Weil nicht sein kann, was nicht sein darf

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf

Eine Unterstellung

Mittlerweile sind etwa fünf Monate vergangen, seit in Griechenland das linke Wahlbündnis Syriza die Parlamentswahlen gewonnen hat. Ministerpräsident Alexis Tsipras wurde, wie „Die Zeit“ [1] am darauffolgenden 26. Jänner 2015 treffend schrieb, von einer Welle der Wut ins Amt gehoben.

Es war die Wut der sich betrogen fühlenden Bevölkerung, die Wut über die, von den Reichen Europas oktroyierte, Austeritätspolitik. Die Griechen machten diese Politik für die soziale Austrocknung in ihrem Land verantwortlich. Sie sahen wie mit 77% der europäischen Hilfsgelder der Finanzsektor (v.a. ausländische Banken und Hedgefonds) gerettet wurde [2], mussten gleichzeitig hinnehmen dass die Pensionen um 30% gesenkt wurden, ein Viertel der Bevölkerung arbeitslos ist, das Lohnniveau massiv einbrach, das Land von „außen“ regiert wurde und trotz alldem dennoch keine Aussicht auf Verbesserung ihrer misslichen Situation in Aussicht schien. Die radikal links stehende Syriza kanalisierte diese Wut besser als alle anderen wahlwerbenden Gruppierungen (sie wurde bereits bei den Wahlen 2012 mit knapp 17% der Stimmen zweitstärkste Gruppierung, die sozialistische PASOK stürzte damals von 43% auf 13% in der Wählergunst ab). Im Jänner 2015 wurde Syriza mit über 36%  deutlich stimmenstärkste Partei und Alexis Tsipras Premierminister.

In Griechenland ist damit eine politische Partei an die Macht gelangt, die - wenn es nach einem unausgesprochenen europäischen Konsens gehen soll - nicht an die Macht gelangen hätte dürfen. Das vereinigte Europa ist ein politisches Bekenntnis zur Mitte, ein Konsens aller EU-Mitgliedsstaaten, sich weder zu weit am rechten, noch zu weit am linken Rand zu positionieren. Dieser Konsens resultiert aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts und wird von den europäischen Regierungen (konservativ demokratischen ebenso wie sozialdemokratischen) gemeinsam politisch getragen. Abweichungen davon werden abgestraft, wie man das im Jahr 2000 mit den Sanktionen gegen die österreichische Wenderegierung vorexerzierte. Derzeit steht die ungarische Regierung Victor Orbáns unter Beobachtung.

Nun treten die nationalistischen und rechts orientierten Parteien ja von sich aus EU-kritisch auf und agieren deshalb außerhalb dieses europäischen Konsens. Eine nennenswerte linke Bewegung innerhalb des europäischen politischen Spektrums gab es jedoch bis dato nicht. Das ist das Neue das sich seit den Krisenjahren nach 2008 abzeichnet und gleichzeitig die Herausforderung an die politischen Kräfte Europas und der europäischen Staaten: Was tun mit einer linken Bewegung, die deutliche Mehrheiten hinter sich versammelt, die plötzlich sogar Regierungsverantwortung trägt, aber gleichzeitig für ein gemeinsames demokratisches Europa und eine gemeinsame Währung steht? Was tun mit einer politischen Bewegung, die von der Bevölkerung massive Rückendeckung hat aber in ihrem durchaus populistischen Wirken die Gefahr birgt, auf andere Staaten überzuschwappen? Es ist vor allem eine Herausforderung für die sozialdemokratischen Parteien Europas, deren, in den letzten 30 Jahren immer weiter gehende, Zugeständnisse an die politische Mitte es erst möglich gemacht hat, dass neue linke Bewegungen wie Syriza oder PODEMOS entstehen und stark werden konnten.

Die linke griechische Regierung strapaziert (im Gegensatz zum FN und anderen starken rechten Gruppierungen) nicht die europäischen Werte. Sie vertritt nachdrücklich eine politische Position, die auf einem radikal anderen volkswirtschaftlichen Verständnis beruht. Dadurch gerät der europäische politische Konsens in Gefahr. Das bestimmende Auftreten von Merkel, Schäuble und Dijsselbloem (um nur einige Namen zu nennen) - in anderen EU-Staaten weitgehend toleriert - wird von der Regierung (und weiten Teilen der Bevölkerung) Griechenlands deshalb als arrogant wahrgenommen.

Die Mächtigen Europas stehen vor einem Dilemma: Ein Auszug Griechenlands aus der Währungsunion oder - schlimmer noch - ein Auszug aus der Europäischen Union darf, auch wenn diese Keule immer wieder geschwungen wird, nicht stattfinden. Die Auswirkungen wären völlig unkalkulierbar und vor allem nicht steuerbar. Auch wenn die griechische Volkswirtschaft von ihrer Größenordnung her immer wieder als „nicht relevant“ kleingeredet wird: Europa würde sich in einem derartigen Szenario einem nicht zu verantwortenden politischen und ökonomischen Risiko aussetzen, würde zum Spielball sozialer, politischer und ökonomischer Dynamiken.

Nun kann aber die griechische Regierung auch nicht direkt gezwungen werden, bestimmte innerstaatliche Maßnahmen umzusetzen. Der europäische Unions-Prozess ist noch lange nicht so weit vorangeschritten, dass massive Interventionen in einzelstaatliche Regelungen möglich wären. Es ist immer noch Sache Griechenlands, ob die Mehrwertsteuer angehoben wird, ob Beamte entlassen werden, oder eben nicht. Das wissen Regierungschefs und Finanzminister der EU-Mitgliedsstaaten nur zu gut. Die lautstarke mediale Inszenierung des Verhandlungspokers, die nun seit fünf Monaten abläuft, dient in erster Linie dem Marketing für den europäischen Konsens. Weil - wie Christian Morgenstern formulierte - nicht sein kann, was nicht sein darf.

Denn ebenso wenig wie es sein darf, dass ein Scheitern der Verhandlungen mit Griechenland ein Scheitern der Europäischen Union und des Währungsraumes auslöst, wollen die Mächtigen Europas zulassen, dass linke Ideen und Konzepte unter den Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts womöglich sogar von Erfolg gekrönt werden und damit die konservative Festung Europa erschüttern.

[1] Christos Katsioulis: Ein demokratischer Weckruf für Europa. Zeit Online vom 26. 1.2015

[2] Christina Hiptmayr: Milliarden für Griechenland, wer sind die Profiteure? Profil Online vom 17.6.2013

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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