Der moralische Universalismus folgt der Auffassung, dass es moralische Prinzipien gibt, die universell gültig sind. Hierbei stellt sich einerseits die Frage über die Herkunft dieser moralischen Prinzipien, aber auch über die Legitimierung davon. Es sind Fragen, die aber nur selten angegangen werden, wohl wegen der Schwierigkeit, sie entsprechend der universalistischen Auffassung befriedigend zu beantworten, und der folglichen kognitiven Dissonanz darüber, dass die moralische Grundlage, die man für absolut hält, ins wanken gerate.

Es ist ironisch, dass der moralische Universalismus der Epoche der Aufklärung entstammt: denn das Wesen der Aufklärung war die Rationalität sowie die Infragestellung der bis dahin geltenden Dogmen; jedoch wird der moralische Universalismus heute selber als Dogma gehandhabt und nicht rational hinterfragt.

Die Aufklärung wird zumal mit einem Aufblühen des Säkularismus und auch Atheismus verbunden, und nicht wenige aufgeklärte Denker beschrieben sich selber als Atheisten, in einer Zeit, wo dies noch als einschlägig politisch inkorrekt galt. Doch es war gerade die damalige Universalität des christlichen Glaubens, welche die unumgängliche Grundlage für den moralischen Universalismus bildete. Moralische Auffassungen, die dem Christentum entstammten wurden, im Fehlen einer alternativen Vorstellung (da fremde Kulturen nur sehr bedingt präsent waren und grundsätzlich als minderwertig angesehen wurden) als universell verklärt.

Ein praktisches Beispiel hierfür ist im berühmten Präambel der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten zu finden, welche im Zuge aufgeklärter Ideale verfasst wurde und zu einer indirekten Grundlage der später definierten Menschenrechte werden sollte: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht*, dass alle Menschen gleich erschaffen worden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräusserlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freiheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.“ *Wobei hier mit „ausgemacht“ der Wortlaut „self-evident“ übersetzt wird.

Während zwar noch eine explizite Erwähnung des „Schöpfers“ vorzufinden ist, wird diese laizistisch, ohne Bezug auf eine Kirche oder gar eine konkrete Religion gehandhabt, was die universalistische Auffassung bezüglich der Schöpfung aufzeigt. Christen, Juden, Moslems, und jeder sonstige monotheistische Glaube wären in diesem Begriff eines Schöpfers miteinbezogen. Trotzdem werden die moralischen Grundsätze noch immer als göttlich vorgegeben verstanden, und der Schöpfer, mittels der Vorgaben, welche im christlichen Glauben zu finden sind, folglich als moralische Legitimierung verstanden.

Moralischer Objektivismus

Kant geht einen Schritt weiter und versucht eine Moralvorstellung zu definieren, welche in sich selbst legitimiert sei, ohne die Notwendigkeit einer höheren Vorgabe. Hierfür prägt er das Konzept des kategorischen Imperativ: Die Vorgabe, dass man auf eine Art und Weise handeln sollte, welche man auch als universelle Vorgabe oder Gesetzt einverstanden wäre. Dies ist an sich eine kohärente Idee, kann jedoch wiederum nicht die Subjektivität dieser Moralität überwinden. Meinte jemand, dass der Stärkere über die Schwächeren verfügen sollte, so wäre es dem kategorischen Imperativ folgend angemessen, so lange wie er selber bereit ist, sich vor dem Stärkeren zu fügen. Jedoch stünde eine solche Vorstellung in direktem Widerspruch mit den universalistischen Moralvorstellungen.

Der kategorische Imperativ dient zwar als ein System von inhärenter Kohärenz, ist jedoch nicht dazu geeignet, konkrete, objektive moralische Vorgaben zu definieren. Jede moralische Vorstellung ist gültig, so lange wie sie dem kategorischen Imperativ entsprechend kohärent angewandt würde.

Der moralische Universalismus muss zwingend davon ausgehen, dass Moralvorstellungen im Kern dem Menschen innewohnen, gleich einem angeborenen Instinkt, sodass in diesem Kontext der kategorische Imperativ ausreichend sei, als dass diese inhärente Moralität universell umgesetzt würde.

Obgleich gewisse menschliche Verhaltensweisen, welche als moralische Handlung klassifiziert werden können, tatsächlich instinktiv zu sein scheinen und in unterschiedlichen Kulturen und Epochen konsistent auftreten (z.B. ob man Mitmenschen Schaden zufüge oder die Treue breche), so ist die Vorstellung, dass es instinktiv eine komplexe Moralvorstellung gäbe, welche über solches zwischenmenschliches Verständnis hinaus ginge nur schwer tragbar: Die Betrachtung unterschiedlicher Kulturen und Zeitalter deutet auf gar allzu extreme Unterschiede in den Moralvorstellungen.

Der moralische Universalismus könnte diese kognitive Dissonanz nur in Form einer selbsterfüllenden Prophezeiung umgehen: Alle Kulturen und alle Zeitalter, in welchen nicht nach den heute geltenden moralischen Vorgaben handelten, handelten wider der inhärenten Moralität und dem kategorischen Imperativ, und die Tatsache, dass der moralische Universalismus erreicht worden sei, weist nach, dass die Moralität zu diesen Werten tendiert. Jedoch würde selbst diese Ansicht einer Legitimierung, welche über den eigenen Vorsatz dieser Moralvorstellung hinaus geht, entbehren, was auch bedeuten würde, dass jede später aufkommende Moralvorstellung ebenso instinktiv und legitimiert sei. Somit wäre diese Argumentation lediglich auf eben der Grundlage valide, dass sie sich auf die ohnehin herrschenden Moralvorstellung bezieht.

Legitimierung der Moralität

Nebst der Frage über den Ursprung der Moralvorstellung ist die, nach der Legitimierung, gar noch bedeutsamer, zumindest im Kontext einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung bezüglich geteilter moralischer Grundlagen. Die Weiterführung des kategorischen Imperativs ist die Definition dieser moralischen Grundlagen, welche universell geltend gemacht werden und auch als Grundlage für die Gesetzgebung dienen.

Es stellt sich die einfache Frage, wieso nunmehr einer konkreten moralische Auffassung diese Rolle der geteilten moralischen Grundlage zustehen sollte, d.h. was der legitimierende Faktor dafür ist. Eine einfache Legitimierung, welche sicherlich in fast allen Gesellschaften in gewissem Mass zur Anwendung kommt, ist die demokratische Legitimierung: Eine moralische Auffassung gilt, weil sie von der Mehrheit der Gesellschaft geteilt wird. Doch auch hier führt diese Betrachtung keine objektiven moralischen Werte mit sich: So lange die Gesellschaft sich einig wäre, wäre sie legitimiert, wider den Werten des moralischen Universalismus zu handeln.

Hierin ist auch der Denkfehler in der quasi-religiösen Erhebung der Demokratie als höchste gesellschaftliche Legitimation zu finden: Es sollen moralische Grundlagen geltend gemacht werden, welche auch demokratisch nicht zu umgehen sind, jedoch ist die Legitimierung dieser Grundlagen in sich selber demokratisch. Die vom moralischen Universalismus vorgespiegelte Idee, dass es objektive moralische Grundlagen gibt, schwappt so auch in das gesellschaftspolitische Feld hinüber.

Diese demokratische Legitimierung kann somit eine legitime Moralvorstellung erbringen, jedoch nur im Rahmen einer subjektiven Moralität, welche an die jeweilige gesellschaftliche Moralvorstellung gebunden ist. Eine demokratisch legitimierte Moralität stünde in unüberwindbaren Widerspruch zu einer objektiven Moralität, da sobald die Gesellschaft die Werte dieser objektiven Moralität beiseite legen sollte, diese auch nicht mehr legitimiert wären. Eine objektive Moralität muss jenseits subjektiver Auffassungen zu legitimieren sein.

Die christliche Moralität ist insofern eine objektive Moralität, dass sie, natürlich nur innerhalb des Rahmens des christlichen Glaubens, Gottgegeben ist. Der Christ hat allerdings bereits infolge der Aufklärung den Schritt getätigt, welchen der Universalist noch scheut: Er anerkennt, dass andere seinen Glauben nicht unbedingt teilen müssen, obgleich dieser für den Christen eine Realität darstellt. Somit akzeptiert er auch, dass er nicht die Legitimität hat, seine Moralvorstellung universell geltend zu machen.

Der Universalismus verhält sich im Grunde exakt wie eine Religion: Er geht davon aus, dass gewisse moralische Grundsätze universell und objektiv sind, weil sie es einfach sind; er sieht nicht die Notwendigkeit sie jenseits einer vermeintlichen Vernunft zu legitimieren. Ebenso wie in der Phrasierung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung sollen diese Grundsätze selbstevident sein und deshalb auch nicht weiter zu argumentiert. Die objektive Moralität des moralischen Universalismus hängt einzig und allein von dieser mutmasslichen Selbstevidenz ab, welche nicht nachgewiesen oder logisch argumentiert werden kann.

Moralität als subjektiv verstehen

Das Festhalten an der Vorstellung einer objektiven Moralität ist sicherlich auf die Bequemlichkeit einer endgültigen Antwort in Fragen der Moralphilosophie zurückzuführen. Wird akzeptiert, dass es keine objektive und absolut legitimierte Moralität gibt, so muss jede moralische Frage relativistisch angegangen werden: moralisch oder unmoralisch sind Werte, die nur innerhalb eines jeweiligen Rahmens geltend gemacht werden können. Das bedeutet vor allem, dass die Verantwortung bezüglich der moralischen Betrachtung auf den Menschen zurückfällt, ohne die Konvenienz, diese Verantwortung von sich weisen zu können.

In einem Zeitalter wie dem jetzigen, welches weitgehend von Dogmatismen und intellektueller Mutlosigkeit geprägt ist, wo unkonventionelle Ansichten vorangehend mit Misstrauen gesehen werden und blossen Äusserungen eine geradezu alchemistische Macht zur Generierung von Gewalt zugesprochen wird, ist es auch zu erwarten, dass der Diskurs begehrt, sich an einen moralischen Dogmatismus zu heften, welcher einen klaren Rahmen der Moral vorgibt, welchem man sich konformistisch unterordnen kann.

Jedoch ist gerade der moralische Absolutismus ein wesentlicher Treiber für Konflikte, da er Standpunkte zeugt, welche sich nicht als individuelle Ansichten in Funktion von Interessen und subjektiver Moralität sehen, sondern als absolute moralische Vorgaben, gegen welche zu verstossen auch ein Verstoss gegen die moralischen Grundlagen darstellte. Während erstere Ansichten folglich den Erfordernissen für Kompromisslösungen wandelbar sind, sind letztere monolithisch und unnachgiebig. Sie verhärten jeden persönlichen, gesellschaftlichen oder politischen Konflikt bis hin zu einem Konflikt um die Essenz einer transzendentalen Moralität.

Die Vorstellung einer subjektiven Moralität generiert die Angst eines moralischen Zerfalls, was allerdings nur dem Trugschluss obliegt, dass eine Moralität, die absolut und objektiv gehandhabt wird, die moralischen Werte einer Gesellschaft eher erhalten würde. Jedoch ist genau das Gegenteil der Fall: Wird die Moralität als absolut und objektiv gesehen, so wird kein Versuch unternommen, diese aktiv zu erhalten, sondern es wird auf eben diese vermeintliche Festigkeit vertraut, während hingegen der Zeitgeist kontinuierlich an den Grundlagen dieser Moralität nagen wird, sobald ein beträchtlicher Teil der Gesellschaft diese Grundlagen nicht mehr teilt und entsprechend ihre Legitimität in Frage stellt.

Wird Moralität hingegen als subjektiv verstanden, so wird der Erhalt moralischer Grundlagen unweigerlich zum Teil des öffentlichen Diskurses, wodurch die daraus resultierende Moralvorstellung immer aufs Neue eine Legitimierung erfährt. Zugleich erlaubt dieses Verständnis eine besonnenere Betrachtung von Konfliktsituationen, sowie auch pragmatischere Lösungsansätze, welche möglicherweise moralisch nicht so vollkommen sind, aber dafür realistischer in ihrer Umsetzung. Denn der endgültige Beweis für die Vergeblichkeit einer objektive Moralität liegt schlussendlich darin, dass jegliche Moralität nur dann in der Praxis umgesetzt wird, solange sie vom Menschen getragen wird.

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