Da ist sie wieder, die Zeitumstellung. Fast keiner begreift es, die Wenigsten finden es gut, eine grosse Mehrheit hält es für unsinnig und nervig. Doch aus völlig unverständlichen Gründen wird daran festgehalten. Und selbst wenn es einen nachweisbaren Sinn hätte: Sind wir nicht demokratische Gesellschaften, in welchen das Volk als Souverän die Entscheidungsmacht hat? Dann wäre das ja allenfalls ein technokratisches Diktat.
Man kann nicht sagen, dass die EU oder auch die verschiedenen europäischen Staaten (EU und nicht EU) unfähig seien, flott zu handeln: Das Verbrennerverbot wurde durchgewunken obwohl eine Mehrheit dagegen ist, von den unberechenbaren Auswirkungen einer solchen planwirtschaftlichen Massnahme mal abgesehen. Auch die Zwangssanierung von Liegenschaften hat die EU ohne grössere bedenken bezüglich der Rechtssicherheit angenommen. In Frankreich hat Macron sich der Möglichkeit bedient, die Rentenreform ohne parlamentarische Debatte durchzupreschen. Von den unzähligen rechtlichen Anpassungen für die vielen Corona-Verordnungen der letzten Jahre mal abgesehen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Doch wenn es um ein Anliegen geht, welches vielleicht nicht so weltbewegend, aber trotzdem störend und extrem unbeliebt ist, hat die Politik plötzlich Tonfüsse. Und man kann nicht wirklich behaupten, dass diese sich halt vor allem mit wichtigen Themen auseinandersetzen wollen, denn der Vorschlag einer Nachnahmen-Reform scheint immerhin wichtig genug, ebenso war es die Einführung des “dritten Geschlechtes”, welches in der Schweiz debattiert letztlich Beiseite gelegt wurde, in Deutschland aber umgesetzt wurde um ganzen 374 Menschen zu erlauben, dieses dritte Geschlecht zu wählen.
Solche Sachverhalten lassen ziemlich klar ersehen, dass es der demokratischen Politik, welche den mehrheitlichen Willen des Volkes umsetzen sollte, nicht besonders darum geht, dieser Aufgabe nachzugehen. Manche Entscheidungen werden unter Berufung auf höhere technokratische Ziele wider dem Willen der Bevölkerung getroffen, anderswo werden offensichtliche Verlangen der Bevölkerung einfach ignoriert. Muss erst eine anti-Zeitumstellungs-Partei gegründet werden, damit man an der Urne den Wunsch ausdrücken kann, diese sinnlose Erfindung endlich auszusetzen?
Die Frage bleibt, was dann der eigentliche Treiber für politische Entscheidungen ist, wenn es nicht der mehrheitliche Wille des Volkes ist. Betrachtet man die Entscheidungen, welche von der Politik als Bedeutsam gesehen werden, so sieht man dass es wenig Korrelation zur Nachfrage der Wählerschaft gibt, wohl aber eine markante Korrelation zu themen, welche im öffentlichen und medialen Diskurs eine grosse Prominenz besitzen. Sie sind somit als Produkte von diesem, und nicht des gesamtgesellschaftlichen Empfinden zu deuten.
Der öffentliche Diskurs ist an sich nicht demokratisch. Mainstream-Medien sowie Politiker und sonstige Prominenz haben eine um ein vielfaches lautere Stimme als normale Bürger. Es ist somit ein aristokratischer Diskurs der sich auf gewisse privilegierte Gesellschaftsschichten und Organisationen begrenzt. Zugleich potenzieren sich Narrative dieses öffentlichen Diskurses selber: Wenn eine Person von begrenzter Relevanz, z.B. ein Akademiker oder jemand der professionell mit dem jeweiligen Thema auseinandersetzt Ansichten ausdrückt, welche diesem Narrativ entsprechen, so ist es wahrscheinlicher dass seine Ansichten nun amplifiziert werden, während man diejenigen, die kritische Meinungen hegen, eher verstummen lässt.
Der Zeitgeist ist nichts anderes als der Geist bzw. die Grundgedanken dieses öffentlichen Diskurses, welche in der Gesellschaft Fuss fassen. Dies bedeutet keineswegs, dass diese Gedanken akzeptiert sind, jedoch bedeutet es, dass sie als akzeptiert wahrgenommen werden, egal ob sie es tatsächlich sind oder nicht. Die Politik unterwirft sich diesem Zeitgeist, weil es bequemer ist, als den tatsächlichen Verlangen und Erwartungen der Wählerschaft nachzugehen. So ist das Resultat, dass die Politik weitgehend unbeliebte Entscheidungen treffen wird, weil sie der Auffassung folgt, dass es eigentlich weit verbreitete Auffassungen sind, während die Wählerschaft diese Entscheidungen akzeptiert, weil sie ebenfalls meint, dass es weit verbreitete Auffassungen sind.
Die Politik, indem sie sich nicht mehr die Mühe machen möchte, die Bedürfnisse ihrer Wähler zu identifizieren, wird zum Sklaven des Zeitgeistes, und damit auch zum ausführenden Arm einer dialektischen Aristokratie, dieser privilegierten Klasse, welche das Anrecht hat, sich am öffentlichen Diskurs zu beteiligen, und nun auch das Schicksal der Gesellschaft diktiert.