Bataclan: Ein antisemitischer Anschlag

Kaum etwas bringt die Ideologie von Islamisten so auf den Punkt wie jener Satz, mit dem al-Qaida im März 2004 ihre mörderischen Anschläge von Madrid höchstselbst erklärte: »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod.« »Ihr«, das ist in den Augen dieser besessenen Muslime der gottlose, verderbte Westen mit seinen selbstbewussten Frauen, seiner selbstbestimmten Sexualität, seinen Amüsiervierteln (inklusive Alkohol und Drogen), seinen Wahlmöglichkeiten, seinen Zweifeln, Widersprüchen und Kompromissen, seiner Individualität und seinem Freiheits- und Gleichheitsversprechen. Als »Hauptstadt der Prostitution und des Lasters« hat der »Islamische Staat«, der nichts anderes kennt als Freudlosigkeit, Unterwerfung und Vernichtung, dann auch die französische Kapitale Paris in seinem Statement zu den koordinierten Terroranschlägen vom Freitagabend bezeichnet. Seine Selbstmordattentäter schlugen gezielt und koordiniert dort zu, wo man sich in Metropolen am Wochenende vergnügt: bei einem Konzert, in einer Bar, in einem Restaurant, im Fußballstadion. Sie wollten mit Macht den Tod dorthin bringen, wo man sich des Lebens in besonderem Maße erfreut.

Dass sie dabei auch das »Bataclan« im beliebten elften Arrondissement als Anschlagsziel auswählten und dort besonders viele Menschen ermordeten – 89 sind es nach dem derzeitigen Stand der Dinge –, dürfte alles andere als ein Zufall gewesen sein. Denn das seit 1865 bestehende Veranstaltungslokal am Boulevard Voltaire wurde bis vor kurzem von jüdischen Eigentümern geführt, Pascal und Joel Laloux. Im September verkauften die beiden nach 40 Jahren die Konzerthalle, weil sie – wie so viele französische Juden in diesem Jahr – nach Israel auswanderten. Zuvor hatte es dort regelmäßig proisraelische Veranstaltungen gegeben, beispielsweise eine jährliche Gala der jüdischen Organisation Migdal zugunsten der israelischen Grenzpolizei Magav. Seit 2007 befand sich das Etablissement – von dem der Frankreich-Korrespondent der Tageszeitung »Die Welt«, Sascha Lehnartz, schreibt, es gebe »wahrscheinlich keinen freieren, jüngeren, lebenslustigeren, offeneren Ort« in Paris – deshalb im Visier »antizionistischer« Gruppen.

Im Januar und im Dezember 2008 kam es jeweils zu heftigen Protestaktionen, vor allem die zweite Manifestation hatte es in sich. Eine Gruppe vermummter Demonstranten mit Palästinensertüchern drohte damals: »Wenn das Bataclan und Migdal wie in den vergangenen Jahren eine Gala für Magav organisieren, die Grenzpolizei der israelischen Armee, werden das die Leute nicht mehr unterstützen, und ihr werdet die Konsequenzen eurer Taten tragen. Das nächste Mal kommen wir nicht zum Reden.« 2011 sagte ein Mitglied der salafistischen Terrorgruppe »Jaish al-Islam« (Armee des Islam) der französischen Wochenzeitschrift »Le Point« zufolge bei einem Verhör des französischen Inlandsgeheimdienstes: »Wir planen einen Anschlag auf das Bataclan, weil die Eigentümer Juden sind.« Im September 2015 wurde bekannt, dass sich »Jaish al-Islam« dem »Islamischen Staat« angeschlossen hat. So schließt sich der Kreis.

Am Freitagabend gaben die »Eagles of Death Metal« ein Konzert im »Bataclan« – und auch sie dürften im Fokus der Terroristen gestanden haben. Denn erst unlängst spielte die Band im »Barby Club« in Tel Aviv, und dabei bekundete ihr Frontmann Jesse Hughes laut der Tageszeitung »Jerusalem Post« offensiv seine Solidarität mit Israel. »Einen Ort wie diesen würde ich nie boykottieren!«, sagte er, und: »Ich habe mich nie zuvor so zu Hause gefühlt wie hier!« Der »Pink Floyd«-Mitbegründer Roger Waters – ein besonders penetranter Aktivist der antiisraelischen BDS-Bewegung, die für Boykotte, Desinvestitionen und Sanktionen gegen den jüdischen Staat eintritt – hatte die »Eagles« zuvor in einer E-Mail aufgefordert, nicht in Israel aufzutreten. Hughes sagte während des Konzertes, er habe ihm in lediglich zwei Wörtern geantwortet (»F*ck you!«).

»Der Feind wird nur dann zum absoluten Feind, wenn er als Kollaborateur der Juden und ihrer unmittelbaren Verbündeten identifiziert ist«, schrieb Gerhard Scheit bereits vor elf Jahren in seinem Buch »Suicide Attack« über die Logik der Selbstmordattentate. Die Täter im »Bataclan« haben die Veranstalter, die Band und die Konzertgäste samt und sonders als solche absoluten Feinde identifiziert und deshalb nicht gezögert, sie zu exekutieren, solange die Munition reichte. Als schließlich die Polizei eintraf, haben sie ihre Sprengstoffgürtel gezündet. Es war dies die »Fortsetzung des Pogroms mit anderen Mitteln« als »Privatisierung staatlicher Vernichtungsaktionen« (Scheit), »die Intention wird ohne direkte Verfügung über das Gewaltmonopol des Staates verfolgt – so hat die Aktion selbst den Anschein von Ohnmacht und bietet sich der Deutung als ›Verzweiflungstat‹ an«. Wie nicht anders zu erwarten macht deshalb einmal mehr die kreuzdumme Frage die Runde, was »wir« »ihnen« bloß angetan haben, dass sie »so etwas« tun.

Vernachlässigt wird demgegenüber in der Berichterstattung hierzulande – ebenfalls kein bisschen überraschend –, dass es sich bei dem opferreichsten Angriff von Paris um einen antisemitischen Anschlag handelt. Ob die Ermordeten selbst jüdisch sind oder nicht, spielt dabei eine untergeordnete Rolle, denn entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Intention der Täter – und die ist eindeutig. Dass darüber gleichwohl nicht gesprochen wird, sagt eine Menge aus. Um keinen Preis will man eine Linie von Paris nach Israel ziehen, wo man Selbstmordattentate schon zu Beginn des Jahrtausends kennenlernte und anderen Formen islamistischen Terrors täglich ausgesetzt ist. Konsequenterweise wird der jüdische Staat fast immer ausgespart, wenn die Medien Übersichtskarten veröffentlichen, auf denen Orte von Anschlägen verzeichnet sind. Und er fehlt auch in Bilderstrecken von Solidaritätskundgebungen für die Opfer des Terrors, obwohl in Israel nach Ereignissen wie in Paris regelmäßig demonstriert wird.

»Frankreich und Israel teilen dieselben Werte der Freiheit und sind entschlossen, zusammenzuarbeiten, um den Jihadisten-Terror zu bekämpfen«, sagte der israelische Verteidigungsminister Moshe Yaalon dennoch. »Auch wenn diese Terrorattacken die Franzosen unmittelbar getroffen haben, so ist es doch ein Angriff auf die gesamte freie Welt und die Demokratie.« Eine solche klare Solidarisierung wünschte man sich nach Angriffen auf den jüdischen Staat von Europa auch einmal.

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