Über den Wolken mit Ex-Profisportler Tobias Schiegl

Die Glaskuppel gibt den Blick nach oben frei. Blauer Himmel, etwas Hochnebel. Im Inneren gefühlte 40 Grad. Direkt vor mir die Instrumententafel. Unzählige Schalter und Anzeigen. In der viersitzigen Maschine wird es immer wärmer. Ob ich flugtauglich bin? Mit dieser Frage hat alles begonnen. Es ginge um eine Reportage über Tobias Schiegl. Ehemaliger Rennrodler. Zweifacher Weltmeister, dreifacher Vizeweltmeister im Doppelsitzer. Und jetzt leidenschaftlicher Flieger. Der Motor springt an, nach dem dritten Versuch, sehr vertrauenserweckend. Der Lärmpegel steigt in dem Ausmaß wie die Temperatur sinkt. Tobias sitzt neben mir. Weiße Schildkappe. Spiegelsonnenbrille. Charmantes Lachen. Die Maschine oder besser das Maschinchen rollt auf die Startbahn. Gras. Einige Sekunden später sind wir in der Luft. Im neuen bevorzugen Lebensraum von Tobias.

Spritztour für den Job

Vor zwei Wochen war er noch in Hawaii. Surfen. Und natürlich fliegen. Vier Wochen Auszeit vom Rodelalltag. Ja richtig Rodelalltag. Auch wenn Tobias Schiegl nach den Olympischen Spielen 2010 seine Rennkarriere an den Nagel gehängt hat, dem Rennrodelsport ist er treu geblieben. Er macht, wie er es ausdrückt, „die Techniksachen beim Verband.“ Ist verantwortlich für das Material. Momentan steht Materialbeschaffung an. Heute Nachmittag geht es noch nach Vorarlberg. Dornbirn. Natürlich mit dem Flieger. Die Schalen werden heute fertig, morgen werden sie schon in Tirol benötigt. „Mit dem Auto wäre das eine Tour in die Nacht hinein. Mit dem Flieger eine kleine Spritztour, die auch noch Spaß macht. Und so ganz nebenbei brauche ich die Flugstunden für meinen Flugschein.“

Zehn Minuten für die Zukunft

Das Fliegen hat ihn immer schon interessiert. Dass er dann wirklich den Pilotenschein gemacht hat, war eine 10-Minuten-Entscheidung. Wie alle anderen Rennrodler war er während seiner aktiven Zeit beim Bundesheer. Mit dem Karriereende war auch das vorbei. Sein Glück, das Bundesheer finanziert im Ausmaß der Zugehörigkeit eine Ausbildung. Auf die Frage, was er denn machen wolle, sagt der Langkampfner leichthin: „Ein Pilotenschein wäre cool.“ Es folgt ein Gespräch mit Fly West. „Wobei ich eigentlich nur ratschen wollte.“ Die Aussage, dass er Glück habe, weil morgen ein Kurs in Kundl startet, setzt ihn unter Zugzwang. Nach zehn Minuten sagt er zu.

„Eigentlich bin ich vom Rodeln das Risiko gewohnt, aber bei meinem ersten Alleinflug hab ich mir gedacht – irre, die lassen dich ein Flugzeug fliegen.“

Risiko unter Kontrolle

Die Kollegen meinen nur „Na servus, wenn DU jetzt fliegst.“ Was das heißen soll, will ich wissen, wohl wissend, dass ich ihm dort im Flieger mein Leben anvertraue. Tobias lacht laut. „Beim Rodeln geht es um Geschwindigkeit und Risiko. Da probierst du beim Fahren schon einmal etwas herum. Im schlimmsten Fall landest du im Eiskanal. Probieren geht in der Luft nicht, da ist kontrolliertes Risiko angesagt. Aber wenn du über 20 Jahre riskierst und probierst, ist das eine Umstellung.“ Schon etwas sagen wir einmal irritierend, solche Aussagen kurz vor dem Start zu hören. Beruhigend ist hingegen, dass Tobias in der Rodelsommerpause zwei bis dreimal die Woche abhebt, seit vier Jahren. Der Langkampfner Landeplatz mit den Senioren, die den Tower betreuen, ist ihm dabei richtig ans Herz gewachsen.

Die Sucht nach der Sucht

Der Kaiser hüllt sich in Wolken. Nur die Gipfel ragen majestätisch heraus. Die Maschine schwebt über den Wolken. Selbst jetzt, als Tobias mir den Steuerknüppel überlässt und ich uns in Richtung Hohe Salve dirigiere. Ein atemberaubendes Gefühl. Langsam verstehe ich, was Tobias meint, wenn er sagt: „Fliegen macht süchtig.“ Genauso wie Rodeln. Ob es ihm fehlt? Nachdenklich wiegt Tobias den Kopf. „Es ist ein komisches Gefühl, wenn du neben der Bahn stehst. Ein ganz anderer Rhythmus.“ Zum Rennort fahren, morgens aufwärmen, einmal runter rodeln, Kaffee trinken, den anderen zuschauen, ein wenig am Material rumwerkeln, rodeln. Jahrelang war das sein Alltag während der Saison. Das erste mal neben der Bahn, kommt ihm alles einfach nur seltsam vor. Bis es regnet. „Da habe ich mir gedacht, hier stehen ist weitaus besser als runter zu rodeln.“

Und täglich grüßt das Murmeltier

Recht strikt ist sein Plan aber auch jetzt. The same procedure as every day – könnte man fast sagen. Von Oktober bis Februar heißt es um sechs raus, frühstücken und dann ab an die Bahn. „Du stehst an der Bahn, machst Korrekturen für 14 Leute, gehst Mittagessen, richtest die Rodeln für und mit allen, dann stehst du wieder an der Bahn, um am Abend bis elf wieder die Rodeln herzurichten.“ Unterbrochen wird der Rhythmus nur an den Wochenenden, aber nicht durch Freizeit, sondern durch die Rennen und die Weiterreise zum nächsten Rennort.

„Im Hintern viel Gefühl“

Ich komme mir vor wie beim Betrachten einer Modelleisenbahnanlage. Surreal sticht das Pendlinghaus aus der Wolkendecke hervor. Das Grün der Wiesen und Bäume scheint von hier heroben viel intensiver. Der Blick auf das Inntal wird frei. Mir fällt Rainhard Mey ein „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.“ Von Freiheit war während Tobias aktiver Zeit nicht viel zu spüren. Nach drei Wochen Rennpause startete die Trainingssaison. Allein zweimal täglich 2,5 Stunden trainieren. Von Montag bis Freitag. „Das schöpft dich aus. 140 bis 150 kg Bankdrücken und -ziehen. Durch die schweren Gewichte tun dir die Gelenke weh. Aber Rodeln ist ein Kraftsport. Je stärker du bist, umso schneller ziehst du beim Start raus. Und du brauchst viel Gefühl im Hintern.“ Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. Tobias schmunzelt. „Du musst spüren, wo du angasen kannst in der Kurve. Ich hatte einmal 95 Kilo, da hast du kein Gefühl mehr im Hintern.“

Einmal Schaukeln bitte

Mein Blick ist vermutlich recht ratlos, denn Tobias holt zur ultimativen Rodelkurvenerklärung aus. „Der Unterschied zwischen einem guten und einem richtig guten Rodler ist wie beim Schaukeln.“ Jeder hat es als Kind gelernt. Füsse vor, Oberkörper zurück, wenn du den höchsten Punkt beim Schaukeln erreicht hast. Passt das Timing, kommt man höher hinauf, passt es nicht, wird das Schaukeln zum Gehampel. Beim Rodeln ist es ähnlich. „Du musst den Punkt spüren, wo du den Schub mit dem Körper unterstützen kannst. Triffst du den Punkt, wirst du schneller.“

Die Zeit nutzen – Nackt übern Golfplatz

Das extreme Training hat Tobias ad acta gelegt. „Wenn du über 20 Jahre täglich im Kraftraum trainierst, kannst du kein Training mehr sehen. Aber die Zeit danach habe ich noch ausgenützt.“ Tobias schmunzelt spitzbübisch als er mir erklärt, dass die Maximalkraft nach drei Wochen Training weg ist, die Ressourcen vom jahrelangen Training aber zwei Jahre anhalten. Wettzeit. Triathlon in Walchsee. Vor zwei Jahren. Mit einem Kollegen vom Rodelverband, der Schwimmer ist, wettet Tobias, dass er im Schwimmen schneller ist. Heimlich trainiert er mit einem Schwimmtrainer. Wetteinsatz: Der Kollege rennt das 9er Loch am Walchseer Golfplatz, wenn Tobias ihn schlägt. Nackt. „Wir sind zusammen losgeschwommen. Irgendwann gekeuchte er, Tobi, das ist zu schnell, das Tempo schaffen wir nicht. Ich habe nur geantwortet: ich hab doch noch gar nicht richtig angefangen zu schwimmen.“ Grinsend meint er, dass das die Sachen sind, die man gleich nach dem Karriereende machen muss, solange noch Ressourcen da sind. Der Kollege rannte übrigens.

„Auf Hawaii habe ich vor den Haien Angst, das ist ja kein kalkulierbares Risiko.“

Augen zu und durch

Wir sind im Landeanflug. Tobias verspricht mir, dass ich die Landung verschlafen würde, wenn ich denn schlafen würde. Der Grund, seine Rodelkarriere. „Beim Rodeln musst du eine gute Übersicht haben, wie beim Landen. Du musst dir die Höhe genau einteilen und vorplanen, wann du wo bist. Beim Rodeln habe ich jahrelang nichts anderes gemacht, das liegt mir im Blut.“ Beruhigend ganz im Gegensatz zu seinem Nachsatz. „Fliegen ist kontrolliert, Rodeln sollte möglichst unkontrolliert sein. Das Ziel beim Rodeln, so wenig wie möglich zu schauen, sprich den Kopf aerodynamisch liegen lassen. Du musst riskieren nicht zu schauen, wenn du schneller sein willst. Fliegen ist dagegen ein kontrolliertes Risiko.“ Die Rollbahn des Langkampfner Flugplatzes kommt näher. Sekunden später berühren die Räder das Gras und ich muss Tobias recht geben. Ich hätte mit Sicherheit weitergeschlafen.

Zur Person

Die Naturrodelbahn in Langkampfen war die Wiege seines Erfolges. Mit sieben Jahren fährt Tobias Schiegl sein erstes Rodelrennen, schnuppert Rennluft. Als der Langkampfner ein Jahr später das erste Mal den Igler Eiskanal hinabsaust, ist seine Leidenschaft geweckt. Und es geht steil nach oben. Mit seinem Cousin Markus Schiegl wird er im Doppelsitzer unter anderem zwei mal Weltmeister und drei mal Vizeweltmeister. Seit er 2010 seine aktive Rennrodelkarriere beendet hat, geht er leidenschaftlich gerne in die Luft.

Text erschienen in:Kufsteinerin - Das Magazin

Foto: Christian Mey - VANMEY Photographie

mehr von mir zu lesen gibt es unter  www.adriane-gamper.com

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