„Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.“
Aus der Bergpredigt
Es ist immer wieder abstrus zu beobachten, wie links-progressive Strömungen in weiten Teilen der westlichen Welt teils fast schon unangefochtene zeitgeistliche Dominanz geniessen, jedoch trotzdem nicht davon weg kommen, sich als Opfer und Rebellen zu sehen, als einen noblen David der gegen einen boshaften, tyrannischen rechts-konservativen Goliath kämpft. Aussenstehende können nicht anders als sich fragen, ob es den Mitläufern dieser politischen und kulturellen Ausrichtung nicht eventuell auffallen sollte, dass sie alles andere sind, als der Widerstand; dass sie die einflussreichsten Prominenten und Kulturschaffenden, die mächtigsten Grosskonzerne und Medien auf ihrer Seite oder zu ihren Füssen haben.
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Doch würde diese offensichtlichste aller Tatsachen anerkannt, wäre es womöglich ein coup de grace gegen diese ganze ideologische Bewegung, deren Identität fundamental darauf beruht, der unterdrückte Aussenseiter zu sein. Für den Progressivismus war es die grösste Tragödie, zum herrschenden Zeitgeist geworden zu sein. Es raubte ihm die Opferrolle, welche als zentrale moralische Legitimierung fungiert, und zwang ihn dazu, diese Opferrolle als Fiktion aufrechtzuerhalten.
Es hat etwas menschliches, in einem Konflikt mit dem Unterlegenen stärker zu mitzufühlen, als mit dem Überlegenen, schon aus der einfachen Betrachtung, dass der Unterlegene, wenn er ein Unrecht erlebt, sich nicht durchsetzen werden kann. Ist der Grund für den Konflikt somit legitim, so geschieht niemandem ein Unrecht, ist er aber illegitim, so geschieht dem Unterlegenen ein Unrecht. Dem Überlegenen kann logischerweise nicht das Unrecht widerfahren, da er ja überlegen wäre. Dies erklärt womöglich die Tendenz, dem Unterlegenen eher eine moralische Position zuzusprechen, als dem Überlegenen. In dubio pro reo, sagt der Lateiner.
Das erlösende Leiden ist vor allem im Katholizismus sehr präsent, und wird als Bezug zur Passion Christi verstanden. Das progressivistische Denken, mit seiner materialistischen Abneigung zur Religion (dem „Opium des Volkes“), findet so paradoxerweise einen direkten Bezug zu einem archaischen Konzept des christlichen Glaubens.
Es ist emotional sehr bequemlich, dem Unterdrückten inhärente moralische Überlegenheit zuzuschreiben, ohne seine tatsächliche Position zu betrachten. Im postmodernen Denken, welches sich oft nach der Emotion orientiert, nimmt diese moralische Überlegenheit des Opfers dogmatische Züge an, und die moralische Überlegenheit wird an die Opferrolle gebunden: Nur wer ein Opfer ist, kann moralisch überlegen sein.
Das Resultat ist ein Phänomen, das der Volksmund die „Opferolympiade“ nennt, der konstante Wettlauf, sich zum unterdrückten Opfer einer systemischen Ungerechtigkeit zu stilisieren. Eine bizarre Situation, denn vernünftig gedacht würde niemals jemand ein Opfer von Ungerechtigkeit sein wollen; und wenn diese Opferposition letztlich solche Vorteile bringt, dass man sich danach sehnt, so wäre die Bezeichnung eines „Opfers“ ja nicht mehr zutreffend.
Mit dieser Art der kolportierten Viktimisierung wird letztlich emotionale Erpressung betrieben: Man soll sich nicht getrauen, diese unterdrückten Opfer irgendwie zu benachteiligen oder gar zu kritisieren, da man sonst ein erbarmungsloser Unmensch ist, der mit seinem Handeln nur nach unten tritt. Im Gegenteil, diese Opfer verdienen eine Wiedergutmachung in Form von Vorzugsbehandlung.
Mit dieser perversen Manipulation bahnt sich der Progressivismus seinen Weg, indem er die menschliche Empathie wie auch die westlichen bzw. christlichen Auffassungen von Gnade, Mitleid und Gerechtigkeit schamlos ausnutzt, wodurch diese Tugenden zermürbt werden und die Gutmütigkeit der Gesellschaft eigennützig ausgehebelt wird. So zeigt sich auch, dass hinter dieser allgegenwärtigen Opferrolle im Grunde nichts anderes steckt, als seelische und moralische Verdorbenheit.