Um ehrlich zu sein: Reggae ist mir gleichgültig. Ich kann der Musik nicht viel abgewinnen, andererseits stört sie mich auch nicht, und die dazugehörige Szene war mir immer fremd. Deshalb sagte mir der Name Matisyahu bis vor wenigen Tagen auch nicht viel, und von einem Festival namens »Rototom Sunsplash« hatte ich noch nie etwas gehört oder gelesen. Dass das nun anders ist, liegt daran, dass der besagte Sänger, der eigentlich am kommenden Samstag auf dem seit 1994 stattfindenden alljährlichen Reggae-Großevent in der Nähe von Valencia auftreten sollte, von den Veranstaltern urplötzlich wieder ausgeladen wurde. Der Grund: Matisyahu hatte sich doch tatsächlich ihrer Aufforderung verweigert, eine öffentliche Stellungnahme gegen Israel und für die Gründung eines Staates Palästina abzugeben. Und das disqualifizierte ihn im Nachhinein vom Festival.
Entscheidend vorangetrieben wurde die Ausladung von der lokalen BDS-Dependance in Valencia. »BDS«, das steht für Boykott, Desinvestitionen (also Kapitalabzug) und Sanktionen gegen Israel. Diese notorische Bewegung, die 2005 gegründet wurde, ist in den zehn Jahren ihres Bestehens zu einem international tätigen Zusammenschluss von ideologisch hochmotivierten Aktivisten angewachsen, die alles daransetzen, um dem jüdischen Staat auf so vielen Ebenen wie möglich zu schaden: politisch, ökonomisch, akademisch, sportlich, kulturell. Besonders im akademischen Bereich hat die BDS-Bewegung bereits eine Reihe von »Erfolgen« erzielt, aber auch auf dem kulturellen Sektor treibt sie ihr degoutantes Unwesen. Immer wieder fordert sie Künstler in äußerst aggressiver Weise beispielsweise auf, keine Konzerte im »Apartheidstaat« Israel zu geben, und verlangt von Veranstaltern, keine Israelis einzuladen. Tun sie es doch, müssen sie mit Protesten bis hin zu tumultartigen Störungen rechnen.
Nun ist Matisyahu, der mit bürgerlichem Namen Matthew Miller heißt, zwar kein israelischer, sondern ein amerikanischer Staatsbürger, aber er ist Jude. Und damit ist er für die BDS-Betonköpfe in Valencia hinreichend verdächtig, ein Zionist zu sein, also »einen Staat zu verteidigen, der Apartheid und ethnische Säuberungen betreibt«. Da hilft es auch nichts, dass Matisyahu nur selten (und auch dann nur ungern) über Politik – insbesondere über den israelisch-palästinensischen Konflikt – spricht und seine Musik selbst unpolitisch findet. Denn es genügte schon, dass er vor über fünf Jahren einmal leise Kritik an der einseitig antiisraelischen Medienberichterstattung zur »Gaza-Flottille« übte und 2012 etwas sagte, das historisch gesehen schlechterdings unbestreitbar ist: »Wenn ich es richtig verstanden habe, gab es nie ein Land namens Palästina.« In der antisemitischen Logik von BDS-Aktivisten sind bereits solche Äußerungen nicht weniger als Kapitalverbrechen.
Für die BDS-Gruppe in Valencia stand deshalb fest: Dieser Mann darf nicht auf dem »Rototom Sunsplash«-Festival auftreten. Also versuchte sie, die Veranstalter zu einer Ausladung zu nötigen. Diese hielten anfänglich noch einigermaßen stand – Matisyahus mögliche Sympathie für Israel bedeute ja nicht, dass er die israelische Politik vollumfänglich befürworte, schrieben sie –, doch dann knickten sie ein. Sie bedrängten den Sänger, einen Brief oder ein Video zu veröffentlichen und darin »Position zum Zionismus und zum israelisch-palästinensischen Konflikt zu beziehen«. Als der sich auf diesen Gesinnungstest nicht einlassen wollte, trafen sie flugs ihr Urteil. Matisyahu habe es nicht vermocht, »sich eindeutig in Bezug auf den Krieg und insbesondere hinsichtlich des Rechts des palästinensischen Volkes auf einen eigenen Staat zu erklären«, hieß es in einer Stellungnahme auf der offiziellen Website von »Rototom Sunsplash«. Deshalb habe man sich entschlossen, seinen Auftritt abzusagen. Schließlich habe das Festival in der Vergangenheit stets seine Verbundenheit mit den Palästinensern gezeigt und sich gegen die israelische Besatzung positioniert.
Matisyahu wurde daraufhin deutlich: »Die Veranstalter des Festivals bestanden darauf, dass ich mich persönlich äußere, was ganz klar der Versuch war, mich zu einer Zustimmung zur politischen Agenda der BDS-Bewegung zu drängen«, schrieb er auf seiner Facebook-Seite. »Ganz ehrlich: Es war schrecklich und widerwärtig, dass sie versucht haben, ausgerechnet mich, den einzigen jüdisch-amerikanischen Künstler auf dem Festival, zu politischen Statements zu nötigen. Musste irgendein anderer Künstler politisch Stellung beziehen, um auftreten zu dürfen?« Scharfe Kritik an der Ausladung gab es auch von Ronald S. Lauder, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses. »Dies ist ein klarer Fall von Antisemitismus, und sonst nichts«, sagte er. Der Verband Jüdischer Gemeinden in Spanien äußerte sich ähnlich: Weil Matisyahu Jude sei, werde von ihm »eine politische Positionierung eingefordert, die von den anderen Teilnehmern nicht erwartet wird«.
Am Mittwoch ruderten die Organisatoren von »Rototom Sunsplash« schließlich überraschend zurück und luden Matisyahu wieder ein. Man lehne Antisemitismus wie auch jede andere Form von Diskriminierung der jüdischen Gemeinschaft ab, bitte den Künstler um Verzeihung für das Geschehene und widerrufe die Ausladung, erklärten sie in einer weiteren Stellungnahme. Matisyahu solle wie geplant am Samstag auf der Hauptbühne des Festivals auftreten. Man habe den Fehler gemacht, der von »Druck, Nötigung und Drohungen« geprägten Boykottkampagne der BDS-Gruppe in Valencia nachzugeben, weil man geglaubt habe, dass andernfalls der ungestörte Ablauf des Festivals in Gefahr wäre.
Immerhin: Als Erfolg können die BDS-Aktivisten ihre antisemitische Boykotthetze nun nicht mehr verbuchen. Wenn selbst ein Festival, das ihnen politisch gewiss nicht fern steht, auf Distanz zu ihnen geht, macht das ihre üblen Methoden und Ziele nur umso deutlicher. Matisyahu hat sich bislang noch nicht zur Wiedereinladung geäußert. Und eigentlich ist mir Reggae ja auch gleichgültig. Aber sollte er »Rototom Sunsplash« nun fernbleiben, weil ihm nach dem ganzen unwürdigen und erniedrigenden Zores die Lust vergangen ist, würde ich es schon feiern. Wenn auch bei anderer Musik.