Eine Gegenpolemik
Außenminister Sebastian Kurz (@Sebastiankurz)hat uns via Kronenzeitung (honi soit qui mal y pense) mit neuen Ideen in seiner Verantwortung als Europaminister überrascht: "Das geht so nicht - 206 Millionen € an Familienbeihilfe gehen ins Ausland" titelt die Online-Version des Kleinformates.
Das geht nun so wirklich nicht! Kurz polemisiert (mit rumänischen Beispielen, um es besonders drastisch darzustellen) gegen eine EU-Regel, die sicherstellt, dass Sozialleistungen eben gerade nicht missbraucht werden können. Vielleicht sollte er dazu ja die durchaus aktuelle WKO-Studie: MYTHOS SOZIALTOURISMUS(Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Personenfreizügigkeit in der EU) lesen. Die Österreichische Wirtschaftskammer als Herausgeberin dieses Dokuments vom November 2014 ist jedenfalls frei vom Verdacht linkslinke Verschwörungstheorien zu verbreiten.
Sehr geehrter Herr Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres - wie halten Sie es mit den europäischen Werten? Wie halten Sie es mit der Personenfreizügigkeit als hohes Gut in der europäischen Union?
Darf ich in Erinnerung rufen: Jede Unionsbürgerin und jeder Unionsbürger kann ungeachtet des Wohnorts in jedem Mitgliedsstaat unter den gleichen Voraussetzungen eine Beschäftigung ausüben wie ein Angehöriger dieses Staates. Freizügigkeit bedeutet nämlich, dass es keine auf der Nationalität beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf den Zugang zur Beschäftigung, die Beschäftigung, die Entlohnung und die sonstigen Arbeitsbedingungen gibt. All dies ist im Art. 45 AEUV festgehalten, und überdies in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantiert.
Um Ihre Idee ein wenig mit Beispielen zu illustrieren, Herr Minister: Wenn nun mein Sohn beispielsweise in Prag studiert, wird dann - wenn es nach Ihnen ginge - auch mir die Familienbeihilfe gekürzt oder gar gestrichen? Und wenn Sie darauf antworten: Nein - natürlich nicht! Wo ist dann der Unterschied? Schließlich profitiert ja auch mein Sohn vom billigen tschechischen Bier, oder etwa nicht?
Oder - und da stellt sich gleich noch eine Frage - wie ist das mit anderen, im Ausland lebenden Kindern, vielleicht Kindern von Menschen, die im diplomatischen Dienst arbeiten, zB in Rumänien, Bulgarien oder Kroatien: Würden dann auch diese Familienbeihilfen gekürzt werden?
Herr Minister - wie im österreichischen Rundfunk und Fernsehen zu hören war, argumentieren Sie damit, dass zB in Rumänien die Lebenserhaltungskosten sehr niedrig seien, und Familienbeihilfe für zwei Kinder da schon einem Monatsgehalt gleich käme. Sehr geehrter Herr Kurz - haben Sie schon mal versucht in Rumänien einem Kind zu ordentlicher medizinischer Versorgung zu verhelfen? Oder den Schulbesuch zu ermöglichen?
Im Zusammenhang mit den niedrigen Lebens-Kosten in Rumänien drängt es sich auf, gleich ein Stück weiter zu denken: Da könnte man ja beispielsweise die Gehälter von Österreichern, die dort arbeiten, entsprechend kürzen. Sie - Herr Bundesminister - könnten da in Ihrem eigenen Ressort gleich anfangen entsprechende Schritte zu setzen. Wenn Sie jetzt argumentieren, das sei doch nicht das Gleiche, antworte ich: Und ob! Schließlich sind Sie es ja, der die Sozialtourismus-Keule bemüht, wenn Menschen davon profitieren, dass Geld in verschiedenen Ländern der EU verschiedene Kaufkraft hat.
Dass europäische Grundrechte (wie zB die Freizügigkeit der Person, die Dienstleistungsfreiheit, usw) das genaue Gegenteil zum Ziel haben wissen Sie vermutlich. Schließlich ist es ja im Interesse aller Menschen in unserem gemeinsamen Europa, soziale Benachteiligungen zu eliminieren, ein Nord- Süd-Gefälle auszugleichen, solidarisch Wohlstand zu ermöglichen, kulturelle Unterschiede zu respektieren etc.
Sicher kennen sie auch dieses Dokument, in dem die europäische Kommission Beschäftigungsförderung, Integration und Sozialpolitik - eine Investition in die Zukunft erläutert. "Wir brauchen Sozialinvestitionen," heißt es da schon am Titelblatt, "wenn wir stärker, solidarischer und wettbewerbsfähiger aus der aktuellen Krise hervorgehen wollen".
Natürlich wissen Sie das alles ganz genau, Herr Minister. Sie wollen ja auch nur ein wenig im fremden Teich fischen.
Hmmm - Wenn das nur gut geht. Meistens gehen die Menschen letztendlich dann doch zum Schmied - und nicht zum Schmiedl.