Nasskalte Leiden(schaft) - ein Neoprenanzug, zwei "Irre" und 12°C Wassertemperatur

Versprechen muss man halten - auch bei 12°C

Eines ist er sicher nicht – ein Warmduscher. Ob er überhaupt warm duscht? Kaum vorstellbar. 292 mal hat Horst-S. Karrer allein in diesem Jahr den Hechtsee vom 5. April bis zum 4. November der Länge nach komplett durchschwommen – umgerechnet einmal die Strecke von Kufstein nach Wien. Und er hat nicht vor aufzuhören, es ist ja immerhin erst November.

Heuschrecke im Bauch

12 °C Wassertemperatur sind die Grenze, damit er den Hechtsee durchschwimmen kann. „Wir haben Glück!“ hat er am Telefon noch gemeint, „es sollte sich gerade noch ausgehen“. Ob man da von Glück reden kann, wage ich, nach dem ersten Wasserkontakt, zu bezweifeln.

Ich fühle mich wie vor etwa 10 Jahren als ich meine erste und sicherlich auch letzte Heuschrecke verspeist habe. Ich hatte es dem Koch versprochen! Damals habe ich mir geschworen, in Zukunft vor jedem Versprechen ganz besonders gut nachzudenken. Wieso mir jetzt die Heuschrecke einfällt, die dem Gefühl nach gerade mit einem höhnischen Grinsen eine Runde in meinem Bauch schwimmt? Weil sich 12°C auch im Neoprenanzug eiskalt anfühlen. Liegt vermutlich daran, dass der Anzug etwas zu groß ist und das Wasser vorne bei den Ärmeln hinein rinnt, vorbei an meinem Bauch und dann bei den Füssen wieder hinaus. Was musste ich Horst auch versprechen, heuer einmal mit zu schwimmen. Im Sommer war es mir immer zu kalt, aber versprochen ist versprochen. Horst strahlt über beide Ohren. Er ist in seinem Element.

Frieren für die Ausstrahlung

Vor zwei Jahren fängt Horst-S. Karrer Feuer. Eine Arbeitskollegin nimmt ihn mit zum Schwimmen am Hechtsee. Es ist Herbst, eigentlich nicht die ideale Zeit, um eine Seeschwimmkarriere zu starten. Aber er schwimmt weiter, obwohl es mit jedem Tag kälter wird. „Da bin ich einfach hineingeraten.“ Bei 12°C Wassertemperatur ist Schluss. Es ist zu kalt für ihn, um den Hechtsee der Länge nach zu durchschwimmen. Auf das Schwimmen deshalb verzichten? Nein! Er schwimmt einfach nur mehr die halbe Strecke. Das Schwimmen im Hechtsee wird zur absoluten Leidenschaft. Als Lehrer hat er einen durchlöcherten Arbeitstag. Die lange Mittagspause wird zum Schwimmen mit anschließendem Mittagessen im Hechtsee Restaurant genutzt. Im See entstehen schon einmal die Ideen für die nächsten Schul-Experimente. Die Vorbereitungen für den kommenden Unterrichtstag verlegt er in die Abendstunden. „Die Adrenalinausschüttung und das Gefühl etwas getan zu haben, verknüpft mit einem Essen danach – einfach perfekt. Du hast hinterher eine ganz spezielle Ausstrahlung.“

Wasserläuferdasein

Abgesehen von dem Kaltwasserstrom durch meinen Neoprenanzug, komme ich mir vor wie ein Wasserläufer. Hätte mir bitte irgendwer vorher sagen können, dass der Auftrieb durch so einen Anzug nicht klein, sondern riesig ist. Die Füsse unter Wasser zu bringen, grenzt bei jedem Schwimmzug an einen Kraftakt. Untergehen ist nicht möglich, schwimmen aber auch kaum. In den Schuhen ist soviel Wasser, dass ich mir sicher bin, der Seespiegel ist um mindestens 5 Zentimeter gesunken. Wenigstens habe ich auf die Neoprenhandschuhe verzichtet. Eine Tatsache, die ich allerdings spätestens nach 30 Minuten bereue. Mein Versuch, auf dem Rücken zu schwimmen, endet in einem kalten Wasserschwall, der sich über den Nacken seinen Weg dem Rücken entlang durch den gesamten Anzug macht. Da doch lieber Wasserkäfer spielen und die Beine irgendwie unter Wasser bringen.

Schwimmsaisonstart - Jänner

Die ideale Schimmtemperatur liegt für ihn bei 16 bis 18 Grad. Ist es wärmer, wird er zu schnell müde, dann gehen sich am Tag nicht fünf Durchquerungen aus, wie etwa Ende September. 292 Durchquerungen sind es in diesem Jahr bereits. Zu zählen angefangen hat er erst heuer, nachdem ihn letztes Jahr immer wieder Freunde fragen, wie oft er den See durchschwommen hat. Als er nicht einmal ansatzweise eine Antwort weiß, nimmt er sich für 2014 vor, jede volle Durchquerung zu zählen. Zum ersten Mal ist es am 5. April soweit. Wobei er auch im Jänner, Februar und März im Hechtsee unterwegs ist, aber temperaturbedingt nur ein Drittel der Strecke zurücklegt und das zählt für den Mann im See nicht. Bereits im April schwimmt er jedoch 21 Mal durch den Hechtsee. 300 Durchquerungen werden sich heuer knapp nicht ausgehen. Ihm ist das egal. Liegt es doch auch mit an seinem zweiwöchigen Jamaikaurlaub im Juli. Natürlich fährt er nicht zum Schwimmen nach Jamaika – Kultur, Land & Leute sind angesagt. Das Wasser ist ihm dort zu warm. Was auch sonst.

Verrückt? Ja sicher!

Die Sonnenstrahlen brechen sich glitzern in den aufspritzenden Wassertropfen vor mir. Horsts Tipp, die Sonne zu genießen, kann ich nicht viel abgewinnen. Vom Gefühl her habe ich gerade eine Schneeballschlacht ohne Handschuhe hinter mir. Einziger Hacken an der Sache: mehr als die halbe Strecke liegt noch vor mir. Es ist Freitag Nachmittag und die Stadtflüchtlinge spazieren in Winterjacken eingehüllt um den See. Wir haben das andere Seeufer erreicht. Auf den Steinen, die ins Wasser reichen, ist erst einmal eine kurze Rast angesagt. Das ältere Ehepaar auf der Parkbank schräg über uns, quittiert unsere Schwimmerei mit einem Lächeln, ihre Gedanken möchte ich besser nicht kennen. Ob ihn einige für verrückt halten? Horst lacht: „Ja! Aber es gibt deutlich unvernünftigere Sportarten. Skitourengehen im freien Gelände oder mit dem Rad auf den Großglockner hochstrampeln.“ Ansichtssache denke ich bei mir mit Blick auf das andere Seeufer und gleite wieder ins Wasser.

Einmal Fieber bitte

Seine Ziele am Hechtsee hat er heuer alle bei weitem übertroffen. Aber das eigentliche Highlight des Jahres kommt noch. Am 31. Dezember will er beim traditionellen Silvesterschwimmen am Achensee mitmachen. Wassertemperatur 4 °C, Distanz 50 m. Hier am Hechtsee legen wir bei unserer Durchquerung rund 1,5 Kilometer zurück. 1,5 eiskalte Kilometer, wie ich inzwischen bemerke. Ob er nächstes Jahr wieder zählt, um die 300 Durchquerungen zu schaffen? Horst zuckt mit den Achseln. „Wenn du zählst, dann planst du dein Leben rund um das Schwimmen, und das will ich eigentlich nicht.“ Denn letztlich will er nur eines: regelmäßig Schwimmen. Gelassener und ruhiger ist er durch sein Hechtseeschwimmen geworden. Für seine Tätigkeit als Lehrer ideal. Und vor allem er ist nicht mehr verkühlt. „Ich glaube es ist gut für den Körper, weil er alles verbrennt, was er zu verbrennen hat und je kälter es ist, desto mehr. Teilweise habe ich danach sicher eine erhöhte Temperatur. Es ist wie die Reinigung durch ein Fieber, nur in dem Fall kurz und kontrolliert und das muss einfach gesund sein.“ Ob nicht doch auch ein gewisser Kick mit dabei ist? Er grinst verschmitzt: „Natürlich!“

Bermuda gegen Winterjacke

So sehr ich Horsts Gesellschaft schätze, bei der ersten Treppe in der Badeanstalt bin ich draußen. Normalerweise braucht Horst eine Stunde. Heute hat es länger gedauert. 1 Stunde 15 Minuten. Wir schieben es auf meinen Neoprenanzug. Rein optisch sind meine Finger noch da, nur gehorchen wollen sie mir nicht mehr. Den Knopf meiner Jeans schließen? Unmöglich. Vielleicht trägt Horst auch deshalb nach dem Schwimmen nur ein T-Shirt, eine Bermuda und Sandalen. Ich hingegen bin nicht einmal jetzt bei Kaffee und Kuchen gewillt meine Winterjacke auszuziehen. Der Restaurantbesuch gehört dazu, nach jeder Durchquerung wohlgemerkt. Bei fünf Längen sitzt er dann eben fünf mal hier, erzählt er mir und nimmt genüsslich ein Stück von seiner Bananentorte. Ich versuche einstweilen meine Finger an meiner Kaffeetasse zu wärmen, vergebens.

Weihnachten im See

Man kennt ihn hier im Seestüberl. Kein Wunder bei den regelmäßigen Besuchen. Und er kennt sie auch, seine Mitstreiter. Denn Horst ist nicht der einzige, der dem Hechtsee in der kalten Jahreszeit die Treue hält. Auch, wenn sich die einen oder anderen in der kälteren Jahreszeit dann auf Meditieren im Wasser umstellen, vorheriges Eishacken inklusive. Letztes Jahr hat er am 2. November mit dem Schwimmen aufgehört. Bis zum Heiligen Abend. Während andere ihre letzten Einkäufe im vorweihnachtlichen Shoppingwahnsinn tätigen, zieht es ihn hinauf zu seinem See. Es ist ein schöner Wintertag. Und in ihm beginnt ein einziger Gedanke zu reifen. Wieso nicht?! Eine dünne Eisschicht liegt am See. Kein wirkliches Hindernis. Und so schwimmt er auch am 24.12.2013, wenn auch nur für etwa fünf Minuten. Es soll eine Tradition werden.

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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