Wieder einmal in der Türkei unterwegs, höre ich die stündlichen Nachrichten im Autoradio.
Meine Kenntnis der türkischen Sprache beschränkt sich auf ein sehr schmales Überlebensvokabular - dennoch entgeht mir die, auf verschiedenen Sendern immer wiederkehrende, Erwähnung des österreichischen Parlaments im Zusammenhang mit der Jahreszahl bindokusyüzonbes (1915) nicht.
Hellhörig bleibe ich stehen, um in einem kleinen Wirtshaus am Straßenrand in meinem Handy herumzustochern und nach dem Grund für diese nicht alltägliche Erwähnung des österreichischen Parlaments im türkischen Radio zu suchen. Im heimischen digitalen Blätterwald werde ich fündig: "Türkei beruft wegen Armenier-Erklärung Botschafter ein" schreibt der Standard (online). Durchaus keine Kleinigkeit.
Die Beziehung zwischen unseren Staaten ist ja in den letzten Jahren grundsätzlich als nicht gerade supertoll zu bezeichnen - im Unterschied zu deutschen Staatsbürgerinnen muss ich zB regelmäßig ein Visum beantragen - vielleicht liegt das ja auch daran, dass Außenministerin Ursula Plassnik (2009) als Einzige nur nach sehr langem und zähem Ringen mit allen anderen EU-Vertreterinnen bereit war, den Beitritt der Türkei zur EU als Basis der Beitrittsverhandlungen zu akzeptieren. Grobe Risse im politischen Kaffeegeschirr sind seitdem nicht zu übersehen.
Nun wurde - im Zusammenhang mit dem Jahrestag des an der armenischen Volksgruppe verübten Genozids - weiteres Porzellan beschädigt.
Österreich war 1915 (in seinen letzten Zügen als Monarchie) mit dem Osmanischen Reich (ebenfalls in den letzten Zügen liegend) verbündet. Über die Rolle der Monarchie damals, und deren Verantwortung in diesem Zusammenhang wissen HistorikerInnen mehr als ich - dies soll hier auch gar nicht zum Thema werden.
100 Jahre später jedenfalls, am 21. April 2015, wurde aber hierzulande eine historische Chance vergeben.
Jetzt stehen sie da - alle. Mit stolzgeschwellter Brust, alle Parlamentsklubs. In ungewohnter Einigkeit trampeln sie durchs Porzellan und verkünden lauthals was so nicht verkündet werden muss. Es muss nicht in dieser Form verkündet werden, weil es ein international anerkanntes historisches Faktum ist (das auch die Türkei kennt).
Die Türken kennen es genauso, wie wir Österreicherinnen lange schon lange wussten, wie es um unsere Wir-Sind-Opfer-und-Kopf-in-den-Sand Haltung stand, bevor ein Bundeskanzler in der Lage war, klare Worte dazu zu finden.
Es müsse über den Tag des Gedenkens hinausgedacht werden, sagte der deutsche Außenminister Steinmeier. "Und was wir wollen, ist, die Türkei und Armenien in ein Gespräch zur Aufarbeitung des Geschehens von damals miteinander zu bringen", fügte er hinzu.
Österreich hätte dazu einen großen Beitrag leisten können.
Anstelle Öl ins Feuer zu gießen, hätte die österreichische Diplomatie ja auch - auf eben dieser gemeinsamen Vergangenheit aufbauend - Hintertüren nutzen können. Und behutsam einen Weg ebnen, oder dies zumindest versuchen, der es auch der Türkei als Nachfolgestaat erleichtert, eine adäquate Stellung zu beziehen. Eine Stellungnahme, die der Perspektive aus dem 21ten Jahrhundert entspricht. Das würde ich Diplomatie nennen.
Für Diplomatie bräuchte es allerdings Diplomaten. Und politischen Mut.
Konfrontation - als das Gegenteil von Diplomatie - erzeugt nur Widerstand und ist überdies Wasser auf alte Mühlen, die man eigentlich stilllegen wollte. Der Aufarbeitungsprozess, der sich ganz langsam in der Türkei zu entwickeln beginnt wird dadurch kaum unterstützt werden.