Tröglitz in Sachsen-Anhalt: Wochenlang hetzen Rechtsradikale gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft, der verzweifelte Bürgermeister tritt zurück, Anfang April wird das Haus schließlich in Brand gesteckt, der Dachstuhl brennt völlig aus. Malterdingen in Baden-Württemberg: Ein künftiges Heim für Asylsuchende wird im März unter Wasser gesetzt. Die Täter dringen in das Gebäude ein, drehen die Wasserhähne auf und schrauben die Abflussrohre ab. Beselich-Niedertiefenbach in Hessen: Ebenfalls im März wird ein als Asylunterkunft vorgesehenes Haus mit Stahlkugeln beschossen. Der örtliche Bürgermeister hat wenige Tage zuvor in einer Bürgerversammlung über das Umbauvorhaben informiert und ist anschließend per E-Mail bedroht worden. Escheburg in Schleswig-Holstein: Unbekannte werfen in Februar einen brennenden Benzinkanister in ein Zweifamilienhaus, in das Flüchtlinge aus dem Irak einziehen sollen. Das Gebäude wird dadurch unbewohnbar.
Und das sind nur einige wenige Beispiele von viel zu vielen. Xenophobie hat Hochkonjunktur in Deutschland, schwerpunktmäßig in den östlichen Bundesländern, aber längst nicht nur dort. 150 kriminelle Übergriffe auf Unterkünfte für Flüchtlinge hat das Bundeskriminalamt (BKA) im Jahr 2014 gezählt – ein deutlicher Anstieg gegenüber den Jahren 2013 (58 Fälle) und 2012 (24 Fälle). Auf noch erschreckendere Zahlen kommt die Amadeu-Antonio-Stiftung in ihrer detaillierten Auswertung. Demnach gab es im vergangenen Jahr 79 Übergriffe auf Flüchtlinge, 35 Brandanschläge und 186 sonstige Angriffe auf Unterkünfte sowie 270 xenophobe Kundgebungen und Demonstrationen. In diesem Jahr gab es laut Pro Asyl deutschlandweit bereits 25 Anschläge auf Heime für Asylsuchende, 22 tätliche Angriffe auf Flüchtlinge und 21 fremdenfeindliche Demonstrationen.
Politiker aller Parteien verurteilen diese Angriffe stets pflichtschuldig und versprechen, die Täter zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen. Doch sie tragen selbst dazu bei, dass das Leben für Flüchtlinge in Deutschland unerträglich ist. Seit das Asylrecht im Zuge der Pogromwelle zu Beginn der 1990er Jahre bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurde, ist die Anerkennungsquote gering, die Asylverfahren dauern teilweise quälend lange, und die Zahl der Abschiebungen steigt. Hinzu kommt die inhumane Praxis der Einquartierung von Flüchtlingen in Massenunterkünften, die noch immer gang und gäbe ist. Pro Asyl und andere Flüchtlingsorganisationen fordern deshalb schon länger: »Die Lagerunterbringung muss abgeschafft werden. Das könnte der Bundesgesetzgeber durch die Änderung des Asylverfahrensgesetzes initiieren. Dann allerdings bedarf es großer Anstrengungen auch in Ländern und Kommunen, die Alternative sui generis möglich zu machen: Wohnungen.«
Massiv zu ändern wären außerdem die entwürdigende Zustände in den Ausländerbehörden, die von Betroffenen und Menschenrechtlern seit langem kritisiert werden. Charakteristisch sind Berichte wie jener, den eine Flüchtlingsaktivistin unlängst über das zuständige Berliner Amt verfasst hat: »Die Beamten, die Angelegenheiten für Menschen ohne deutsche (oder EU-) Staatsbürgerschaft regeln sollen, sprechen nur Deutsch. Englisch selten. Sie helfen den Menschen dort nicht weiter, wenn diese dort nicht wissen, wohin genau sie sich wenden müssen, wo Formulare sind etc. Selbst die Schilder sind nicht hilfreich. Die Ausländerbehörde selbst hat in Berlin einen (!) Standort. [… ] Es gibt keine Unterstellmöglichkeit, die Menschen stehen im Regen. Um sieben Uhr werden die Tore von Securitymännern geöffnet. […] Dann beginnt das Gerenne um Wartemarken, mal 20, mal 40, immer unterschiedlich. In den letzten zwei Wochen hat um vier Uhr morgens anstehen nicht gereicht, um eine Wartenummer und damit die einzige Chance zu bekommen, rechtzeitig Visa etc. zu beantragen. […] Die Ausländerbehörde selbst ist ein Skandal. Alles dort. […] Die ganze Struktur ist grausam.«
Gewiss, es gibt sie, die Flüchtlingsinitiativen und politischen Organisationen, die Migranten bei Behördengängen und im Alltag helfen, sie in Sportvereine integrieren und Kundgebungen gegen Rassismus veranstalten. Allein: Das ist der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Der zivilisatorische Firnis in Deutschland ist nach wie vor dünn, und die deutsche Asyl- und Migrationspolitik bleibt eine Katastrophe. Schlimm genug, dass der Einsatz für einschneidende Verbesserungen kaum Wählerstimmen verspricht, sondern eher das genaue Gegenteil. Es bleibt deutsch in Kaltland.
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