Griechenland überrascht Europa mit Demokratie
Ein déjà-vu der besonderen Art
Nina Hoppe (@hoppenina) findet die Ankündigung der griechischen Regierung, für die Entscheidung über die Zukunft Griechenlands ein Referendum durchführen zu lassen, demokratiepolitisch bedenklich. Sie schreibt auf Twitter: „... Dass #Tsipras das Volk einschaltet, ist mehr ein ochlokratischer denn demokratischer Vorgang“ und weiter (im Diskurs)„mir geht es um das Referendum per se“und „ich finde es sehr bedenklich. Demokratiepolitisch“.
Das finde ich sehr bedenklich. Demokratiepolitisch.
Ochlokratie bezeichnet (herabwürdigend) eine Herrschaftsform die sich eigennützig der Masse bedient, wobei aber nicht das Gemeinwohl im Fokus steht. Der Begriff Pöbelherrschaft steht damit im Zusammenhang (Mehr darüber und weiterführendes zB hier). Eine Volksabstimmung über die weitere Zukunft Griechenlands hat aber nmE mit Ochlokratie ebensowenig zu tun, wie Horst Seehofer mit der sozialistischen Internationale.
Was hierzulande immer wieder als mangelhaft kritisiert wird, setzt die Regierung Tsipras mit diesem Schritt konsequent um: Dem Wählerauftrag zu entsprechen und Wahlversprechen getreu zu bleiben. Seit mehr als fünf Monaten versuchen Premier Tsipras und Finanzminister Varoufakis die EU-Gremien davon zu überzeugen, dass es auch andere als die bisher beschrittenen Wege gibt, die Krise um den verschuldeten Staatshaushalt Griechenlands zu beenden. Mit dieser Botschaft sind sie zur Wahl angetreten. Nicht erst 2015, sondern bereits 2012 haben Sie damit viele Menschen in Griechenland angesprochen und 2015 die Wahlen überzeugend gewonnen.
Nun hat das kleine Griechenland mit seiner dezidiert linken Regierung im Verhandlungspoker politisch keine Chance, sich gegen den europäischen Konsens, der eher rechts als links der Mitte zu finden ist, durchzusetzen. Die Macht der sich als „Geber“ bezeichnenden ist zu groß. „Wer zahlt schafft an“ - gnadenloser kann man es nicht formulieren.
Die griechische Regierung sieht sich also nicht imstande ihre Wahlversprechen in Brüssel im Verhandlungsweg umzusetzen und will deshalb für die anstehende historisch wichtige Entscheidung die Legitimation aus der Bevölkerung. Ochlokratie? Weit gefehlt - es ist eine Vertrauens-Ur-Abstimmung. Die Frage lautet sinngemäß: „Ihr habt uns gewählt um die Politik umzusetzen, für die wir geworben haben - nun wird es ernst: Sollen wir in dieser ganz konkreten Frage zustimmen oder nicht - es geht um die Zukunft Griechenlands, um eure Zukunft. Wir haben euren Auftrag, euer Mandat, aber die Angelegenheit ist so wichtig, dass wir das nochmals, mit dieser ganz konkreten Fragestellung an das Volk, legitimieren wollen“.
Diese fundamental demokratische Vorgehensweise in die Nähe der Ochlokratie zu rücken und damit zu verunglimpfen halte ich - im Sinne der Demokratie - für höchst bedenklich.
Der mutige Schritt der Regierung Tsipras ist vielmehr ein Beispiel für verantwortungsvolle politische Vorgangsweise. Griechenland überrascht Europa mit Demokratie. Ein déjà-vu der besonderen Art.