In Köln herrscht derzeit helle Aufregung, nachdem Oberbürgermeister Jürgen Roters eine ursprünglich für den Herbst geplante Ausstellung der linken israelischen Vereinigung Breaking the Silence (»Das Schweigen brechen«) abgesagt hat. Diese Wanderausstellung, die in städtischen Räumlichkeiten gezeigt werden sollte, besteht aus privaten Fotos und Videos israelischer Soldaten, die damit ihren Armeealltag dokumentieren wollen – vor allem ihren Dienst in den umstrittenen Gebieten, den aus ihrer Sicht eine Unterdrückung der dort lebenden Palästinenser kennzeichnet. Zur Begründung für die Absage hieß es, es bestehe die Gefahr, dass die Ausstellung – in der Israelis ausschließlich als Täter und Palästinenser ausschließlich als Opfer vorkommen – antisemitische Reaktionen hervorrufen könne. Da sie außerdem Bestandteil einer Veranstaltungsreihe anlässlich des 50-jährigen Bestehens der deutsch-israelischen Beziehungen sowie des 55. Jahrestages des Schüleraustauschs zwischen Köln und seiner Partnerstadt Tel Aviv sein sollte, war sie für Roters »fehl am Platz«, wie ein Sprecher des städtischen Presseamtes sagte. Sie passe nicht zu den Jubiläumsfeiern, die vor allem das Versöhnliche betonen sollten.
Ein erstaunlicher Schritt, wenn man bedenkt, dass die Stadt schon seit Jahren die stramm antisemitische »Klagemauer« des Berufsisraelkritikers Walter Herrmann auf der Domplatte duldet und Kritik daran mit der mehr als fragwürdigen Behauptung zurückweist, es gebe nun mal keine rechtliche Handhabe. Verwunderlich könnte man angesichts der Gründe für die Absage an Breaking the Silence aber auch finden, dass die Gruppe überhaupt eingeladen wurde – die Ausstellung gibt es schließlich schon länger. Entweder wusste der Oberbürgermeister nicht, was der Leiter des zuständigen städtischen Büros für internationale Angelegenheiten, Frieder Wolf, da im Schilde führt. Oder er hat ein Problem erst erkannt, als er sowohl von der israelischen Botschaft in Berlin als auch von der Synagogengemeinde und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Köln darauf hingewiesen wurde, dass es eines gibt. Deren Interventionen führten jedenfalls schließlich zur Ausladung der israelischen Gruppierung.
Klar, dass das umgehend die »Israelkritiker« auf den Plan rief. Der Kölner Stadt-Anzeiger beispielsweise nannte die Absage ein »Politikum mit Skandalpotenzial« und beklagte einen »Ausfall diplomatischer Geistesgegenwart« sowie »Führungsversagen«. Dass die Stadtspitze dem Protest der israelischen Botschaft »und damit dem Druck der Regierung in Jerusalem« nachgegeben habe, bestärke »den klassischen antisemitischen Topos, dass ›die Deutschen immer einknicken, wenn die Israelis Druck machen‹«. Die Süddeutsche Zeitung fand, Jürgen Roters müsse »sich fragen lassen, ob er durch das Verbot nicht genau jene antiisraelischen Reaktionen schürt, die er eigentlich zu verhindern vorgibt«. Ob die diplomatische Vertretung des jüdischen Staates für ihre Einwände vielleicht legitime inhaltliche Gründe haben könnte, wurde gar nicht erst geprüft, denn das Ergebnis stand von vornherein fest: Hat sie nicht, kann sie gar nicht haben, Punkt.
Was daher bleibt, ist das Verdikt, um das es a priori ging: Der mächtige jüdische Staat unterwirft sich auch das Oberhaupt einer deutschen Großstadt, weshalb die zu erwartenden antisemitischen Reaktionen erstens auf sein eigenes Konto gehen und zweitens sogar nachvollziehbar sind. Was die Zeitungen da als Warnung vor dem Antisemitismus ausgeben, ist in Wirklichkeit nicht nur – was schon schlimm genug wäre – eine präventive Entschuldigung von judenfeindlichen Äußerungen. Es attestiert dem irrationalen antisemitischen Ressentiment auch eine rationale Basis, nach dem Motto: Ist ja doch was dran an den ganzen Unterstellungen, wie man sieht. Nach dieser Logik dürfte kein Jude auf dieser Welt irgendetwas tun oder lassen, das der Antisemit als Bestätigung seines Wahns auffassen könnte. Damit aber wird die Ursache für die Feindschaft gegen Juden bei den Juden selbst verortet und nicht bei den Antisemiten. Und genau das tun der Kölner Stadt-Anzeiger und die Süddeutsche Zeitung in ihren Kommentaren.
Der Vorwurf, den man Jürgen Roters tatsächlich machen muss, besteht darin, dass er seinen »kölschen Außenminister« Frieder Wolf nicht schon in der Planungsphase zurückgepfiffen hat. Als der beschloss und verkündete, Breaking the Silence im Zuge der beiden Jubiläen nach Köln zu holen, entstand nämlich eine Situation, aus der Israel nur als das Böse schlechthin hervorgehen konnte. Denn würde man die Ausstellung tatsächlich zeigen, wäre der Tenor der Reaktionen absehbar: Seht her, so schlimm treibt es der Judenstaat mit den Palästinensern, im Grunde nicht viel anders als die Nazis! Schön, dass sich ein paar Kronzeugen gefunden haben, die das bestätigen, was man selbst ohnehin schon immer wusste – und dass sie in Israel marginal sind, liegt bloß daran, dass sie ausgegrenzt und zum Schweigen gebracht werden. Sollte die Ausstellung aber abgesagt werden, dann aus Gründen, die man natürlich ebenfalls bereits kannte: Der israelische Staat will die Wahrheit unterdrücken und bedient sich dazu seiner Lakaien in deutschen Amtsstuben, die aus schlechtem Gewissen wegen des Holocaust bereitwillig kuschen.
Auf eine andere Wahrheit wies der Kölner Schauspieler und Theaterregisseur Gerd Buurmann hin: »Die Ausstellung ›Breaking the Silence‹ bricht in Deutschland kein Schweigen, sondern stimmt lediglich in den Chor der einseitigen Israelkritiker ein. Die Ausstellung sollte in Deutschland daher besser ›Joining the Choir‹ heißen!« In Israel selbst herrscht übrigens ebenfalls kein Schweigen, was die Armee betrifft, im Gegenteil: Ihr Tun wird in der Öffentlichkeit breit und kontrovers diskutiert, es gibt eine Vielzahl von Organisationen – und mit Ha’aretz eine Tageszeitung –, die an dieser Debatte teilnehmen. Breaking the Silence muss sich aber auch kritische Fragen gefallen lassen. Matti Friedman etwa, ein ehemaliger Nahost-Korrespondent der Nachrichtenagentur AP, machte deutlich, dass die Gruppe in ihrem jüngsten Bericht zum Gazakrieg des vergangenen Jahres wie stets nur anonyme Soldaten zu Wort kommen lasse und die Geschehnisse, von denen diese berichten, kein Datum und keine Ortsangabe trügen. So sei eine Überprüfung – und auch die gegebenenfalls erforderliche Einleitung von Straf- und Disziplinarverfahren – schwierig bis unmöglich.
Gelegentlich wird – etwa von Funktionären der Kölner Grünen – die Ausstellung mit dem Argument verteidigt, Breaking the Silence sei ja gerade ein Beleg dafür, wie pluralistisch die israelische Gesellschaft ist. Eine so bizarre wie fadenscheinige Begründung: Hierzulande ist die irre Ansicht, die israelische Armee sei eine der Hamas ähnliche Terrororganisation oder bediene sich gar nationalsozialistischer Praktiken, ausgesprochen stark ausgeprägt, was Umfragen genauso zeigen, wie es die grauenvollen antiisraelischen Demonstrationen des vergangenen Sommers getan haben. Und das Gegenteil würde man, wie der Kölner Blogger Jan S. Weber treffend formulierte, »kaum mit Vorwürfen von nicht überprüfbarem Fehlverhalten israelischer Soldaten aus anonymen Quellen vermitteln können«. In Israel, so Weber weiter, sei die Ausstellung »ein Punkt in einer pluralen gesellschaftlichen Debatte«. In Köln hingegen gebt es diese Debatte nicht: »Hier herrscht bereits die absolute Meinungsmajorität, dass Israel der Aggressor im anhaltenden Konflikt sei.«
Es war deshalb auch zu erwarten, dass die Absage des Oberbürgermeisters nicht das letzte Wort in dieser Angelegenheit sein würde. Die Ausstellung soll nun im kommenden Frühjahr gezeigt werden, »in einem angemessenen Kontext«, wie die Stadt mitteilen ließ, und im Rahmen eines Konzepts, das »der komplexen Situation im Nahen Osten gerecht werden soll« – was auch immer das heißt. Vielleicht ist damit »einfach nur eine Eröffnungsrede von Walter Herrmann bei der Vernissage« gemeint, wie Blogger Weber schreibt. Ausschließen kann man nicht einmal das.