Eines vorweg: Nein, man muss Karneval – respektive Fasching oder Fastnacht, je nach Landstrich – gewiss nicht mögen. Man muss noch nicht einmal eine Meinung dazu haben. Aber wenn man, wie ich, im Rheinland lebt (zumal in Köln), kann man sich ihm zumindest an den sogenannten närrischen Tagen kaum entziehen, selbst wenn man es will. Denn dann ist das Treiben wirklich allgegenwärtig, man fällt auf, wenn man nichtverkleidet ist, aus den rappelvollen Kneipen dröhnt die weithin bekannte saisonale Schlagermusik, und während der Karnevalsumzüge stehen die Narren zu Abertausenden dicht gedrängt an den Straßenrändern. Ein besonderer Blickfang bei diesen Umzügen sind stets die Motivwagen, das heißt, die mal mehr, mal weniger originell gestalteten Gefährte mit ihren bunten Dekorationen, aufgemalten Sprüchen und selbstgebastelten Pappmachéfiguren.

Manche dieser Motivwagen transportieren politische Botschaften, die von ihren Urhebern vermutlich für lustig, keck oder gar provokativ gehalten werden, obwohl sie, bei Lichte betrachtet, furchtbar angepasst und bieder sind und ganz sicher nicht die empfindliche Volksseele zu reizen vermögen. Mal wird die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gezeigt, wie sie aus „Uncle Sams“ Hintern herausschaut, in den sie vorher gekrochen ist, mal wird Silvio Berlusconi als Liebesdiener der Mafia dargestellt, mal wird die Finanzkrise durch eine überdimensionale Heuschrecke versinnbildlicht und werden Banker als Verbrecher präsentiert. All das ist weder frech noch gewagt, sondern schrecklich stumpf und hohl, ein Humor, der sich zwar subversiv und minoritär dünkt, aber doch nur den Massengeschmack bedient.

Und wenn dann mal jemand eine Idee hat, die sich tatsächlich sehen lassen kann, wird sie rasch wieder kassiert, so wie aktuell in Köln. Eigentlich war dort geplant, beim großen Rosenmontagszug mit einem Wagen auf den Anschlag, den islamistische Terroristen am 7. Januar auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdoverübt haben, Bezug zu nehmen. Das Motiv sollte einen „Jecken“ (so heißen in Köln die Narren) zeigen, der einem Terroristen einen großen Bleistift in den Gewehrlauf stopft und so die Waffe zerstört. Darüber hinaus sollten die Slogans „Pressefreiheit“ und „Meinungsfreiheit“ sowie „Ich bin Charlie“ auf den Wagen gepinselt werden. Der Entwurf hatte sich bei einer Abstimmung im Internet durchgesetzt und war auch vom Festkomitee Kölner Karnevalgoutiert worden. Um ganz sicherzugehen, dass es nur ja keinen Ärger geben wird, hatte das Komitee die Polizei und sogar einen Islamwissenschaftler zu Rate gezogen. Auch von deren Seite gab es keinerlei Einwände: Weder drohten Anschläge noch sei mit Protesten beleidigter Muslime zu rechnen.

Dennoch machte das Festkomitee am Mittwoch plötzlich einen Rückzieher. Man stehe zwar „zur Aussage dieses Wagens und der demokratischen Abstimmung der Entwürfe sowie zum eindeutigen Votum für den geplanten Wagen“, hieß es in einer Presseerklärung. Allerdings habe es Rückmeldungen „von besorgten Bürgern“ gegeben, „die wir sehr ernst nehmen“. Und da man wolle, „dass alle Besucher, Bürger und Teilnehmer des Kölner Rosenmontagszuges befreit und ohne Sorgen einen fröhlichen Karneval erleben“ können, habe man entschieden, „den Bau des geplanten Charlie-Hebdo-Wagens zu stoppen und den Wagen nicht im Kölner Rosenmontagszug mitfahren zu lassen“. Denn: „Einen Persiflagewagen, der die Freiheit und leichte Art des Karnevals einschränkt, möchten wir nicht.“

Eine vollkommen absurde Entscheidung mit einer noch absurderen Begründung, wie auch der Kölner Künstler Gerd Buurmann fand. „Nicht der Persiflagewagen schränkt die Freiheit und leichte Art des Karnevals ein, sondern Eure widerliche Feigheit“, rief er auf seinem Blog dem Festkomitee zu. Der Chef der Grünen im Bundesland Nordrhein-Westfalen, Sven Lehmann, hatte ebenfalls kein Verständnis für die Entscheidung des Komitees: „Wie kann man einen so breiten Beteiligungsprozess machen und dann das Ergebnis einfach zurückziehen? Wenn Angst den Karneval überkommt, hat der Terror gewonnen.“ Und zwar, so wäre hinzuzufügen, ohne dass jemand auch nur entfernt mit ihm gedroht hätte. Ein paar „besorgte Bürger“ haben genügt, um selbst ein vollkommen harmlos gestaltetes Statement zum Thema Freiheit zu kippen. Man mag sich gar nicht vorstellen, was erst los wäre, wenn es tatsächlich ernst würde. Alaaf, wir kapitulieren! Und zeigen lieber wieder Merkel im Arsch der Amis und Kapitalisten als Heuschreckenplage. Dagegen haben garantiert auch die Islamisten nichts.

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Cicero

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Silvia Jelincic

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