Zu den großen Irrtümern gehört es, die Uno für etwas Grundgutes, Vernünftiges und Überparteiliches zu halten und in ihr gewissermaßen die globale Hüterin der Menschenrechte zu sehen. Gewiss, die Vereinten Nationen waren ursprünglich, wie Lotta Grinstein in einem sehr lesenswerten Beitrag für die Zeitschrift Phase 2 schrieb, ein »antifaschistisches Kriegsbündnis«, gegründet, um »künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat« – so steht es in der Präambel der UN-Charta. Doch bereits in ihrer Gründungsphase offenbarte sich, wie Grinstein weiter analysierte, »der unauflösbare Gegensatz zwischen der idealistischen Vorstellung universeller Menschenrechte und der harten Realität nationalstaatlicher Souveränität, der die UN immer begleiten wird«.
Während die Gründungsmitglieder in ihrer Mehrzahl aber immerhin bürgerliche Demokratien waren, änderten sich die Kräfteverhältnisse im Zuge der Dekolonisierung: »Eine Vielzahl neu gegründeter oder unabhängig gewordener Staaten strömte in den sechziger und siebziger Jahren in die UN, von denen sich viele allzu bald als despotische Regime konsolidierten und die Gründungsideale der UN häufig als Neokolonialismus verunglimpften, um damit die Menschenrechtsverletzungen an ihren BürgerInnen zu überdecken.« Gleichzeitig blieben die grundsätzliche Struktur der Vereinten Nationen und ihr Modus Operandi bestehen. Weiterhin gilt: ein Staat – eine Stimme. »Die Qualität der internationalen Menschenrechtspolitik wird dementsprechend zu einer Frage der Mehrheit«, konstatierte Lotta Grinstein in der Jungle World, und diese Majorität ist mittlerweile »in fast allen UN-Gremien, den Sicherheitsrat ausgenommen, auf der Seite der arabischen und islamischen Länder«.
Diese Staaten verfügen beispielsweise im UN-Menschenrechtsrat über rund ein Drittel der Stimmen und sind gemeinsam mit vielen »blockfreien« Ländern – sowie immer wieder mit Russland und China – in der Überzahl. Innerhalb dieser Mehrheit unterstützt man sich gegenseitig, wählt sich in verschiedene Gremien und sorgt dafür, dass Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land nicht zur Sprache gebracht werden. Gleichzeitig erwidern die Autokratien, Despotien und Diktaturen in der Uno seit dem Sechstagekrieg von 1967 die westliche Kritik an ihren Menschenrechtsverstößen immer wieder mit lautstarken Angriffen auf Israel – um auf diese Weise ein eigenes Engagement in Menschenrechtsfragen zu simulieren. So und nicht anders erklärt sich die exorbitant große Zahl an Resolutionen, in denen der jüdische Staat verurteilt wird.
Auch der vor wenigen Tagen getroffene, absurde Beschluss der UN-Frauenrechtskommission, Israel als einziges Land der Welt für die Verletzung von Frauenrechten an den Pranger zu stellen, resultiert aus dieser Verfasstheit. Gleiches gilt für eine ganze Reihe weiterer Entscheidungen, Berichte und Maßnahmen, von denen hier nur einige aus der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit beispielhaft genannt seien:
- Die Generalversammlung der Uno verabschiedete auf ihrer Sitzung zu Beginn dieses Jahres nicht weniger als 20 Resolutionen, in denen Israel kritisiert wurde – und nur drei gegen andere Länder (nämlich Syrien, Nordkorea und den Iran).
- Ein Drittel aller Resolutionen und Entscheidungen, die der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen seit seinem Bestehen verabschiedet hat, richtet sich gegen den jüdischen Staat.
- Bei den derzeit laufenden, turnusmäßigen Sitzungen des Menschenrechtsrates sieht die Agenda unter Punkt 4 die Beschäftigung mit Menschenrechtsverletzungen weltweit vor. Doch es gibt eine Ausnahme: Die »menschenrechtliche Situation in Palästina und anderen besetzten arabischen Gebieten« hat einen eigenen Tagesordnungspunkt. Sieben Berichte und vier Resolutionen werden sich explizit gegen Israel richten. Die Zahl der Berichte und Resolutionen, die etwa Pakistan, Katar, Saudi-Arabien oder den Sudan betreffen, wird sich auf null belaufen.
- In Kürze wird der Menschenrechtsrat zudem seinen Abschlussbericht zum Krieg zwischen der Hamas und Israel im vergangenen Sommer vorlegen. Dass er wie schon der Goldstone-Report vor sechs Jahren eine Philippika gegen Israel sein wird, ist sehr wahrscheinlich. Hillel Neuer, der Geschäftsführer der Uno-kritischen NGO UN Watch, hat am Beispiel des Goldstone-Reports gezeigt, wie solche Berichte zustande kommen, welches Personal die Uno dafür aufbietet und welche Rolle der Hohe Kommissar für Menschenrechte dabei spielt.
- Die Uno unterhält zwei Flüchtlingshilfswerke: den UNHCR und die UNRWA. Letztere ist nur für die Palästinenser zuständig, Ersterer für alle anderen Flüchtlinge auf dieser Welt. Wie sich die »Hilfe« der UNRWA konkret darstellt und inwiefern diese Einrichtung mit freundlicher Unterstützung aus Europa den palästinensischen Terrorismus fördert, hat der Journalist Stefan Frank eingehend analysiert.
Wenn Israel also wieder einmal von einem UN-Gremium verurteilt wird, sagt das wenig bis nichts über den jüdischen Staat aus, dafür aber eine ganze Menge über die elende Gegenwart der Vereinten Nationen. Deren selektive und einseitige Resolutionen untergraben »das Kernprinzip, wonach Menschenrechtsstandards universell sind, und treiben die Parteien weiter auseinander«, wie Hillel Neuer im November 2013 schrieb. »Es ist die Uno, die sich dafür entschuldigen sollte, dass sie Israel als Sündenbock benutzt und dass sie den jüdischen Staat als Metakriminellen, dem für alle Übel der Welt die Schuld zu geben ist, dämonisiert und delegitimiert«, so Neuer weiter. Vor allem aber müsse sie sich »dafür entschuldigen, die Schreie der Millionen echter Opfer von Menschenrechtsverletzungen in aller Welt zu ignorieren – und diese Opfer zu verhöhnen«.
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