Ich weiß gar nicht mehr, wann mir aufgefallen ist, dass es wirklich viele Menschen gibt, die von einer Krankheit heimgesucht werden, die sich ab Mitte 20 großflächig auszubreiten scheint: Es spielen ab einem gewissen Alter nicht alle verrückt, sondern erwachsen. Die Gleichschaltung bestimmter Verhaltensweisen zu einem bestimmten Zeitpunkt regt mich innerlich auf. Am Anfang dachte ich, es geht nur um Oberflächlichkeit: gut, dann ziehe ich bei Kundenterminen halt businesslike Sachen an und lass mein Einhorn T-Shirt Zuhause. Morgen ist auch noch ein Tag. Sie sagen dir, es ist wichtig, individuell zu sein, aber es ist dann doch besser, wenn man es so macht, wie sie’s sich schon innerlich vorgestellt haben und nicht so wie ich es mir vorgestellt habe. In Wirklichkeit wollen Menschen aus Führungsetagen nur hellsehende Lemminge, da muss man auch mal draufkommen. So rackern sich Bekannte ab, um es den „da oben“ recht zu machen und tragen brav Business Kleidung, verbessern die Umsätze und steigen auf, nur um dann draufzukommen: es gibt auch hier noch Leute über ihnen, die sagen, wo es lang geht. Als ich mich dagegen gewehrt habe und es nicht so machen wollte, wurde mir gesagt: „das gehört sich so, so ist die Geschäftswelt, so ist es, wenn man im Erwachsenenleben steht...“. Aha. Ich bin nickend gegangen. Zuerst aus dem Raum, dann aus dem Unternehmen.

Abseits der Geschäftswelt kann ich Leute noch immer überraschen, wenn ich Ihnen erzähle, dass ich weder Bier noch Wein mag. Ja, als waschechte Österreicherin blöd, vor allem in ländlicheren Gebieten ist das ein großes Problem. Sei’s drum. Die Leute starren mich an und wissen nicht, wie sie mit so einer traditionellen Abweichung umgehen sollen. Im Alter trinkt man doch zumindest Wein! Nein, aber bitte bringen Sie mir eine Cola oder einen Schnaps. Bei letzterem kann man sich zumindest wieder mit einigen Irritierten versöhnen.

Im Bekannten- und Freundeskreis geht das Erwachsenen-Spiel meistens bei der Hochzeit los. Freunde, die Kirchen eigentlich sonst nur als Sightseeing-Objekte wahrnehmen, heiraten darin. Es gibt ein Vater-Unser und einen Pfarrer, der über die Ehe redet, als hätte er darin Erfahrung. Es gibt Hochzeiten, die sind sehr herzlich und Hochzeiten, die sind ziemlich fad. Gut, es ist Tradition und oft ein schönes Fest, aber warum schaut dann eine Hochzeit aus wie die andere und warum nimmt fast jede Frau, den Namen des Mannes an? Warum werde ich auf jeder Hochzeit gefragt, wann es denn bei mir soweit ist?

Nach der Hochzeit erfolgt traditionellerweise die Kinderzeugung. Ich habe Frauen getroffen, die sich für Kinder entschieden haben, weil Ihnen gerade fad war oder weil sie ihren Job nicht mochten. Männer, die Familie haben wollten, aber nie Zuhause bei den Kindern bleiben wollten. Bekannte, die sich so in der Mutterrolle verloren haben, dass es keine Gemeinsamkeiten mehr gab und es komisch fanden, dass ich nicht so ein Leben gewählt hatte. Doch Kinder sind kein Granat für ein glückliches Leben. Müttern und Vätern wird es nicht besser (oder schlechter) gehen, wenn alle Freunde im Umfeld auch Eltern sind und somit im selben Boot sitzen.

Kurz: wenn wir nicht alle gleich sind, sind wir auffällig. Spielen wir das Spiel nicht mit, werden wir skeptisch beäugt. Jeder wirbt für sein Konzept des Erwachsenen-Lebens. Es ist wie mit dem heutigen Schönheitsideal: wenn wir alle immer dünner, fitter und schlanker werden wollen, werden wir nicht schöner, sondern gleicher. Das ist vor allem eines: öd.

Heutzutage gibt es so viele Lebenskonzepte und Möglichkeiten, dass ein Teil der Menschen Angst bekommen und sich an den Traditionen festhalten. Dabei gehört eines definitiv zum Erwachsensein: loslassen, immer wieder loslassen.