Die spanische Sprache hat allerlei interessante Sprichwörter, die oftmals von grosser Alltagsweisheit zeugen. So gibt es ein Sprichwort, das sich übersetzen lässt als „Ratschläge verkaufe ich, für mich aber habe ich keine“. Das ähnlichste Äquivalent auf deutsch wäre vielleicht „Tu, was ich sage, nicht was ich tue“, aber es ist zu plakativ, es hat nicht diese einfache, metaphorische Poesie, dieses Bild das heraufbeschworen wird, von jemandem der allseits Ratschläge verteilt, aber selber nicht fähig ist, selber seine eigenen Probleme zu lösen, und wo man sich folglich fragen sollte, ob man auf die Ratschläge einer solchen Person hören sollte. Es ist ein Sprichwort, das immer wieder in den Sinn kommt, wenn man dieser Tage unsere europäische Grossfamilie ein wenig betrachtet. Denn es scheint, man habe für jedes Problem in dieser Welt die passenden Ratschläge und Belehrungen, nur mit den eigenen Problemen weiss man nicht so recht, was man da tun soll.

Es soll ja angeblich mal Zeiten gegeben haben, wo das Üben von Kritik eine lobenswerte Tugend unserer Kultur gewesen sein soll, wo die immerwährende Betrachtung und Kritik dessen, was unsere Gesellschaft als zusammenhängende Einheit unternahm, also das, was man Politik, Verwaltung und Bürokratie nennt, etwas respektables, ja gar notwendiges gemeint wurde. Es mag wohl sein, als die Probleme einst grösser wurden, und die Geister kleiner, dass diese Kritik nicht mehr gefiel. Wenn man keine gescheiten Antworten auf eine Kritik hat, kommt ja meistens nur noch irgend eine Nachrede.

In einer solchen Situation würde man meinen, dass etwas mehr Bescheidenheit angemessen wäre, nicht in der Weltgeschichte herumzurennen, um anderen zu sagen was sie tun und lassen sollen. Erst recht, wenn man selber den Tiefpunkt erreicht hat, dass jegliche Kritik mit Unterstellungen von Propaganda, Radikalismus, Manipulation und sonstigen Etikettierungen erwidert werden muss. Der plumpe Versuch, hierdurch Kritik zu Annullieren, ist, ebenso wie die Notwendigkeit, konstantes Gesinnungsbekenntnis abzulegen, ehe man eines der annullierenden Etikette abbekommen sollte, welches einen aus jeglicher Debatte ächtet und als dialektisch vogelfrei deklariert, etwas, was man einst als definierendes Merkmal totalitaristischer Gesellschaften einordnete.

Es mag uns geschehen sein, wie dem metaphorischen Frosch im Kochtopf, welcher nicht bemerkte, wie das Wasser immer wärmer wurde, bis er dann plötzlich gekocht wurde. Und man kann nur annehmen, dass die konstante Moralpredigt im Grunde weniger den Zweck hat, Andere von etwas zu überzeugen, wie nicht uns selber zu leugnen, dass wir genau zu dem geworden sind, was wir an den Anderen beklagen. Eine einfache Frage sollten wir uns, in aller Ehrlichkeit, hierzu beantworten: Können wir für unser eigenes Dasein wirklich einstehen, dafür, dass wir wirklich den Idealen folgen, die wir anderswo predigen, ohne dass wir zu eben dieser Art von Ausflüchten greifen müssen? Im Moment ist das zu bezweifeln.

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A. M. Berger

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