Erfolgreich abseits der Norm - mit Köpfchen

52 Zentimeter Bizepsumfang. 75 Zentimeter Oberschenkelumfang. Beeindruckende Zahlen, die mich da erwarten. Am Telefon klingt der Mensch zu dem diese Zahlen gehören allerdings ganz normal. Eine Woche später treffe ich Martin in seiner Wohnung. Er hat Mittagspause. Auf dem Tisch stehen zwei Tassen für den Kaffee. Seine Freundin hat die Tassen hergerichtet, erklärt er mit einem Lachen im Gesicht. Martin lacht viel und er ist zugegeben anders, als ich mir einen Strongman vorgestellt habe. Der Strongman schlechthin. Martin Wildauer - der stärkste Mann der Welt.

Achillessehne adé

Die Achillessehne reißt. Auf den Bildern, die mir Martin zeigt, scheint mir fast, dass man den vernichtenden Moment sehen kann. Sein Gesichtsausdruck, während er davon erzählt, blankes Entsezten. Das Ende einer perfekten Saison. Als er in den letzten der insgesamt 16 Bewerbe der Strongman Champions League 2014 mit Punktevorsprung geht und bei seiner schlechtesten Disziplin, dem Front Hold, den 2. Platz erkämpft, scheint ihm der Titel „Stärkster Mann der Welt“ sicher. Mit dem Riss der Achillessehne lösen sich die Titelträume in Luft auf. „Wenn die Achillessehne gerissen ist, kannst du nicht mehr gehen oder stehen.“ Den Kampf um den Titel „Stärkster Mann der Welt“ aufgeben? Ja! Bis der serbische Teilnehmer der Strongman Champions League zu ihm kommt. Ein einziger Satz weckt den Kämpfer in Martin.

Schwarzenegger verliert wegen Diät

Alles begann vor zwölf Jahren. Arnold Schwarzenegger beeindruckt den damals 15jährigen Martin so sehr, dass er mit dem Bodybuilding startet. Die notwendige spezielle Ernährung liegt ihm allerdings nicht. Zu viel Zwang. Dafür entdeckt er recht schnell seine eigentliche Berufung. Nach nur drei Monaten Training ist er einer der Stärksten im Fitnesstudio; erbringt Leistungen, die andere nach zehn Jahren Training noch nicht schaffen; 200 Kilogramm stemmt er beim Kreuzheben. Inzwischen gehört Martin zu den rund 60 Strongmen in Österreich und hebt 435 Kilogramm beim Kreuzheben – nur sechs Menschen ist das bisher gelungen. „Oft höre ich, ein Körper ist nicht dafür gemacht – diese Aussage ärgert mich immer. Wofür ist denn ein Körper gemacht? Der menschliche Körper ist ja auch nicht für die vegane Ernährung gedacht oder die Tour de France und trotzdem funktioniert es. Die Muskulatur und die Sehnen passen sich einfach an.“

Einmal essen bitte

Ob es mich stört, wenn er neben dem Interview zu Mittag isst, fragt Martin als er den Kühlschrank öffnet. Ganz im Gegenteil, ich finde es eher interessant, zu sehen, was so ein Strongman zu sich nimmt. Das was auf den Tisch wandert, passt zu unserem ersten Telefonat. Normal. Zwei Laugenstangerl, Aufstrich, Putenschinken.

Um sein Wettkampfgewicht von rund 150 Kilogramm zu erreichen, gilt es jeden Tag 6.000 bis 7.000 Kalorien aufzunehmen. Heute ist Martin noch weit davon entfernt. Neben dem Kühlschrank liegt die Hälfte der Vormittagsjause. „Das ist kein Problem. Ich schau einfach, dass ich bis zum Ende des Tages genug Kalorien zu mir nehme.“ Genauso wenig wie einen festen Ernährungsplan hat Martin einen konkreten Trainingsplan. Es gibt keine fixen Trainingstage „weil das Leben verlangt, dass du flexibel bist“. Und das ist, so Martin auch eines seiner Erfolgsgeheimnisse. Genauso wie die dreimonatige Trainingspause nach dem Saisonende. Bewusste Abstinenz.

Eine Gefahr für Fitnessstudios

In einem normalen Fitnessstudio trainieren ist für Martin nicht möglich – zu wenig Gewichte. Selbst, wenn ein Fitnessstudio mit ausreichend Gewicht ausrüstet wäre, ein Spezialboden müsste her. Schon einmal ist unter der Last der Gewichte und Martin der Estrich gebrochen. Zudem ist Techniktraining notwendig. „Nur weil jemand stark im Kreuzheben ist, kann er nicht gleich eine Steinkugel heben.“ Dafür trainiert er in Rosenheim bei Heinz Ollesch, dem 12fachen deutschen Meister.

Wuzl – die „große“ Liebe

Seine zwei Laugenstangerl sind noch immer unangetastet, als ich Martin nach seinen Hobbys frage. „Komm mit“, erhalte ich als Antwort. Wir gehen in eines der hinteren Zimmer. Martin öffnet die Türe. Was dahinter sichtbar wird, hätte ich niemals erwartet. Ein wunderschön gestalteter Holzkäfig über mehrere Etagen. Liebevoll sind Leitern und Unterschlüpfe gestaltet. Eine Villa de Luxe. Der Bewohner? „Wuzl“, klärt mich Martin auf, „Mein Hamster“. Martin ist sichtlich stolz. Den Käfig hat er selbst entworfen und mit seinem Vater zusammen gebaut. Sein zweites Hobby, das Holzarbeiten mit der Dekupiersäge kommt ihm da natürlich sehr entgegen. Filigrane Dinge, wie die kleine Schmuckdose, die er für seine Freundin gemacht hat, sind die Leidenschaft von Martin, der mich, so neben mir stehend, um zwei Köpfe überragt.

Infusionsflaschen – zu schwer!

In seiner Heimatgemeinde arbeitet er als Verwaltungsangestellter. „Ein körperlicher Job würde sich nicht spielen. Körperliche Erholung muss sein und zudem ist körperliche Arbeit anstrengend für Leute wie mich, da tun sich normale Leute leichter.“ Der letzte Satz erregt meine Aufmerksamkeit. Eigentlich dachte ich der Stärkste Mann der Welt wäre etwa der ideale Übersiedelungshelfer. Martin lacht verschmitzt: „Da gehen 1 bis 2 Minuten Vollgas, nach dem 1. Kasten mache ich erst einmal Brotzeit.“ Strongmen sind definitiv keine Ausdauerathleten, vielmehr kurzfristige Maximalleister. Das halten der Infusionsflaschen während seinem Zivildienst wird nach ein, zwei Minuten zur Tortur. „Ich helfe gerne, ich verstell mich dann immer, damit niemand merkt, dass mir das zu schwer ist, sonst lachen ja alle!“ Naja immerhin zieht Martin bei seinen Wettbewerben Linienbusse oder LKW, hält zehn Weltrekorde unter anderem im Steinheben; 350 Kilogramm auf 100 Zentimeter.

Ein Serbe, Krücken – eine irreale Welt

Während Martin zum ersten Mal in sein Laugenstangerl beißt, erzählt er mir die Geschichte rund um seinen letzten Wettbewerb fertig. Der Serbe hätte eigentlich noch Chancen auf den Titel gehabt. Ausgerechnet er sagt zu Martin: „Ich habe es ausgerechnet, du kannst noch gewinnen. Gib nicht auf.“ Das motiviert den Langkampfner. Während er und sein Team im Krankenhaus Kopfschütteln ernten, beginnen sein Trainer und dessen Frau, die Ärztin ist, über eine Stunde lang das Bein provisorisch zu fixieren. Zum Aufwärmen geht es mit Krücken. Mit dem Startpfiff verschwinden die Krücken und die Gedanken an die Achillessehne. Er schlägt drei Mitbewerber beim Baumstammdrücken. Geht mit den Betonkoffern. Wie er das geschafft hat, weiß er selbst nicht. Die letzte Disziplin, das LKW ziehen im Sitzen gewinnt er, angefeuert von seinen Mitstreitern, und sichert sich den Titel „Stärkster Mann der Welt“.

Zumindest versucht

„Ich hatte die ganze Saison im Kopf. Die Situation war so irreal. Ich wollte in 20 Jahren nicht dasitzen und mir denken: du hättest gewinnen können, wenn du es versucht hättest.“ Ich habe es versucht – vier Wörter, die Martin den Titel einbringen.

Mit genau der Einstellung verfolgt er sein nächstes Ziel: Seinen Sport in Österreich bekannter machen. „Der Sport ist so herrlich einfach. Ein Athlet gewinnt, weil er der Stärkste, technisch Beste ist und nicht, weil er den besten Schuh oder das schnellste Auto hat. Die pure Kraft ist es die zählt, irgendwie nostalgisch.“ In zwei Monaten soll die Verbandshomepage stehen und einen Champions League Wettkampf will Martin heuer nach Tirol holen.

Eineinhalb Stunden sind vorbei. Martin packt seine Laugenstangerl ein. Die müssen nun mit ins Büro. Ein Glück für mich, dass der sympathische World Champion so flexibel ist.

www.adriane-gamper.com

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