Ein Polizist, der ihn eigentlich schützen sollte, erschießt den russischen Botschafter in Ankara. „Allahu Akbar!“, rufend und das sterbende Aleppo beschwörend: „Solange die Menschen dort nicht sicher sind, werdet ihr nicht sicher sein.“ Dokumentiert auf Video, Minuten später ist auch der Angreifer tot. Konsequenzen des neuerlichen Terrors in der Türkei stehen noch aus. Noch ist man nicht sicher, in welches Eck der Diplomatenmörder zu stellen ist. Aber ist das eigentlich nicht egal?
Selbst die größten Nachrichtenverweigerer konnten den erschütternden Bildern und Berichten nicht entgehen, die nur Fassungslosigkeit zurücklassen konnten. Seht Euch das Foto hier in diesem Beitrag an – nichts für schwache Nerven. Die Toten wollen wir euch gar nicht erst zeigen, sie türmen sich in der Nähe des Jungen auf dem Fahrrad. Noch-UN-Generalsekretär Ban sprach von Aleppo als Synonym für Hölle und vom Totalversagen seiner Organisation (der UN). Merkel zeigt sich TV-gerecht erschüttert und denkt wieder einmal ans Beten – denn, wie angesichts jeder der Unmengen an Krisen der vergangenen Jahre (Finanzkrise, Schuldenkrise, Ukrainekrise, Flüchtlingskrise, etc.) ist die „zivilisierte“ Welt erschüttert und starr wie das Kaninchen vor der Schlange. Regungslos, man sieht einfach zu. Und lässt zynisch den russischen UN-Botschafter höhere Mächte anrufen, denn Gott alleine wird die Verantwortlichen des Massakers in Aleppo richten.
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Wo Gott – oder Allah – seine Menschen längst verlassen hat, kommen die Verzweiflungstäter ins Spiel. Oder solche, die es vorgeben zu sein. Unterstellen wir dem Täter, kein IS- oder PKK-Terrorist zu sein, sondern ein persönlich Betroffener. Hat er Angehörige oder Familie in Syrien verloren? Macht es ihn verrückt, gerade Russen schützen zu müssen, die täglich Kinder und Frauen hinmorden? Hat er Angst, dass in der Türkei bald syrische Zustände herrschen könnten, in denen das Erdogan-Regime sein Volk – in letzter Konsequenz auch mit Waffengewalt – in seinem Joch hält? Alles unter machtlosem Zusehen des Westens und mit tatkräftiger Unterstützung von Despotenkollege Putin.
Unterstellen wir ihm also hehre Motive, soweit das bei einem Mörder möglich ist (er ist immerhin kein staatlich legitimierter Mörder wie Erdogan, Putin, Assad und Konsorten, die niemals zur Rechenschaft gezogen werden). Ist der Griff zur Dienstwaffe nicht zu verlockend, geradezu selbstverständlich, wenn ein Vertreter des größten Übels direkt vor dem Lauf steht?
Und, geben wir es doch zu, die Fassungslosigkeit ob vieler Vorgänge schreit beinahe nach Selbstjustiz. Nach einer Gesellschaft, die das Recht wieder in die eigene Hand nimmt, wo der Staat bzw. die EU versagt. Politiker richten ungestraft Milliardenschäden an, Konzerne kassieren Gewinne mit marginaler Steuerpflicht, das Management einer Flüchtlingskrise überfordert, und, und, und… Schuldige sind da rasch ausgemacht.
Die Zeit der Selbstjustiz ist längst angebrochen. Das zeigen nicht nur Privatfahndungen in sozialen Netzwerken, Nachbarschaftswachen, der Anstieg der Waffenbesitzer: Irgendjemand greift dann auch zur Waffe. Und, geben wir das auch zu, dass man nach solchen Taten in die Verlegenheit kommt zu meinen: Das geschieht ihm bzw. ihnen ganz Recht…