Der Nachmittag hätte gar nicht schöner sein können am Ende des Rauriser Tals im Schatten des Sonnblicks (siehe meinen Urlaubs-Blog vom 8. August). Ein bisschen zu heiß war es, was Mensch und Tier faul herumsitzen bzw. –liegen ließ. Von den 3000er Gipfeln wehte ein warmes Lüftchen, wolkenlos. Nur ein lauter werdendes Brummen irritierte und die Köpfe der Gäste des Naturfreudehauses suchten die steilen Felswände mit den schmutziggrauen Schneefeldern nach der Quelle des Geräusches ab, das so gar nicht hierher gehörte. Es dauerte nicht lange, bis der Bergfex am Nebentisch einen Hubschrauber erspähte. Er begann nahe des Sonnblick-Gipfels Suchschleifen bis beinahe ins Tal zu fliegen. Immer wieder schwebte der Helikopter nahe an den Felsen, dann wieder knapp über den Baumwipfeln, überquerte den Rauriser Talschluss, um am gegenüber liegenden Hang weiter nach Etwas zu spähen. Das Schauspiel schien vorbei, als der blau-rote Hubschrauber gegen Westen davonflog… um nach wenigen Minuten wiederzukehren und erneut bereits abgesuchte Gebiete unter die Lupe zu nehmen. Nach zwei Stunden hing endlich ein Körper am Seil unter dem Heli, der kurz darauf im Tal landete.
Hüttenwirt Hermann hatte sich zum Landeplatz aufgemacht. Um zu helfen und in Erfahrung zu bringen, was sich am Berg ereignet hatte.
Zwei Bergkristall-Sucher hatten sich in den Bereich unter einer Steilwand vorgewagt, in deren Nähe ich mich bereits in der Woche zuvor mit meiner Tochter Liza umgesehen hatte. Der Platz schien mir auf den ersten Blick ideal für das Aufstöbern der magischen Quarzkristalle zu sein, nach näherer Betrachtung war es aber zu gefährlich, sich dem verlockenden Bergsturz zu nähern. Zudem warnte ein Marterl, gewidmet einem tödlich abgestürzten Kletterer. Immer wieder mussten in den Tagen darauf Felsbrocken aus der Wand gestürzt sein, unter der die beiden Hobby-Schatzsucher ihr Glück herausforderten. Während einer von ihnen für eine Jausen-Pause abstieg, machte der andere am Berg weiter. Zumindest ein Steinschlag traf ihn am Kopf, riss Haut und Ohr blutig ein. Ob er überlebt hat, ist nicht bekannt.
Wutschnaubend kehrte Hermann vom Schauplatz des Unglücks zurück. „Weißt, ich helfe dem und trag‘ seinen Rucksack hinunter, dorthin, wo der Hubschrauber mit seinem Kollegen gelandet ist“, erzählt er, „und frag‘ ihn unten, was denn so Schweres drinnen ist.“ Hermann hatte dem Unverletzten geholfen, die Beute des Kristall-Suchens dorthin zu bringen, von der Kamerad blutüberströmt mit dem Tod rang. „Die Gier is‘ a Luder“, traf Hermann mit dem platten Sprichwort dennoch ins Schwarze, „Koa Stoa kann so wichtig sein wie’s Leben.“. Man war dem Profit hinterhergejagt, zwischen tödlichen Steinschlägen in der Hoffnung hindurch, sie würden nicht – oder wenn schon den anderen – treffen.
Am nächsten Morgen verwunderte mich Hermanns Aufregung, der mit seinem Fernglas an einem der Holztische vor der Hütte saß und gespannt in Richtung des Unglücks vom Vortag spähte. „Jetzt geht der Hundling scho‘ wieder dort aufi“, grantelte der Naturbursch, als er den unverletzten Kristalljäger erneut aufsteigen sah. Dorthin, wo noch das Blut seines Kameraden an den Steinbrocken an die Tragödie erinnern musste…
Mit einigen Tagen Abstand erscheint mir der Unfall in den Alpen als Spiegel unserer Zeit. Flüchtlingswellen, Working Poor, Spekulanten und Korruption. Es wird uns schon nicht treffen, es wird schon nicht so schlimm werden. Sind das die Gedanken der Faymanns, der Mitterlehners und ihrer Schicksalsgenossen? Doch die Gier, ob nach Moneten oder Regierungssitz, ist ein Luder. Und zumindest ein Stein wird treffen. Heute, morgen, übermorgen. Garantiert.
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