„Was gibt es also, was man als wahrhaftig ansehen kann?“, schreibt Rene Descartes, „womöglich nur, dass nichts vollkommen gewiss ist.“ Descartes, einer der frühen aufgeklärten Denker, definierte das, was man methodischen Zweifel nennt, die Auffassung, dass an allem gezweifelt werden sollte, was dem Irrtum unterliegen könnte. „Nicht die Neugierde, nicht die Eitelkeit, nicht die Betrachtung der Nützlichkeit, nicht die Pflicht und Gewissenhaftigkeit, sondern ein unauslöschlicher, unglücklicher Durst, der sich auf keinen Vergleich einläßt, führt uns zur Wahrheit“, schrieb später Hegel.
Die Suche nach einer Wahrheit, und vorangehend nach einer Methode die zumindest eine Annäherung an eine Wahrheit erlaubt, ist ein Pfeiler des aufgeklärten Denkens, und obgleich uns das heute banal erscheinen mag, war es einst ein revolutionärer Ansatz gegenüber dem Dogma, der Auffassung die nicht angezweifelt werden darf. Vielleicht weil dieser kulturelle Bruch so weit zurückliegt, haben wir seinen Wert vergessen, so, wie wir auch die Güte anderer einst revolutionären Inzeptionen und Erfindungen, das elektrische Licht, fliessendes Wasser, oder gar Schrift und Papier, oftmals vergessen – bis sie uns einstmals fehlen.
Die eigenen Ansichten und die vermeintlichen Erkenntnisse, die man über unsere komplexe Realität hegen könnte, sind es, gemäss Descartes, sicherlich wert, ebenfalls angezweifelt zu werden, da sie auch dem Irrtum unterliegen könnten. Auch wenn wir uns der Güte des aufgeklärten Denkens, welche die Periode von grösstem geistigen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt der Menschheitsgeschichte herbeiführte, noch nicht haben entledigen wollen, kommen Ursachen auf, diesen cartesischen Zweifel ausser Acht zu lassen, angefangen bei unserer angeborenen, instinktiven Trägheit für jede Anstrengung (ein evolutiver Reflex, übrigens, um kostbare Energie nicht zu verschwenden). So bietet sich in unserer informationsüberfluteten Gesellschaft gerne mal an, diesen Prozess des Zweifels und der Dialektik jemand anderem zu überlassen, jemanden, den man vielleicht für klüger hält als sich selbst, um dann seine Folgerungen kurzerhand zu übernehmen. Das ist gleichwohl nichts neues, Kierkegaard schrieb einst schon: „Es gibt viele Leute die wie Schulkinder ihre Rückschlüsse über das Leben erreichen; sie täuschen ihren Meister indem sie die Antworten aus einem Buch kopieren, ohne selbst die Rechnung gemacht zu haben.“
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Andere nehmen die Tatsache, dass ihre Ansicht weit verbreitet ist, als Nachweis ihrer Korrektheit, als handle es sich um den sog. „Publikumsjoker“ bei „Wer wird Millionär“, in der Hoffnung, dass eine Ansicht, die von vielen Menschen geteilt wird, unwahrscheinlicherweise falsch sein wird. Doch was, wenn ein grosser Teil dieser Menschen, selber aus dem selben Grund diese Ansichten hält? Wieder andere hingegen geben sich voll und ganz ihrer ursprünglichen, tierischen Natur hin, und bilden ihre Ansichten danach, was ihnen am bekömmlichsten ist. „Gut ist, was mir gefällt.“ Zugegeben, es erspart viel Mühe, jegliches abstrakte Denken so zu umgehen.
Inzwischen scheint es, dass viele Leute keine Lust oder kein Interesse mehr daran haben, diesen Prozess des Zweifelns nachzugehen, aus einer oder mehrerer solcher Ursachen. Denn selbst wenn man mit Tatsachen konfrontiert würde, welche die eigenen Ansichten in Frage stellen, so kann man diese auch kurzerhand als Propaganda oder fake news abtun, und am besten obendrauf den Gegenüber als Schwurbler, Putin-Versteher oder Rechtsextremen bezeichnen. So kann man sich selber davon überzeugen, dass dessen Behauptungen keiner Beachtung bedürfen.
Dabei sollte man sich allerdings fragen, ob nicht jemand, dessen Ansichten viel weniger geläufig sind als Andere, womöglich selber einer grösseren Anstrengung beim Zweifeln nachgegangen ist und deshalb diese Ansicht erlangt hat, sodass er von seiner Erkenntnis auch überzeugt genug ist, sich der Verachtung der Mehrheit auszusetzen, und nicht, dass ihm das Gehirn gewaschen wurde (per „Fernwäsche“, wohlgemerkt), er einer vermeintlichen Propaganda verfallen sei (die allerdings recht schwer zu finden ist, da sie von keinem grösseren Medium oder bekannten Persönlichkeit verbreitet wird) oder einfach nur dumm ist. Würde jemand der dumm ist, nicht eher eine weitläufige Meinung übernehmen, da ihm die Kapazität für das komplexe Denken und damit dem Zweifel fehlt? Sind nicht die Dummen die ersten, die auf einen Betrug hereinfallen, weil man ihnen einen grossen Gewinn verspricht? So müssten dann auch bei den Ansichten die Dummen grundsätzlich dazu neigen, beliebten Ansichten zu folgen, da diese den Gewinn von Zustimmung mit sich bringen.
Obwohl, andererseits ist ja eigentlich kaum zu erwarten, dass wer seine eigenen Ansichten anzweifelt, diese manichäischen, hochpeinlichen Ausflüchte anzweifeln würde.