Claudia Roth ist, wer würde das bestreiten wollen, eine wirklich bemerkenswerte Politikerin. Lange Jahre war sie Bundesvorsitzende der Grünen in Deutschland, inzwischen ist sie zur Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages aufgestiegen, und niemand kann versprechen, dass sie damit schon das Ende der Karriereleiter erreicht hat. Die gebürtige Ulmerin ist modern, weltgewandt und polyglott, wie sie auch in ihren zahlreichen Interviews immer wieder eloquent unter Beweis stellt. An der Türkei etwa mag sie nicht nur Sonne, Mond und Sterne, die Menschen, Kichererbsenpüree und Börek, sondern auch die Konflikte – „es gibt immer wieder Probleme“, sagt sie mit einem glücklichen Lächeln. Nicht so gerne mag sie dagegen die Unterdrückung von Frauen. Die hat sie, so steht es in ihrem Wikipedia-Eintrag, 1980 sogar dazu bewogen, aus der katholischen Kirche auszutreten.
Nun hat man es zwar auch im Iran nicht so mit der Gleichberechtigung, fast könnte man geneigt sein zu sagen: Verglichen mit dem dortigen Regime ist der Vatikan geradezu aufgeschlossen. Aber okay: Andere Länder, andere Sitten, also her mit dem Kopftuch und ab nach Teheran. Fünf Tage lang war Claudia Roth Ende Januar dort, und mal ehrlich: Unter den Porträts der „Revolutionsführer“ Khomeini und Khamenei haben schon Menschen unglücklicher aus der Wäsche geschaut als sie. In Gegenwart des iranischen „Parlamentspräsidenten“ Ali Larijani lächeln ebenfalls nicht alle so freundlich wie die grüne Galionsfigur. Als Larijani beispielsweise auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor fünf Jahren die Leugnung des Holocaust verteidigte, fanden das manche nicht ganz so lustig. Böse Zungen behaupten sogar, er habe das völlig ernst gemeint.
Claudia Roth hingegen freut sich erkennbar, wenn sie auf Vertreter des iranischen Regimes trifft. Bei der Sicherheitskonferenz in München vor zwei Jahren gab es sogar ein beherztes „High Five“ zwischen ihr und dem iranischen Botschafter in Deutschland. Nicht jeder sah das gerne, es gab deshalb Kritik an ihr, so wie auch jetzt, während ihres Trips nach Teheran und danach. Eine große deutsche Boulevardzeitung etwa fragte angesichts ihres Treffens mit dem besagten Ali Larijani: „Warum besuchen Sie einen Judenhasser, Frau Roth?“ Das machte die Angesprochene traurig, wütend und betroffen, weshalb sie Zeit Onlineersuchte, per Gastbeitrag widersprechen zu dürfen. Dieser Bitte wurde auch entsprochen, allerdings unter der Überschrift „Warum man mit ‚Judenhassern‘ reden muss“, was Roth „missverständlich“ fand. Nun steht dort: „Warum man mit dem Iran reden muss“. (Um die verschämten Anführungszeichen ging es also gar nicht.)
Doch irgendwie stimmt das auch nicht so ganz, schließlich erklärt Roth im Text selbst: „Es gibt nicht denIran, deniranischen Staat oder dieiranische Politik“, sondern vielmehr „unterschiedliche Lager und Interessengruppen innerhalb jedes Ministeriums, im Parlament, zwischen den zahlreichen Sicherheitsapparaten, ja sogar innerhalb des Klerus“. Diese Lager beäugten sich gegenseitig misstrauisch und seien „immer auf dem Sprung, der Gegenseite eine Niederlage zuzufügen“. Fast wie zu Hause also, könnte man sagen, zumal bei den Grünen, die ja auch mal „Fundis“ und „Realos“ hatten. Nur dass die vermeintlichen Reformer im Iran selbst ein integraler Bestandteil der „Islamischen Republik“ sind und deren Grundfesten nicht im Geringsten angetastet sehen wollen. Bandenund Racketswären deshalb vielleicht passendere Begriffe als „unterschiedliche Lager und Interessengruppen“, nur klingt das natürlich nicht so diplomatisch.
Ein paar Fragen gäbe es womöglich ebenfalls noch, aber es ist ja auch alles so schrecklich kompliziert. „Verfolgung von Oppositionellen, die gesteigerte Zahl von Todesurteilen nach der Wahl des reformorientierten Präsidenten Rouhani oder rhetorische Kampfansagen gegen ‚den Westen‘ sind immer auch Waffen der reaktionären Kräfte zur Schwächung und Blamage der Moderaten“, schreibt Claudia Roth. Ein reformorientierter Präsident, nach dessen Wahl mehr Oppositionelle verfolgt und mehr Menschen hingerichtet werden? Ist Hassan Rouhani am Ende gar nicht so moderat, sondern eher „das freundliche Gesicht des Terrors“, wie Stephan Grigat befand? Roths Gesprächspartner Ali Larijani und Massoumeh Ebtekar – die Sprecherin der Geiselnehmer in der amerikanischen Botschaft in Teheran anno 1979 – sind eigentlich ebenfalls Stützen des Regimes und nicht dessen Kritiker. Aber egal: Reden, darum geht es, und reden ist ja auch das, was Claudia Roth am besten kann und am liebsten tut.
Und wenn man reden und verhandeln will, zumal über die Menschenrechte, muss man schon mal über seinen Schatten springen und Fünfe gerade sein lassen. Diese Disziplinen beherrscht Roth ebenfalls exzellent. Und warum auch nicht im Kopftuch über Frauenrechte sprechen oder mit einem Antisemiten darüber streiten, ob es den Holocaust gegeben hat? Selbst das grüne Lieblingsthema „Nutzung der Atomkraft“ ist für sie kein Tabu – das heißt, in Deutschland schon, nicht aber im Iran, denn: „Wenn der Frieden nicht nur im Nahen Osten, sondern darüber hinaus wieder eine Chance bekommen soll, dann muss man jetzt dahin gehen, wo keine einfachen Lösungen zu erwarten und wo schwierige Gespräche zu führen sind.“ Steht das iranische Nuklearprogramm dann erst in voller Blüte, könnte tatsächlich bald, nun ja, Frieden werden, namentlich nach einem Atomschlag gegen den jüdischen Staat, diesen „großen zionistischen Satan“, wie der moderate Reformer Rouhani ihn nennt. Vielleicht gibt es ja doch einfache Lösungen.
Und wenn nicht, wird es an Claudia Roth jedenfalls nicht gelegen haben – der Frau, die mit dem Iran redet, obwohl es denIran ja eigentlich gar nicht gibt. Ein paar iranische Frauen haben übrigens gegen die deutsche Politikerin protestiert, wegen Kopftuch und so. Was müssen das für verbiesterte Feministinnen gewesen sein!