Hassan Rouhani, der iranische Präsident, wird im Westen von vielen nach wie vor als »pragmatischer Reformer« gehandelt, als »bärtiger Hoffnungsträger« gar, der »sein Land aus der außenpolitischen Isolation führen und den verarmten Bürgern helfen« will (»taz«). Westlichen Politikern gilt er als einer, mit dem man konstruktiv reden und verhandeln kann – auch über das iranische Atomprogramm – und der weitaus weniger rabiat und kleingeistig auftritt als sein Amtsvorgänger Mahmud Ahmadinedschad. In einem lesenswerten Beitrag für die Zeithat Stephan Grigat frühzeitig mit diesem Mythos vom moderaten Machthaber aufgeräumt. Rouhani sei, schrieb der Wiener Politikwissenschaftler, nichts weiter als »das freundliche Gesicht des Terrors« und dabei »spielend in der Lage, in jenem pseudodiplomatischen Jargon zu sprechen, der bei feinfühligen Europäern ankommt«. Weder an den Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel noch an der innenpolitischen Lage werde sich unter seiner Regentschaft etwas zum Guten ändern. Dafür sei Rouhani viel zu sehr mit dem System der »Islamischen Republik« verwachsen und immer eine seiner Stützen gewesen.
Der italienische Politikwissenschaftler und Iran-Fachmann Emanuele Ottolenghi sieht das genauso. »Das Einzige, was sich verändert hat, ist die Toleranz des Westens gegenüber Menschenrechtsverletzungen im Iran«, sagte er zur Bild-Zeitung. »Denn mit einem Atom-Deal in Aussicht und dem Blick auf gute Wirtschaftsbeziehungen spielen die westlichen Akteure die abgrundtief schlechte iranische Menschenrechtsbilanz gerne herunter.« Hassan Rouhani sei »das Aushängeschild, der Poster-Boy des Sicherheitsapparats« und ein »Kleriker, dessen politische Qualifizierung daher stammt, dass er sein gesamtes berufliches Leben lang im repressiven Geheimdienst- und Sicherheitsapparats seines Landes gearbeitet hat«. Jede organisierte und effektive Opposition im Iran, so Ottolenghi weiter, sei »bei der blutigen Niederschlagung der Proteste nach den Wahlen 2009-2010 vom Regime zerschmettert« worden.
Unter Rouhanis Präsidentschaft hat sich die Zahl der Hinrichtungen sogar noch einmal erhöht. 721 Exekutionen hat das Iran Human Rights Documentation Centerfür das Jahr 2014 gezählt, davon wurden 268 vom Regime selbst bekannt gegeben. 220 waren es bislang in diesem Jahr, davon sind 67 offiziell bestätigt. Einer, der Ende des vergangenen Jahres zum Tode verurteilt wurde, ist der 30-jährige Fotograf und Blogger Soheil Arabi. Gemeinsam mit Nastaran Naimi, seiner Ehefrau, war er im November 2013 von den iranischen Revolutionsgarden in seiner Wohnung verhaftet und ins berüchtigte Teheraner Evin-Gefängnis verbracht worden. Nach Auskunft von Naimi, die nach einigen Stunden wieder freigelassen wurde, räumte Arabi dort unter Folter ein, auf Facebook den Propheten Mohammed und den Revolutionsführer Ali Khamenei beleidigt zu haben. Im September 2014 verhängte ein Revolutionsgericht in Teheran deshalb die Todesstrafe.
Diese wird nach iranischem Recht jedoch nicht vollzogen, wenn »ein Angeklagter angibt, eine Aussage unter Zwang, fahrlässig oder in einem Rauschzustand gemacht zu haben«. Genau darauf berief sich Arabi, als das Urteil vom Obersten Gerichtshof im November des vergangenen Jahres geprüft wurde. Doch vergeblich: Die Strafe wurde nicht nur bekräftigt, sondern wegen der »Verbreitung von Verdorbenheit« – ein extrem dehnbarer Tatvorwurf, mit dem jede dem Regime nicht genehme Äußerung kriminalisiert werden kann – sogar noch einmal erweitert. Damit ist das Urteil endgültig nicht mehr reversibel, eine Begnadigung ist ausgeschlossen. Wegen ein paar kritischer Facebook-Einträge soll Soheil Arabi nun erhängt werden. Die fünfjährige Tochter wisse noch nichts davon, dass ihr Vater in Haft ist und jederzeit hingerichtet werden kann, sagte Nastaran Naimi zu Human Rights Watch. »Wir haben ihr erzählt, dass er zum Arbeiten weggegangen ist.«
Amnesty Internationalruft zum Protest gegen das Todesurteil auf, auch in den sozialen Netzwerken regt sich Widerstand. Der Richterspruch gegen Arabi ist längst nicht der erste gegen Internetaktivisten in der jüngeren Vergangenheit. »Die Verfolgung von Journalisten und Bloggern hat seit der Amtseinführung von Hassan Rouhani im August 2013 deutlich zugenommen«, schreibt das Netzwerk Publikative.org, etwa 65 von ihnen sitzen nach Angaben der Reporter ohne Grenzenmomentan in iranischen Gefängnissen. In der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit belegt der Iran derzeit Platz 173 von 180. Im Mai 2014 ließ das Regime sogar sieben Menschen verhaften, die in Teheran ein eigenes, völlig harmloses Video zum Song »Happy« von Pharrell Williams gedreht und ins Netz gestellt hatten. Im gleichen Monat wurden acht Facebook-User zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt, weil sie den Staat beleidigt und sich blasphemisch geäußert haben sollen.
»Nur wenn wir das Regime einen hohen Preis für sein Verhalten zahlen lassen, können wir den gequälten Dissidenten im Land Trost und Hoffnung spenden«, sagt Emanuele Ottolenghi. Doch stattdessen kommt der Westen den iranischen Machthabern schon seit einer ganzen Weile wieder entgegen und sucht eifrig die Kooperation. Die bedrängte Opposition wird damit noch weiter geschwächt. Statt eines Regime-Change stehen weitere Exekutionen bevor, während außenpolitisch die Gefahr für Israel durch das iranische Atomprogramm nicht geringer geworden ist – ganz im Gegenteil. Es müsste deshalb darum gehen, »das iranische Regime an der Fortsetzung seiner Projekte zu hindern«, wie Stephan Grigat schrieb. Das bedeutet: »Es muss neben scharfen Sanktionen auch eine eindeutige militärische Drohung geben.« Und es muss »darüber diskutiert werden, was passieren soll, wenn weder Sanktionen noch politischer Druck helfen und die iranische Freiheitsbewegung nicht in der Lage ist, die religiösen Herrscher zu stürzen – was die mit Abstand beste Lösung wäre«.