Farbe bekennen

Eine Replik zur „Weißen Partei“, wie Nina Hoppe sie vorschlägt

Die Idee ist gut: Unsichtbare Nichtwählerinnen und wütend protestwählende Wahlberechtigte zu kanalisieren und durch leere Sessel im Parlament sichtbar werden zu lassen. Nina Hoppe hat dies in ihrem Blog hiervorgeschlagen. Vielleicht sollte man sich dieses Konzept am Beispiel der letzten NR-Wahl in Österreich von 2013 vor Augen führen:

Bei einer Wahlbeteiligung von 74,9 % konnte die SPÖ mit 26,8% der gültigen Stimmen die Wahl gewinnen. Der Koalitionspartner ÖVP blieb mit 24% sogar unter einem Viertel. Die Regierungskoalition hat also etwa 37,5% der Wählerinnen hinter sich. Zum Vergleich: 1975 lag die Wahlbeteiligung bei 92 %, der Wahlsieger SPÖ vertrat (mit 50,4 % davon) alleine mehr als 46 % aller Wahlberechtigten.

Anders formuliert: vor 40 Jahren lag das Protest- bzw. Unzufriedenheitspotenzial bei etwa 8% der wahlberechtigten Bevölkerung, heute sind es 25% die gar nicht zur Wahl gingen und eine nicht genauer festzulegende Zahl an Wählerinnen, die ihren Unmut in Form einer Proteststimme demonstrieren (nehmen wir - vorsichtig geschätzt - einmal an, das sind weitere 10 %). Eine „Weiße Partei“ hätte also derzeit ein Wählerpotenzial von 25 bis 35% und wäre damit vermutlich stimmenstärkste Partei im Land.

Die parlamentarische Demokratie würde dadurch endgültig zum Minderheitenprogramm mutieren. Die Nichtausübung „weißer“ Mandate würde Minderheitsregierungen zur Folge haben (die von den „weißen“ geduldet würden), Verfassungsmehrheiten (2/3 der Mandate) kämen nur mehr im Konsens aller anderen Parteien zustande (was in vielen Fällen höchst unwahrscheinlich ist), oft wäre nicht einmal das Anwesenheits-Quorum gesichert. Eine politische Lähmung der Republik wäre die Folge.

Im Endeffekt scheint mir diese Machtdemonstration der Unzufriedenen doch nicht der richtige Weg zu sein. Besser wäre wohl, Farbe zu bekennen und Unzufriedenheit durch politisches Engagement auszudrücken. Die Stimmen der Wählerinnen sind viel zu wertvoll, um sie demonstrativ einzusetzen und zu sagen: So nicht!

Die Programme der verschiedenen wählbaren Parteien sind insgesamt durchaus geeignet, die Interessen aller Menschen im Land zu vertreten - cum grano salis. Wir alle können regelmäßig entscheiden, welches Programm das wohl geeignetste ist und dafür unsere Stimme erheben, wenn auch mit ein wenig Bauchweh. Wer denkt, es gäbe Verbesserungsmöglichkeiten, der sollte sich - wie auch immer - engagieren diese umzusetzen, und wer der Meinung ist, dass sein Interesse gar nicht zur Wahl steht, kann es ja zur Wahl stellen (was immer wieder - und auch durchaus skurril - geschieht). Alle anderen sollten die wählen, die ihre Interessen wohl am ehesten vertreten werden.

Die Demokratie gibt dem Volk die Herrschaft - eine Herrschaft leerer Stühle kann ich mir gar nicht gut vorstellen.

Zurück zur Idee von ganz oben, Nicht- und Protestwählerinnen sichtbar werden zu lassen. Ich möchte da gerne die Medien etwas mehr in die Pflicht nehmen: Medien haben die Möglichkeit Dinge sichtbar werden zu lassen - oder eben auch nicht. Warum werden auf den bunten „Wahltorten“ diese weißen Stimmen nicht dargestellt? Wie oft wird der Anteil der Daheimgebliebenen erwähnt? Wer hat schon jemals den Herrn BK zur Hauptsendezeit gefragt wie es sich anfühlt mit seinem Programm etwa 20 % der Bevölkerung zu vertreten? Wer den Vizekanzler einer „Volkspartei“, die es gar nur auf knapp 18% bringt?

Die Idee ist gut: Laden wir die politischen Parteien ein, den Fokus auf die Menschen zu richten, die sich nicht vertreten fühlen oder aus anderen Gründen ihre Stimme nicht (oder bewusst gegen etwas) erheben.

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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