Sepp Blatter – for the good of the game!

Es ist wirklich höchste Eisenbahn, einmal ein Plädoyer für Sepp Blatter zu formulieren, jenen verdienten Präsidenten des Weltfußballverbands, auf den jetzt alle so vehement eindreschen. Denn dieser Mann kann, nein: musseinem doch aufrichtig leid tun. 79 Lenze zählt er schon, das ist ein Alter, in dem andere längst mit ihrem Schaukelstuhl tiefe Kerben ins Ahornparkett wippen. Aber der honorige Sepp, der ist weiter vitalstmöglich für den schönsten Sport der Welt unterwegs, und das sogar an vorderster Front, nämlich bei der FIFA. »Mein Vater sagte immer: Ausruhen kannst du auf dem Friedhof«, hat er kürzlich gegenüber der Zürcher SonntagsZeitung einen bewegenden Einblick in seine Familiengeschichte gewährt. Und wer dankt es ihm? In Europa jedenfalls so gut wie niemand, da wird nur auf ihn geschimpft, da wird er nur verspottet und der Korruption geziehen. Dabei tut er das, was er tut, gar nicht für sich selbst, sondern für den Fußball, also letztlich für uns alle. »For the good of the game«, wie die FIFA und mit ihr der Sepp immer sagt.

Vor allem liberal gesinnte Geister fluchen auf den Sepp. Dabei ist er doch zum Beispiel ein großer Freund und Förderer der weiblichen Balltreterei. Erst kürzlich hat er gegenüber der BBC bekannt – ganz bescheiden, wie es seine Art ist: »Ich würde nicht sagen, dass der Frauenfußball mein Baby ist, aber ich verstehe mich ein bisschen als der Godfather der Organisation des Frauenfußballs.« Deshalb hat die FIFA jetzt, rechtzeitig vor der anstehenden Frauen-WM in Kanada, auch Geschlechtstests durchführen lassen – es soll halt sichergestellt sein, dass da nicht irgendwelche genmanipulierten Mannweiber oder androgynen Kampflesben den Wettbewerb verzerren. Schon vor elf Jahren hat der Sepp in der Schweizer Boulevardzeitung Sonntagsblick vorgeschlagen: »Lassen wir Frauen doch in anderen Tenüs spielen als Männer.« Dafür haben ihn verklemmte Lustfeinde einen Sexisten gescholten, dabei wollte er bloß, dass mehr Männer beim Frauenfußball zuschauen. For the good of the game!

Auch für andere Minderheiten schlägt dem Sepp sein Herz. Den Rassismus zum Beispiel hat er verbieten lassen, und seitdem gibt es ihn nicht mehr, jedenfalls nicht beim Fußball. Oder hat man schon mal gehört, dass die FIFA irgendwo gegen Rassismus vorgegangen ist? Na also. Auch Homosexuelle mag der Sepp sehr, deshalb hat er ihnen für- und vorsorglich empfohlen, in Katar während der WM 2022 auf Geschlechtsverkehr zu verzichten. So kann ihnen dort nämlich nichts passieren. Juden haben in dem Emirat ebenfalls nichts zu befürchten – jedenfalls, wenn sie gar nicht erst einreisen. Okay, das mit den Israelis könnte eventuell ein Problemchen geben, aber die qualifizieren sich sowieso nicht, und wenn doch, kann man den palästinensischen Verband einfach bitten, noch mal schnell einen Ausschlussantrag zu stellen. Dem wird dann endlich stattgegeben, wegen der Menschenrechte und so. Der Sepp ist ja erwiesenermaßen ein großer Freund der Menschenrechte. For the good of the game!

Genau deshalb finden die nächsten Weltmeisterschaften auch in Russland und Katar statt. Denn was könnte den Menschenrechten dort auf die Sprünge helfen, wenn nicht der Fußball? Und wer, wenn nicht der Sepp? Sehr zu Recht hat er bereits vor neun Jahren festgestellt: »Wo Fußball gespielt wird, wird nicht gekämpft. Wenn also alle Menschen Fußball spielen würden, gäbe es keine Kriege – aber es spielt nicht jeder Fußball.« So banal, so zutreffend. Und: »Die FIFA ist durch die positiven Emotionen, die der Fußball auslöst, einflussreicher als jedes Land der Erde und jede Religion.« Wer würde da widersprechen wollen? Außerdem ist es doch ungemein sympathisch, dass der Sepp sich nicht als Anwalt der Großkopferten versteht, ganz im Gegenteil, wie er der FAZ mal gesteckt hat: »Ich bin der Präsident derjenigen, die mehr Mühe hatten, im internationalen Konzert mitzuspielen. Also wenn man so will, bin ich der Präsident der Kleinen.« Da steht einer für Gleichheit, für Gerechtigkeit, für Großmut! For the good of the game!

Der Mann hat sich, sein Leben und sein Wirken einfach ganz dem Fußball verschrieben. Nichts anderes als seine pure Leidenschaft treibt ihn, nichts anderes motiviert ihn. Geld hat der Mann doch wahrlich schon genug, und glücklich macht es auch nicht. Deshalb liegt der Sepp ganz richtig, wenn er die Bedeutung und das Ziel seines Weltverbandes so beschreibt: »Die FIFA pflegt, wie die Kirche, ein kulturelles Gut. Ball und Spiel. Alles basiert auf der Ideologie des Balls.« Und diese Ideologie ist sehr erfolgreich: »Wir haben festgestellt, dass der Fußball mehr Anhänger hat als die katholische Kirche.« Das kann kein Zufall sein, zumal auch die Biologie ihren Teil dazu beiträgt, wie der Sepp ganz richtig erkannt hat: »Das ungeborene Kind im Mutterleib boxt nicht mit den Händen, es benutzt nicht den Kopf – es kickt.« Deshalb ist auch der Tag nicht mehr fern, an dem der Fußball über unsere Erde hinaus expandieren wird: »Wir sollten uns fragen, ob unser Spiel eines Tages auf einem anderen Planeten gespielt wird. Wir hätten dann nicht nur eine Weltmeisterschaft, sondern interplanetare Wettbewerbe.« For the good of the game!

Wenn man den Sepp so sprechen hört, kann man ihm nur beipflichten, wenn er sagt: »Ich brachte menschliche Wärme in den Betrieb.« Umso härter muss es ihn getroffen haben, dass nun FIFA-Funktionäre aus seinem direkten Umfeld festgenommen worden sind. Menschen, denen er vertraut, Menschen, mit denen er Überzeugungen geteilt hat. Es spricht für ihn und seine zutiefst rechtsstaatliche Haltung, dass er die Ermittlungen nun unterstützt. Dabei hätte er allen Grund, hellauf empört darüber zu sein, dass sich ausgerechnet die Amis, denen sein geliebter Fußball doch so herzlich wumpe ist, nun zum Retter dieses Sports aufschwingen – und wie zum Hohn auch noch eine schwarze (!) Frau (!!) namens Lynch (!!!) auffahren, um diese Rettung zu annoncieren. Außerdem hätten sich die Schwierigkeiten – und um mehr handelt es sich ja nicht (»Krise? Was ist eine Krise? Die Fifa befindet sich in keiner Krise«) – ganz anders aus der Welt schaffen lassen, wie der Sepp schon früher immer wieder betont hat: »Wenn wir Probleme haben in der Familie, dann lösen wir die Probleme in der Familie und gehen nicht zu einer fremden Familie.« For the good of the game!

Wünschen wir uns also, dass Sepp Blatter, dieser große Mann, auf dem anstehenden FIFA-Kongress wiedergewählt wird – und dass nicht dieser jordanische Prinz, der ohne die Patronage vom Sepp niemals zum Vizepräsidenten des Weltfußballverbands aufgestiegen wäre, sein Amt übernimmt. Die undankbaren UEFA-Verbände wollen zwar für diesen Prinzen stimmen, haben sich aber immerhin daran erinnert, dass sie ja Teil der Familie sind und sich ein Boykott deshalb nicht geziemt. Außerdem haben sie dem Sepp doch so unendlich viel zu verdanken – und nicht nur sie, sondern wir alle. Deshalb kann die Parole nur lauten: Sepp muss Präsident bleiben! For the good of the game!

Alle Zitate sind einer Zusammenstellung der Süddeutschen Zeitung vom 28. Mai 2015 entnommen.

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