich gegen das Wesen eines der höchsten Werte unserer Gesellschaft geht, nämlich der Demokratie.

Es scheint, man möchte also einerseits die Demokratie haben, aber zugleich dass die Politik technokratisch handelt. Ein Schelm würde sagen, dass dieser Gegensatz ein Symptom der gesellschaftlichen Verdummung ist, da diese unfähig wird, zu begreifen wie ihre selbst auferlegten Mechanismen funktionieren. Der Autor dieses Textes sagt, es ist ein Symptom der postmodernen Abwendung vom Rationalismus: Man möchte einen bestimmten Wert hochhalten, ohne aber dessen Konsequenzen zu akzeptieren.

Worum es sich letztlich handelt, ist um eine Diskrepanz zwischen dem, was gewollt wird, und dem, was vorgegeben wird, gewollt zu werden. Hierzu muss verstanden werden, und viele verstehen es nicht (oder sind nicht fähig, es zu verstehen), dass die Sprache nur eine Darstellung von etwas ist. Man bedenke z.B. die Symbolik, die im Alltag verwendet wird: Diese vermittelt eine Bedeutung, indem der Empfänger der Symbole entweder die Bedeutung durch einen logischen Prozess ableitet, oder im Vornherein weiss, was sie bedeuten. Beim Symbol für Strahlung ist die Bedeutung weitgehend bekannt, ist allerdings bildlich abstrakt und kann somit nicht abgeleitet werden. Dieses Symbol kann folglich nur einen Sinn haben, wenn man sich darauf einigt, was es bedeutet. Würde man es anderswo benutzen, um zu signalisieren, dass heisse Würstchen verschenkt werden, würde dies wenig Erfolg haben, da niemand diese andere Bedeutung des Symbols verstehen würde. Ein Missverständnis: Diskrepanz zwischen dem, was ausgedrückt werden will, und dem was tatsächlich verstanden wird.

Mit Worten verhält es sich im Grunde ähnlich: Wir wissen, was sie bedeuten, weil wir die Sprache im Vornherein kennen. Wer die deutsche Sprache kennt, weiss, dass „Gift“ eine Substanz mit ungesunder Wirkung beschreibt. Wer aber Englisch spricht, versteht unter „Gift“ ein Geschenk. Keine der Bedeutungen ist an sich richtig oder falsch, sondern hängt vom Kontext ab, eben ob man Englisch oder Deutsch spricht. Wenn jemand auf Englisch ein „Gift“ verlangt, aber auf Deutsch verstanden wird, dann könnte das ein tragisches Ende nehmen. Der Grund dafür, ist die Diskrepanz zwischen dem, was gemeint ist, und dem, was verstanden wird.

Bei den o.g. Proklamationen über Demokratie verhält es sich zumal ähnlich, indem eine Diskrepanz entsteht zwischen dem, was gesagt wird, und dem was gemeint wird. Dies ist also ein Problem von Menschen, die der Sprache, die sie verwenden, nicht vollends mächtig sind: Sie sagen eine Sache, aber meinen eine Andere. Insofern hatte der Schelm nicht unrecht, als er auf die Volksverdummung hinwies. Allerdings sind auch die Absichten miteinzubeziehen: War im vorherigen Beispiel klar, was gemeint war, und was verstanden wurde, so liegt hier nun das Problem darin, dass solche Personen selber nicht wissen, was sie wollen. Sie meinen etwas zu wollen, nämlich die Demokratie, aber tatsächlich wollen sie etwas anderes, nämlich die Technokratie.

Es liegt hier auch ein Problem über das Verständnis der Sprache selber zu Grunde: Die Sprache ist nur der Bezeichner für etwas, was bezeichnet wird. Die Sprache kann etwas bezeichnen, was gar nicht ist, oder was anders ist, als die Sprache vorgibt. Wie zum Beispiel, wenn der Bezeichner „Demokratie“ ist, aber nicht Demokratie bezeichnet wird, wie sie generell verstanden wird, sondern eben etwas bezeichnet wird, was üblicherweise „Technokratie“ genannt wird. Um das Verständnis wegen sollte man also das übliche und allgemein verstandene Wort „Technokratie“ benutzen.

Die Sprache kann verschleiern, was tatsächlich gewollt wird; eine Vorgabe darstellen, die nicht wahrhaftig ist. Dies kann zum Beispiel geschehen, weil eine Idee oder ein Wert hoch geschätzt wird, ihre Umsetzung aber nicht immer gefällig ist. Zum Beispiel, wenn eine Gesellschaft das Konzept der „Demokratie“ hoch schätzt, gar als fundamentale politische Legitimierung versteht, viele Leute jedoch gar nicht das wollen, was die Demokratie tatsächlich bedeutet: Nämlich dass man dem Willen des Volkes folge leistet, und stattdessen lieber wollten, dass nur nach wissenschaftlichen Vorgaben regiert wird.

Insofern hatte vielleicht der Autor des Textes eher Recht als der Schelm, nämlich dass es nicht die Verdummung an sich ist, die dieses Phänomen heranführt, sondern lediglich die Leichtigkeit, etwas zu sagen, was positiv entgegengenommen wird, ohne den Zwang, auch dem, was gesagt wird, tatsächlich zu entsprechen.

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