Während es kaum noch eine Nachricht wert ist, wenn Politiker, Fernsehmoderatorinnen, Schauspieler oder Modeschöpfer ihr öffentliches Coming-out haben, überschlagen sich die Reaktionen förmlich, wenn es in der Öffentlichkeit um das Thema Homosexualität im Fußball geht. Aber warum ist das so? Und weshalb scheint die Homophobie in dieser Sportart besonders zäh zu sein?
Zu Beginn des vergangenen Jahres gab es in der Zeitein bemerkenswertes Interview zu lesen. Thomas Hitzlsperger – 52-maliger deutscher Nationalspieler, deutscher Meister mit dem VfB Stuttgart und als Profi unter anderem bei Aston Villa, Lazio Rom und West Ham United tätig – äußerte sich darin über seine Homosexualität und sprach auch darüber, warum er sie gerade jetzt, nach dem Ende seiner Laufbahn als Fußballspieler, öffentlich machte: Nicht etwa, weil ihm jemand mit einem Outing gedroht hatte, und auch nicht deshalb, weil er fürchtete, dass die Fans im Falle eines Coming-outs zu seinen aktiven Zeiten über ihn hergefallen wären. Sondern vielmehr, weil er nun »Zeit für dieses Engagement« und außerdem das Gefühl habe, »dass jetzt ein guter Moment dafür ist«. Er wolle mit seinem Gang an die Öffentlichkeit »dazu beitragen, dem Thema die Exklusivität und damit die Schärfe zu nehmen«, und habe ihn auch mit Bundestrainer Joachim Löw und Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff besprochen. »Sie haben das zur Kenntnis genommen – natürlich positiv«, berichtete Hitzlsperger. Der moderne Fußball sei schließlich »kein Lebensraum für Gestrige und Leute mit angestaubten Vorurteilen«. Und auch »die veröffentlichte und die öffentliche Meinung« seien »deutlich entspannter und toleranter geworden«.
Ein weiteres Interview, das knapp anderthalb Jahre zuvor erschienen war, legte dagegen andere Schlüsse nahe. Für den Fluter, ein Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung, hatte der Journalist Adrian Bechtold mit einem schwulen Bundesligaprofi gesprochen, der allerdings anonym bleiben wollte. »Ich muss täglich den Schauspieler geben und mich selbst verleugnen«, sagte der Fußballer, und: »Ich weiß nicht, ob ich den ständigen Druck zwischen dem heterosexuellen Vorzeigespieler und der möglichen Entdeckung noch bis zum Ende meiner Karriere aushalten kann.« Er wäre »nicht mehr sicher, wenn meine Sexualität an die Öffentlichkeit käme«, und es sei »unmöglich, einfach wie ein heterosexueller Spieler den neuen Partner zu präsentieren und am nächsten Tag vergessen zu werden«. Normalität gebe es nicht, auch wenn er im Mannschaftskreis keinerlei Probleme habe und manche Mitspieler sogar »mit großem Interesse nachfragen«. Bei öffentlichen Anlässen jedoch erscheine er in Begleitung einer Frau.
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Zwei Interviews, die unterschiedlicher kaum hätten sein können. Hier der prominente Ex-Profi, der eine seriöse, bildungsbürgerliche Wochenzeitung selbst um ein Gespräch gebeten hatte und dessen um eine Entdramatisierung bemühten Antworten anzumerken war, wie sorgsam er seinen Schritt vorbereitet hatte. Dort der namenlose aktive Bundesligaspieler, ein »sichtlich überforderter junger Mann«, der das Treffen am liebsten sofort wieder verlassen hätte, dann aber doch geblieben sei, wie sein Interviewer schrieb, der die Unterhaltung in einer eher wenig bekannten Publikation unterbrachte. Was beide Interviews eint, ist der mediale Rummel, der jeweils auf die Veröffentlichung folgte. Während es kaum noch eine Nachricht wert ist, wenn Politiker, Fernsehmoderatorinnen, Schauspieler oder Modeschöpfer ihr öffentliches Coming-out haben, überschlagen sich die Reaktionen förmlich, wenn es in der Öffentlichkeit um das Thema Homosexualität im Fußball geht. Aber warum ist das so?
Fußball – eines der letzten heterosexuellen Milieus?
Tatsächlich scheint der Deutschen liebste Sportart noch immer eines der letzten heterosexuellen Milieus zu sein, wenngleich Fortschritte unverkennbar sind. Eine Reihe von Vereinen hat schwul-lesbische Fanklubs, es gibt Fan-Initiativen gegen Homophobie, und auch der Deutsche Fußball-Bund hat sich seit einigen Jahren dem Kampf gegen die Schwulenfeindlichkeit verschrieben (wiewohl diesbezügliche Aktivitäten seit dem Amtsantritt des DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach kaum noch zu beobachten sind). Homophobe Gesänge und Transparente, die in den Bundesligastadien lange Jahre zum Alltag gehörten, gibt es mittlerweile nur noch selten, und sie bleiben oftmals auch nicht mehr unwidersprochen. Unverblümt schwulenfeindliche Äußerungen von Spielern vernimmt man ebenfalls so gut wie gar nicht mehr. Wer heute öffentlich sagen würde, er könne sich nicht vorstellen, »dass Schwule Fußball spielen können« (wie der frühere Kölner Verteidiger Paul Steiner vor vielen Jahren), oder mit markigen Sprüchen à la »Ich dusche immer mit dem Arsch zur Wand« von sich reden machen würde (wie Frank Rost zu seinen Zeiten als Torwart von Schalke 04), der hätte auch mit erheblicher Kritik und einem Imageschaden zu rechnen.
Doch diese Fortschritte gehen nicht so weit, dass eine grundsätzliche Akzeptanz von Homosexualität im Fußball hergestellt worden wäre. Die Spieler Philipp Lahm und Arne Friedrich beispielsweise – Ersterer in seinem Buch »Der feine Unterschied«, Letzterer in einem offenen Brief seiner Freundin – haben öffentlich großen Wert auf die Feststellung gelegt, nicht schwul zu sein, sondern Beziehungen mit Frauen zu führen. Dortmunds Torwart Roman Weidenfeller kommentierte im Jahr 2011 seine Nichtberücksichtigung für das Nationalteam andeutungsvoll mit den Worten: »Vielleicht sollte ich mir einfach die Haare schneiden oder etwas zierlicher werden« – wie der stattdessen nominierte Hannoveraner Keeper Ron-Robert Zieler. Viele Klubs ducken sich bei der Thematik nach wie vor weg. Und Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff bezeichnete Gerüchte, es gebe in der DFB-Auswahl und ihrem Trainerstab viele Homosexuelle, »als einen Angriff auf meine Familie – die Familie der Nationalelf«. Offenbar spielt es entgegen anderslautender Beteuerungen eben doch eine große Rolle, welche sexuelle Orientierung Profifußballer – Nationalspieler zumal – haben.
Diese weiterhin fehlende Selbstverständlichkeit, dass es auch im Fußball Männer gibt, die Männer lieben, ist zweifellos ein wesentlicher Grund dafür, dass noch immer kein namentlich bekannter aktiver Profi sein öffentliches Coming-out gewagt hat. Ein anderer, eng damit zusammenhängender Grund besteht in der immensen Aufmerksamkeit, die dem ersten offen schwul lebenden Vertragsfußballer zuteil werden würde. »Alle würden gerne rausfinden, was ich wohl Schlimmes mit meinem Partner unter der Bettdecke anstelle«, vermutete der anonyme Spieler im Fluter-Interview dann auch. Aber es gibt noch einen weiteren Aspekt, der in der Debatte so gut wie nie angesprochen wird: Warum ist gerade der Fußball »eine Domäne heterosexueller, monokultureller Männlichkeit« und »eng verbunden mit dem Bild vom starken Mann«, wie die Sportwissenschaftlerin und frühere Bundesligaspielerin Tanja Walther-Ahrens in ihrem Buch »Seitenwechsel. Coming-out im Fußball« befand – obwohl er doch Männern ein Repertoire körperlich intimer Gesten erlaubt, die an anderen Orten als liebevoll, erotisch oder sexuell erlebt würden?
Männerbündische Strukturen und Desexuierung
Der Historiker Ulf Heidel löste dieses vermeintliche Paradox auf, indem er auf die traditionell männerbündischen Strukturen im Fußball verwies – die dort so fest verankert seien wie sonst nur in der Armee – und in diesem Zusammenhang den Begriff der Desexuierungeinführte, womit das Ausblenden von sexuellem Begehren und sexueller Identität gemeint ist. Diese Desexuierung umfasse die Vereinnahmung und Zurichtung des Körpers zum Zwecke des erstrebten Erfolgs der Mannschaft, weshalb auch der Sex »dem übergeordneten Interesse des Männerbundes« unterstehe. Damit einher gehe der Ausschluss von Frauen respektive deren Degradierung zu Sexual- und Reproduktionsobjekten einerseits sowie zur Bedrohung der mühsam erlangten Perfektion von Körper und Konzentration andererseits. Zudem beruhe die Desexuierung, so Heidel, »auf der Regulierung dessen, was zwischen den Spielern als statthaft und dem Mannschaftsgefüge zuträglich gilt und was nicht«. Genau darin bestehe letztlich der »›Trick‹ des Männerbundes, im geeigneten Moment Praktiken körperlicher Nähe nicht nur zu erlauben, sondern zur Intensivierung des Zusammenhalts zu befördern«.
Körperlichkeiten unter Mannschaftskollegen können also akzeptabel sein – solange sie eine bestimmte Grenze nicht überschreiten, das heißt: eine männerbündlerische Gemeinschaft stiften und kein Zeichen sexuellen Verlangens sind. Dass das Ausziehen des Trikots nach einem Torerfolg, das Tätscheln und Wuscheln, Umarmen und Bespringen von Spielern wie Zuschauern nicht als sexuell wahrgenommen wird, hat darüber hinaus auch etwas mit kultureller Gewöhnung zu tun. Das gemeinsame Jubeln jedenfalls kam im nördlicheren Europa erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf und wurde lange Zeit mit viel Skepsis bedacht. Noch 1981 befürchtete die FIFA, so der Historiker Heidel, »offensichtlich eine Art Schwulisierung, als sie das Küssen als ›unmännlich, übertrieben gefühlsbetont und deshalb unangebracht‹ brandmarkte«.
Küsse zählen zwar bislang eher selten zum Jubelrepertoire von Spielern, doch grundsätzlich gehören offen zur Schau gestellte Emotionen längst zu einer erfolgreichen Torszene. Heidel schildert, was dabei allerdings zu beachten ist: »Die Jungs können sich gerade so lange ›unschuldig‹ zusammen über den Rasen wälzen, wie der ›Heterosexualitätsverdacht‹ unangefochten bleibt. All dies würde ein schwuler Spieler in Frage stellen, denn unvermeidlich wäre mit ihm der Verdacht im Spiel, dass nicht Freude, sondern Begehren ihn den körperlichen Kontakt suchen lässt. Gerade dass der Männerbund weitestgehend von jeglicher Sexualität gesäubert ist, lässt schon den Gedanken an einen schwulen Spieler zur verräterischen Angstfantasie werden.« Das gilt analog auch für den Jubel auf den Tribünen oder in den Kneipen und Wohnzimmern, bei dem sich plötzlich Männer in die Arme fallen, die derlei abseits des Fußballs eher selten praktizieren und entsprechende Versuche brüsk mit der Bemerkung zurückweisen, schließlich »nicht schwul« zu sein.
Denn den Verdacht, der – heterosexuellen – Norm nicht zu entsprechen, möchten nicht wenige Männer möglichst um jeden Preis vermeiden. Dabei spielt natürlich die Angst vor der eigenen Diskriminierung und vor gesellschaftlichen und beruflichen Nachteilen eine Rolle – schließlich wissen die Schwulenfeinde selbst am besten, wie sie und Ihresgleichen mit Abweichlern umzugehen pflegen, und da möchte man ungern selbst zum Opfer werden, weshalb man Gerüchten bevorzugt schon vor ihrer Entstehung entgegentritt. Man fühlt sich – zumindest vordergründig – wohl in der Masse und will nicht weiter auffallen, jedenfalls nicht durch eine nonkonforme sexuelle Orientierung.
Nichts ist für die Ewigkeit
Gleichzeitig können das ewige Schwimmen mit dem Strom und die Unterwerfung unter vermeintliche Sachzwänge und gesellschaftliche Regeln, an denen man scheinbar ohnehin nichts ändern kann, zu einer Selbstverachtung führen, zu einem Minderwertigkeitsgefühl und zum hasserfüllten Neid auf diejenigen, die zumindest dem Anschein nach ihre Individualität leben – auch und gerade im Bereich der Sexualität, also der Lust – und dadurch genau die Normen in Frage stellen, unter denen der Konformist im Grunde seines Herzens zwar leidet, die anzugehen er sich aber zu schwach fühlt. Um das eigene Dasein jedoch nicht in Frage stellen zu müssen und um jedweden Zweifel an jenen Gewissheiten und Zwängen zu vertreiben, die ihm das Leben zur Hölle machen, bedarf es für ihn des Angriffs auf die Abweichler. Diesen wird genau das unterstellt, wovon der Konformist selbst träumt, was er aber verdrängt und sich versagt. Schwule hält er deshalb für promiskuitiv, allzeit potent und hemmungslos – eine lupenreine Projektion. Die Homophobie ist also Ausdruck einer Ich-Schwäche, und der Fußball bietet insoweit vielen Männern eine gesellschaftlich opportune Möglichkeit, unterdrückten Bedürfnissen nachzugeben – und zwar kollektiv –, ohne sich »verdächtig« zu machen.
Allerdings muss der Männerbund als klassisches Erfolgsrezept im Fußball nichts sein, was zwangsläufig und dauerhaft überlebt. Vor nicht allzu langer Zeit waren auch Frauen und Mädchen in den Stadien noch eine Ausnahme, die von der männlichen Mehrheit bestenfalls geduldet wurde, und kaum jemand konnte sich vorstellen, dass sich daran jemals etwas ändern würde. Die Kommerzialisierung und die Transformation des Fußballs in einen Bestandteil der Popkultur sind als Motor einer überfälligen Liberalisierung zweifellos zu begrüßen. Darüber hinaus können Aufklärungskampagnen und Maßnahmenkataloge zweifellos hilfreich sein, um der Homophobie den Garaus zu machen; zudem ist und bleibt es wünschenswert, wenn von Funktionären, Trainern und prominenten Spielern entsprechende Initiativen ausgingen. Und dabei kommt es entgegen einer verbreiteten Annahme gerade nicht darauf an, dass sich die ersten aktiven schwulen Fußballer öffentlich selbst outen. Vielmehr bräuchte es mehr Spieler, die öffentlich fragen: Wo ist eigentlich das Problem? Zumindest würde das etwas anstoßen, das mehr als überfällig ist.
Tipp zum Weiterlesen: Dirk Leibfried/Andreas Erb: Das Schweigen der Männer. Homosexualität im deutschen Fußball. Göttingen (Verlag Die Werkstatt) 2011, 176 Seiten, 12,90 Euro [D].