Dass die britische Labour Party ein großes Antisemitismusproblem hat, ist nicht neu, wird derzeit aber wieder besonders deutlich. Bekannte Politiker der Partei vergleichen Israel beispielsweise mit den Nazis oder fordern ernsthaft eine Verlegung des jüdischen Staates in die USA. Der Labour-Vorsitzende will solchen Tendenzen nun zuleibe rücken, ist aber selbst ein Teil des Problems.

Gregor Gysi sagte zu seiner Zeit als Vorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag einmal, es gebe in seiner Partei keinen Antisemitismus, sondern bloß »zu viel Leidenschaft bei der Kritik an Israel«. Das war, um es freundlich zu formulieren, ein arger Euphemismus, und so ist es Ironie des Schicksals, dass Gysi diese »Leidenschaft« im November 2014 schließlich am eigenen Leib zu spüren bekommen sollte, als Mitglieder seiner eigenen Fraktion mitverantwortlich dafür waren, dass er von besonders penetranten »Israelkritikern« nicht nur bedrängt, sondern sogar buchstäblich bis zur Toilette verfolgt wurde. Sowohl dieser Vorfall als auch Gysis Erklärung sind symptomatisch dafür, wie sich linke Parteien in Europa zum jüdischen Staat positionieren und wie sehr der Antisemitismus in den eigenen Reihen heruntergespielt wird. Deutlich wird das derzeit auch und besonders in Großbritannien, wo verschiedene Funktionäre der Labour Party einmal mehr mit üblen israelfeindlichen Äußerungen auffällig geworden sind. Der Parteivorsitzende Jeremy Corbyn versucht gleichwohl zu beschwichtigen: »Es gibt kein Problem. Wir sind gegen jede Form von Antisemitismus.«

Kurz vor diesem Statement war mit Ken Livingstone eines der prominentesten Parteimitglieder mal wieder aus der Rolle gefallen. Der frühere Bürgermeister von London – der schon in der Vergangenheit kaum eine Gelegenheit ausgelassen hatte, um antisemitische Stereotypen zu verbreiten – hatte gesagt, Hitler habe bis 1932 die Auswanderung von Juden nach Israel befürwortet und damit »die Zionisten unterstützt, bevor er schließlich durchdrehte und sechs Millionen Juden ermordete«. Diese infame Gleichsetzung des Zionismus mit dem Nationalsozialismus – bei der aus handfesten ideologischen Gründen der Unterschied zwischen einer freiwilligen Besiedlung und einer Deportation eingeebnet wird – ist in »antizionistischen« Kreisen seit jeher höchst populär. Weiter sagte Livingstone, er sei seit 40 Jahren in der Partei und habe »viel Kritik am Staat Israel und an seiner Misshandlung der Palästinenser gehört, aber nie jemanden, der antisemitisch war«. Der Spiegel, in den der 70-Jährige nicht schauen wollte, wurde ihm schließlich von John Mann vorgehalten, einem Parteikollegen: Er bezeichnete den »Roten Ken« vor laufenden Kameras als »Nazi-Apologeten«.

Israel ist wie Hitler und muss in die USA deportiert werden

Anlass für Livingstones neuerliche Entgleisung waren die Reaktionen auf Äußerungen der Labour-Unterhausabgeordneten Naz Shah. Diese hatte auf ihrer Facebook-Seite allen Ernstes vorgeschlagen, den Staat Israel aus dem Nahen Osten in die USA zu verpflanzen. Die dabei anfallenden »Transportkosten« seien nämlich geringer als die Verteidigungsausgaben in einem Zeitraum von drei Jahren, die britischen Steuerzahler würden jährlich um drei Milliarden Pfund entlastet, und im Nahen Osten könne endlich der Frieden Einzug halten. »Problem gelöst«, kommentierte Shah in ihrem Posting, das vom August 2014 datiert, aber erst jetzt einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde. Auf die daraufhin einsetzende heftige Kritik reagierte die Parlamentarierin mit der Bitte um Verzeihung. Der Parteivorsitzende Corbyn wollte es zunächst dabei bewenden lassen, bevor er sich schließlich doch zu einer Suspendierung Shahs entschloss. Ken Livingstone hingegen glaubte, seine Parteifreundin mit der Behauptung, Hitler sei zunächst Zionist gewesen und habe die Umsiedlung von Juden befürwortet, in Schutz nehmen zu können. Offenbar ging er davon aus, die Kritik an Naz Shah auf diese Weise entkräften zu können. Auch er wurde schließlich aus der Partei ausgeschlossen – »vorläufig«, wie es heißt.

Jeremy Corbyn hat nun, da nicht nur die öffentliche, sondern auch die interne Kritik an den antisemitischen Umtrieben der Labour Party zunimmt, gezwungenermaßen eine Untersuchung dieser Tendenzen durch unabhängige Experten in die Wege geleitet. In zwei Monaten sollen die Ergebnisse präsentiert werden. Die Experten täten allerdings gut daran, sich auch die Aktivitäten des Parteivorsitzenden einmal näher anzusehen, denn dieser ist erkennbar ein Teil des Problems: Corbyn zählt beispielsweise die Terrorbanden Hisbollah und die Hamas zu seinen Freunden, Letztere bezeichnete er 2009 in einer Rede gar ernsthaft als »Organisation, die dem Wohle des palästinensischen Volkes dient und dauerhaften Frieden sowie soziale und politische Gerechtigkeit im gesamten Nahen Osten bringt«. Auch die »Palestine Solidarity Campaign« – eine 1982 gegründete britische Organisation, die immer wieder mit antijüdischen Cartoons und kruden Verschwörungstheorien auffällt – unterstützt der 66-Jährige. Den notorischen Pfarrer Stephen Sizer, der Israel unter anderem für die Terroranschläge des 11. September 2001 verantwortlich macht, verteidigte Corbyn ebenfalls.

Der Parteivorsitzende ist ein Teil des Problems

2012 pries er zudem in einer Ansprache den antisemitischen Hassprediger Scheich Raed Salah, einen Führer des nördlichen Zweiges der »Islamischen Bewegung« in Israel, als »ehrenwerten Bürger«, der »sein Volk extrem gut vertritt und eine Stimme ist, die gehört werden muss«. Corbyn – der bereits im März 2011 gemeinsam mit Salah in Genf an einer »Konferenz für die palästinensischen Häftlinge in Israel« teilgenommen hatte – lud ihn sogar ins Parlament ein und versprach: »Sie werden herzlich willkommen sein, und ich freue mich darauf, mit Ihnen auf der Terrasse einen Tee zu trinken, denn den haben Sie sich verdient.« Der so Umworbene hatte einige Jahre zuvor in einer Predigt in Jerusalem vor einer großen Menschenmenge die alte antijüdische Ritualmordlegende verbreitet und war daraufhin wegen Aufstachelung zur Gewalt von einem israelischen Gericht zu einer achtmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Auch mit Verschwörungstheorien zu »Nine-Eleven« fiel Salah auf. Überdies hatte er bereits 2003 eine zweijährige Haftstrafe in Israel wegen finanzieller Unterstützung der Hamas und Kontakten zum iranischen Geheimdienst verbüßt.

Und während der Parteivorsitzende mit veritablen Judenhassern packelt, erhält Luciana Berger, eine jüdische Labour-Parlamentarierin, Tausende von antisemitischen Beschimpfungen, Beleidigungen und Drohungen. Darunter sind Karikaturen, die sie mit einer Hakennase zeigen, Fotos, auf denen ihr ein gelber Stern auf die Stirn montiert wurde, Aufforderungen, nach Israel zu verschwinden, und Ankündigungen, sie zu vergewaltigen oder zu töten. Auf Twitter veröffentlichte Berger eine Auswahl dieser Hassbotschaften und kommentierte sie mit den Worten: »Für diejenigen, die daran zweifeln, sind hier ein paar Schnappschüsse, die zeigen, wie Antisemitismus im Jahr 2016 aussieht. Er ist sehr reell.« Auch und nicht zuletzt in der Labour Party selbst.

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