Am Mittwoch überschlugen sich die deutschen Medien wieder einmal förmlich, als es etwas aus Israel zu berichten gab, das ganz besonders gut geeignet schien, um den jüdischen Staat erneut in dunklen Farben zu malen. »Palästinenser dürfen nicht mehr mit Israelis im Bus fahren«, schlagzeilte beispielsweise Spiegel Online, »Israel: Getrennte Busse für Palästinenser«, vermeldete tagesschau.de. Auf der Website der Süddeutschen Zeitungging Peter Münch wie gewohnt in die Vollen und warf Israel nicht weniger als »Apartheid-Methoden« vor. »Busse ›nur für Siedler‹ wecken Assoziationen zum alten Südafrika oder zu den amerikanischen Südstaaten in den Fünfzigerjahren, wo Schwarze ausgeschlossen waren«, schrieb er. Was war geschehen? Hatte Israel tatsächlich eine »Rassentrennung« eingeführt, wie man nach der Lektüre der Berichte glauben musste?
Der Reihe nach. Am Mittwochvormittag verbreiteten israelische Medien die Nachricht, dass Verteidigungsminister Moshe Ya’alon ein zunächst auf drei Monate begrenztes »Pilotprojekt« in Kraft gesetzt habe. Dieses Projekt, so hieß es, betreffe alle im Westjordanland lebenden Palästinenser, die im israelischen Kernland arbeiten, und führe im Wesentlichen zu zwei Änderungen: Zum einen werde es künftig nur noch vier Checkpoints geben, über die palästinensische Pendler nach Israel ein- und aus dem Land wieder ausreisen können. Sie müssten dabei für die Ausreise zwingend denselben Übergang benutzen wie zuvor bei der Einreise. (Bislang ist die Einreise für palästinensische Arbeiter auf eben diese vier Checkpoints beschränkt, für die Heimfahrt können sie aber den für sie günstigsten der zahlreichen Übergänge wählen.) Die Reisezeit verlängere sich dadurch für manche um bis zu zwei Stunden.
Zum anderen solle es diesen Palästinensern fürderhin nicht mehr gestattet sein, die regulären israelischen Buslinien in Anspruch zu nehmen, die aus dem Westjordanland nach Israel und umgekehrt führen. Sie dürften nur noch auf Verkehrsmittel der Palästinensischen Autonomiebehörde zurückgreifen. Vor allem die im Westjordanland lebenden israelischen Siedler hatten schon länger auf eine solche Separation gedrängt und dabei ihre Angst vor Anschlägen geltend gemacht. Verteidigungsminister Ya’alon hatte dafür bereits im Herbst des vergangenen Jahres Verständnis geäußert: »Man muss kein Sicherheitsexperte sein, um 20 Araber in einem Bus mit einem jüdischen Fahrer, zwei oder drei jüdischen Passagieren und einem bewaffneten Soldaten als Szenario für eine Attacke zu erkennen.«
Mit der Neuregelung und der rigideren Kontrolle der Ein- und Ausreise sollte nun außerdem das Risiko verringert werden, dass Palästinenser, die sich ohne dauerhafte Erlaubnis in Israel aufhalten, dort Anschläge verüben. Doch Ya’alons Vorhaben wurde in Israel selbst angezweifelt und scharf kritisiert – von linken Parteien, Politikern und Organisationen ohnehin, aber auch aus Armee- und Regierungskreisen – und schließlich noch am Mittwoch wieder kassiert. Premierminister Benjamin Netanjahu fand das Pilotprojekt »inakzeptabel« und wies seinen Verteidigungsminister an, es unverzüglich zu stoppen und einzufrieren. Staatspräsident Reuven Rivlin sagte, die Regelung separiere Juden und Araber auf der Grundlage von Ideen, für die es keinen Platz geben dürfe, und verstoße »gegen die Grundlagen des Staates Israel«. Moshe Ya’alon ruderte schließlich zurück: Getrennte öffentliche Verkehrsmittel seien nie geplant gewesen, beteuerte er.
Binnen kürzester Zeit also ist ein fragwürdiger Plan nach deutlicher Kritik aus verschiedenen politischen Lagern wieder verworfen worden. Ein gutes Beispiel für die politische Kultur in einer offenen, demokratischen Gesellschaft. Den eilfertigen »Apartheid«-Schreiern sei aber auch verdeutlicht, dass es in dieser Angelegenheit widerstreitende Interessen gibt, zwischen denen nicht ganz so einfach zu vermitteln ist. Auf der einen Seite sind da diejenigen Palästinenser aus dem Westjordanland, die in Israel ihrer Arbeit nachgehen und denen durch das »Pilotprojekt« im Falle seiner Umsetzung vor allem in Bezug auf ihre Arbeitsbedingungen tatsächlich erhebliche Unannehmlichkeiten entstünden. Schon jetzt müssen sie größere Umwege in Kauf nehmen, und manche von ihnen klagen über israelische Busfahrer, die sich weigerten, sie zu befördern.
Auf der anderen Seite ist nicht zu leugnen, dass von Palästinensern, die ohne behördliche Erlaubnis in Israel weilen, immer wieder einmal antisemitische Terrorattacken verübt werden. So war es auch und gerade in der jüngeren Vergangenheit. Im November 2014 beispielsweise erstach ein Palästinenser aus dem Westjordanland an einer Bahnstation in Tel Aviv einen israelischen Soldaten. Im Januar dieses Jahres verletzte ein palästinensischer Mann, auch er aus der Westbank und ohne Aufenthaltsgenehmigung, in einem Tel Aviver Bus sage und schreibe 17 Menschen mit einem Messer, vier davon schwer. Der Vorsitzende des Regionalrates für die Siedlungen in Samaria, Gershon Mesika, spricht von einem hundertprozentigen Anstieg nicht genehmigter Grenzübertritte nach Israel durch Palästinenser im Jahr 2014. Bei den Versuchen, Waffen aus dem Westjordanland nach Israel zu schmuggeln, habe es sogar einen Zuwachs von 200 Prozent gegeben.
Dass das trotzdem keine Gründe für Maßnahmen wie getrennte Buslinien und noch stärkere Beschränkungen bei der Heimreise sind, die unterschiedslos alle palästinensischen Pendler treffen würden, sieht auch die israelische Regierung so. Doch selbst wenn das anders wäre, lägen die Gründe dafür nicht in der Annahme einer »rassischen« Minderwertigkeit einer bestimmten Bevölkerungsgruppe wie in Südafrika während der Apartheid. Das erkennt man schon daran, dass die in Israel lebenden Araber – die einen Bevölkerungsanteil von 20 Prozent stellen – von dem »Pilotprojekt« gänzlich ausgenommen wären und sich weiterhin völlig frei bewegen könnten. Die Regelung würde nur diejenigen Palästinenser tangieren, die in Gebieten leben, deren politische Führer den jüdischen Staat nach wie vor bis aufs Blut bekämpfen – und Terroristen üppige Belohnungen für ihre Mordtaten zahlen. Man mag Ya’alons Plan als Folge eines ungerechtfertigten Generalverdachts betrachten – mit »Rassentrennung« hat er jedenfalls nichts zu tun.
Nur am Rande sei erwähnt, dass Palästinenser im Libanon nach wie vor in zahlreichen Berufen nicht arbeiten dürfen, etwa als Ärzte, Zahnärzte, Rechtsanwälte, Ingenieure oder Buchhalter. Und dass der palästinensische Präsident Mahmud Abbas – der seit fünf Jahren keinerlei demokratische Legitimation mehr besitzt – in einem künftigen palästinensischen Staat »keinen einzigen Israeli, weder einen Zivilisten noch einen Soldaten«, dulden will. Haben deutsche Medien das eine oder das andere jemals Apartheid genannt? Nein – denn sie widmen Palästinensern stets nur dann ihre Aufmerksamkeit, wenn sie »Opfer« Israels sind. Und das ist bezeichnend.
Tipps zum Weiterlesen: »Der Bus-Skandal« von Chaya Tal, »Das große Bus-Gerücht« von Gerd Buurmann.