Helmut Schön, der die (west)deutsche Fußballauswahl vierzehn Jahre lang, nämlich von 1964 bis 1978, als Coach betreute, ist einer der erfolgreichsten Nationaltrainer aller Zeiten. Er wurde mit seiner Mannschaft 1974 Weltmeister, 1972 Europameister, 1966 Vizeweltmeister, 1976 Vizeeuropameister und 1970 WM-Dritter. Bei 25 WM-Spielen saß er auf der Bank, so oft wie kein anderer Trainer. In ihrem Buch »Die Geschichte der Fußball-Nationalmannschaft« bezeichnen die Autoren Dietrich Schulze-Marmeling und Hubert Dahlkamp die Jahre zwischen 1966 und 1974 als die »spielerisch hochwertigste, ereignisreichste und erfolgreichste Phase in der Geschichte der deutschen Nationalelf«. Schön sei in dieser Zeit der richtige Mann zur richtigen Zeit und am richtigen Ort gewesen. »Autoritäres Gehabe war in diesen Jahren nicht angesagt und hätte nur kontraproduktiv gewirkt«, schreiben sie weiter. »Schön verstand es, die Spieler in ihrem Trachten nach Eigenständigkeit gewähren zu lassen, und war sogar bereit, ein Stück seiner Autorität an einzelne Führungsspieler abzutreten. Sein Erfolgsgeheimnis war sein eher ›undeutscher‹ Führungsstil.«
Das habe vor allem deshalb funktioniert, »weil die Spieler die liberale Politik ihres Trainers mit Einsatzbereitschaft und dem Willen zum Erfolg quittierten«, so Schulze-Marmeling und Dahlkamp. In einem Interview der Fußballzeitschrift »Kicker« vom Dezember 1979 bestätigte Franz Beckenbauer diese Einschätzung: »Helmut Schön war ein Trainer von großem Format und von großer Menschlichkeit. Für uns Spieler kontrastierte er wohltuend von vielen Trainern in den Vereinen. Er hat uns nie zu etwas gezwungen, war das Taktik, war es sonstiges Verhalten. Wenn wir von den Klubs kamen und uns der Schädel brummte von den Problemen, die es dort regelmäßig gab, regulierte Helmut Schön das auf seine ruhige und sachliche Weise. Für den aufkommenden totalen Profityp, der ohnehin wusste, wo es in diesem Geschäft langging, war er genau der richtige Typ Bundestrainer.« Aus einer zunehmend emanzipierten Spielergeneration formte Schön eine Mannschaft, die über Jahre hinweg zur Weltspitze zählte. Zudem sorgte er mit seinem Auftreten dafür, dass der Fußball – und insbesondere die Trainergilde – in Deutschland nicht mehr nur als etwas wahrgenommen wurde, das über Befehl und Gehorsam funktionierte.
Als ich mich mit neun Jahren für Fußball zu interessieren begann, stand gerade die Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien an – jenes Turnier, in dem die von Helmut Schön trainierten Weltmeister schließlich in Cordoba grandios an Österreich scheiterten. Kurz darauf wurde Schön von Jupp Derwall abgelöst, aber ich wusste auch damals schon, was der »Mann mit der Mütze« für den deutschen Fußball bedeutete. Und ich habe seine ruhige, gelassene, souveräne Art bewundert. Einige Jahre später sollte ich die Gelegenheit bekommen, ihn persönlich kennenzulernen, und das auch noch vor laufenden Kameras. Denn am 28. Juni 1983, einen Tag nach meinem vierzehnten Geburtstag, hatte ich das große Vergnügen, Kandidat in der ARD-Quizsendung »Alles oder Nichts« sein zu dürfen. Das Spezialthema lautete: »20 Jahre Fußball-Bundesliga«, der Moderator war Max Schautzer. Um sich für die Show zu qualifizieren, musste man zunächst an einer telefonischen Vorprüfung teilnehmen, die besten zehn wurden dann zum Bayerischen Rundfunk eingeladen und dort einem weiteren Test unterzogen, der schließlich die beiden Teilnehmer an der jeweiligen Sendung hervorbrachte. Einer davon war ich, der andere Ludwig Altweck, ein Lehrer aus dem bayerischen Straubing. Im Studio des Bayerischen Rundfunks in München-Unterföhring traten wir gegeneinander an.
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Ich war damals überrascht, stolz und glücklich, es überhaupt in die Sendung geschafft zu haben. Eine wirkliche Gewinnchance hatte ich mir eigentlich nicht ausgerechnet. Doch es lief wesentlich besser als erwartet, und am Ende der Vorrunde – in der es unter anderem galt, die Fehler in einer vom früheren deutsche Nationaltorwart Sepp Maier im Studio erzählten »Lügengeschichte« herauszufinden – hatte ich genauso viele Punkte gesammelt wie der gegnerische Kandidat. Eine Stichfrage musste nun über das Vordringen in die Finalrunde entscheiden, und da war ich mit der Antwort schneller. Jetzt ging es an eine Art Roulettetisch. Dort gab es nach jeder richtig beantworteten Frage zwei Möglichkeiten: Man konnte entweder aufhören und den jeweiligen Gewinnbetrag einstreichen – oder ihn verdoppeln lassen und einsetzen, mit dem Risiko, alles zu verlieren, falls die nächste Frage falsch beantwortet wird (daher der Name »Alles oder Nichts«). So ähnlich ist es heute bei Jauchs »Wer wird Millionär?«, allerdings endete Max Schautzers Quiz seinerzeit bei maximal 10.000 Mark. Die Fragen stellte stets ein Prominenter, in meinem Fall: Helmut Schön.
Schön hatte mir vor dem Beginn der live ausgestrahlten Quizsendung viel Mut zugesprochen. »Bleib ruhig, du schaffst das«, sagte er – und ich vergaß vor lauter Ehrfurcht glatt meine Aufregung. Außerdem war er doch der Weltmeistertrainer und musste es schließlich wissen. Also blieb ich so ruhig wie möglich und konzentrierte mich auf seine Fragen. Hier ist das Finale der Sendung zu sehen:
Einige Tage später schrieb mein Vater einen Brief an Helmut Schön. Kurz darauf bekam er eine wunderbare Antwort, die ich selbstverständlich gut aufgehoben habe:
Helmut Schön, dieser große Mann, hat zu einem der grandiosesten und unvergesslichsten Tage in meinem Leben beigetragen. Und ich bin noch heute glücklich, dass sich unsere Wege einmal gekreuzt haben. Schön starb am 23. Februar 1996 in seinem Wohnort Wiesbaden. Heute wäre er 100 Jahre alt geworden.
Das obere Foto zeigt (von links nach rechts): Max Schautzer, den Autor dieses Beitrags, Helmut Schön.