„Jeder Mensch, der sich nicht mehr in der Gemeinschaft fühlt, ist irgendwie liberaler Mensch. Seine Allzumenschlichkeiten sind liberal. Und die Selbstliebe ist sein eigenster Bereich. Es ist die Selbstlosigkeit des konservativen Menschen, daß er an der Heiligkeit einer Sache haftet, die nicht mit ihm stirbt. Es ist die Selbstsucht des liberalen Menschen, daß er die Dinge, denen er lebt, der Sintflut überläßt. Im Gegensatze zu jedem Konservatismus, der immer auf die Stärke der Menschen baut, macht sich der Liberalismus die Schwäche des Menschen zu nutze.“ (Hans-Dietrich Sander, Die Auflösung aller Dinge 1988)
Der Liberalismus ist asozial
Wer den Liberalismus kritisiert kommt nicht darin umher, seine Auffassung vom Wesen des Menschen, also seine Anthropologie, einer sorgsamen Prüfung zu unterziehen. Genau das tut Dr. Dr. Thor von Waldstein, promovierter Jurist, in seinem vor kurzem erschienen Buch „Die entfesselte Freiheit. Vorträge und Aufsätze wider die liberalistische Lagevergessenheit.“. Besondere Aufmerksamkeit verdienen darin seine zehn Thesen zum Liberalismus. Die erste lautet: Der Liberalismus ist asozial. Während andere Weltanschauungen, den Menschen in eine Gemeinschaft einzufügen versuchen, tut der Liberalismus alles, um den Menschen aus seinen kollektiven Bindungen herauszulösen. Der Mensch wird zwar frei nach Arnold Gehlen als Mängelwesen erkannt, jedoch nicht um seine Mängel durch die Gemeinschaft zu kompensieren, sondern ihn entlang dieser zu steuern, zu entzweien und zu entorten, um ihn vollends der Gewalt des liberalen Staates auszuliefern.1
In der individualistischen Auffassung des Liberalismus ist der Mensch nur dann selbstständig und autark, wenn er als Individuum aus jeglicher Gemeinschaft herausgelöst ist. In einer traditionalistisch-universalistischen Auffassung vom Menschen wie etwa bei Othmar Span, kann sich der Mensch hingegen erst dann wirklich frei entfalten und Mensch sein, wenn er sich in die Gemeinschaft einfügt, wo er erst im Verband mit anderen Menschen seine Persönlichkeit und sein sittliches Wesen zur Entfaltung bringen kann. Entgegen der liberalen Auffassung, verliert der Mensch dabei nicht seine Selbstständigkeit und seine innere Freiheit, da jedem Glied der Gemeinschaft ein Eigenleben zukommt „und das Ganze ohne die Glieder nicht erscheinen (kann).“2
Von der Anarchie des Alltags und dem Tod des Individuums ohne Gemeinschaft
Während der Mensch im Liberalismus der Illusion anhängt frei zu sein, ist er in Wahrheit den Normen der Bindungslosigkeit unterworfen. Denn schon in der Schweizer Bundesverfassung wurde in weiser Erkenntnis festgehalten, dass nur derjenige frei sein kann, der seine Freiheit gebraucht. Stattdessen ist der Mensch im Liberalismus, so Waldstein, der Anarchie des Alltags ausgeliefert. Ohne die Verbindung zur Gemeinschaft geht das Individuum zu Grunde.3
In seiner zweiten These zum Liberalismus stellt der Mannheimer Jurist fest, dass dem Liberalismus jeder Sinn für das Repräsentative fehlt. Zwar feiert man auch in den westlichen Demokratien Nationalfeiertage, bei denen die Landesfarben zur Schau gestellt werden, jedoch überwiegen die negativen Gedenktage, an denen man der Verbrechen des Kolonialismus oder Faschismus gedenkt. Anstatt des Nationalstolzes überwiegt der Schuldstolz.4 Dass ein solcher Staat nicht auf Dauer bestehen will, ist dabei durchaus beabsichtigt: Wie schon Alexander Dugin anmerkte, wurde der Nationalstaat vom liberalistischen Bürgertum von Anfang an nur geschaffen, um seine Bürger soweit aufzuklären, bis er schließlich in der weltweiten Zivilgesellschaft aufgelöst werden könne. Die dritte These von Waldsteins lautet, dass der Liberalismus libertär und nicht liberal ist. In einer Art totalitären Wendung geht der Liberalismus erbarmungslos gegen all jene vor, welche er als „Feinde der Freiheit“ ansieht. Wer die massenmedial gesetzten Grenzen der Meinungsfreiheit, egal ob in außen- (Westbindung) oder innenpolitischen (Remigration) Fragen überschreitet, wird gesellschaftlich ausgegrenzt:
„>>Wer im (Gedanken-) Gefängnis geboren ist, liebt das Gefängnis<<, diese alte Wellensittichweisheit kennzeichnet die tatsächliche Befindlichkeit des Bundesrepublikaners in puncto Gedankenfreiheit viel mehr als hehre Verfassungsartikel, die so geduldig sind wie das Papier, auf dem sie stehen.“5
Was in der heutigen Gesellschaft nach von Waldstein fehlt, sind mutige Männer, die sich nicht darum scheren was die Masse denkt, weil ihnen das Schicksal ihrer Enkel wichtiger ist, als ihr eigenes Leben:
„Der postheroischen Gesellschaft mangelt es an einem schöpferischen Zorn, der aufhört, für alles was uns und unsere Kinder zugrunde richtet, >>Verständnis<< zu haben.“6
Die repressive Toleranz: Von der totalitären Seite des Liberalismus
Während der Liberalismus gegenüber seinen „Hätschelminderheiten, für die es – von den Schwulen bis zu den Roma – in der BRD eher noch zuwenig als zuviel Dekadenz gibt.“7 größtmögliche Freiheiten fordert, geht er gegen alle seine Gegner radikal vor. In seiner vierten These legt der Autor dar, warum der Liberalismus totalitär und nicht tolerant ist. Es gibt im Liberalismus keine „Freiheit des Andersdenken“, sondern nur Freiheit für die Gleichdenkenden.
Darüber hinaus, so die fünfte These zum Liberalismus, ist dieser eine parasitäre Erscheinung. Der liberale Staat zehrt von Grundlagen, welche er selbst nicht zu schaffen in der Lage ist. Es ist die Formlosigkeit der Gesellschaft, in welcher Egomanen ohne Pflichtgefühl und Verantwortung die Szene bestimmen, welche mit ihrem „you only live once“ Getue ihre eigene Leere zu kaschieren versucht. Menschen, welche sich nur über ihr Konsum- und Freizeitverhalten definieren, so Thor von Waldstein, können keinen Staat erhalten. Der liberale Staat muss zwangsläufig untergehen – doch droht er bei seinem selbstinduzierten Untergang auch das Volk mitzureißen, welches er in Geiselhaft hält.
„Ein liberaler Staat ist ebenso ein Unding wie ein brennender Eisblock.“8
Die endlose Diskussion und die Freiheit des Gleichdenkenden
Das Wesen des Liberalismus ist die unendliche Diskussion, so die sechste These. Dieses „government by discussion“ hat dabei das Ziel, eine ständig lähmende Diskussion zu führen, welche zu keinem Ergebnis gelangen darf. Der Unterschied zwischen einem Schau-Gespräch und einem Schau-Prozess ist dabei nach dem Autoren Botho Strauß nur ein gradueller. Die telekratische Öffentlichkeit gerät dabei zu einer „unblutigen Gewaltherrschaft“ im Sinne eines umfassenden Totalitarismus, der nur deswegen keine Köpfe rollen lässt, weil er sie überflüssig macht. Wo es keine politischen Akteure mehr gibt, braucht es auch keine Unterscheidung mehr zwischen Freund und Feind, da es nur noch Mitwirkende und Systemkonforme gibt.9 Wer schweigt, stimmt zu und liefert sich dem liberalen Regime komplett aus. Wenn im Liberalismus diskutiert wird, dann nur über Dinge, die nicht weh tun und indem man den Worten niemals Taten folgen lässt. Die „zahllosen Leichen im Keller des Liberalismus“10 werden dabei geflissentlich übergangen. In den Medien wird niemals über die Auflösung der Familie, die Abtreibungen, die sukzessive Verabschiedung vom Recht sowie die mafiösen Strukturen gesprochen – weil es sich dabei um lebensentscheidende Vorgänge handelt, welche die „Brot-und-Spiele“ Kultur des Liberalismus entscheidend stören würden, kämen sie den Menschen zu Bewusstsein.
„Die nie originellen und regelmäßig einschläfernden Dauerdialoge sind somit nicht nur inhaltsleer; ihre Funktion besteht vor allem darin, von Taten abzuhalten. (…) Es ist eine mediale Diktatur des Belanglosen entstanden, die dadurch herrscht, daß sie Dinge, auf die es eigentlich ankäme, verschweigt. Wir leben in einer verschwätzten Taburepublik, in der beschränkt-eitle Individuen öffentlich Meinungen über nicht springende Punkte absondern dürfen mit der Maßgabe, daß alles so bleibt, wie es ist.“11
Freiheit von oder Freiheit zu?
Eines der Grundübel des Liberalismus erblickt Waldstein in der siebten These, nämlich, dass dieser ersten politischen Ideologie der Moderne ein pervertierter Freiheitsbegriff zu Grunde liegt. Der Liberalismus verwechselt Freiheit mit Hemmungslosigkeit, der Loslösung von allen Bindungen. Dadurch ergibt sich auch, so der Autor, die innere Staatsfremdheit der liberalen Weltanschauung. Der verwurzelte Mensch begreift die Freiheit hingegen immer als
„(…) den Spielraum, den er benötigt, um sein eigenes, einmaliges Dasein in dem Gesamtleben seines Volkstums einerseits und seiner Gotteskindschaft andererseits erfüllen zu können. (…) Nicht deshalb verlangt er Freiheit, weil er das Einzelwesen als höchsten Wert betrachtet und weil er für es alle Einschränkungen zugunsten niederer Wertgattungen ablehnen muß, sondern darum, weil er dieses Einzelwesen in den Dienst höherer Wertklassen stellt und weil er seine Persönlichkeit entfalten können muß, um diesen Dienst zu erfüllen.“12
Verloren in der Konsumgesellschaft: Die Gesellschaft des Spektakels
Der liberale Mensch ist zudem dadurch gekennzeichnet, dass er nicht mehr dazu bereit ist, sich für ein höheres Ideal zu opfern. Er dreht sich nur noch um die eigene Achse, richtet sich gemütlich im Freizeit- und Konsumstall ein, indem er alle Verbindungen zu seiner Geschichte und Kultur kappt. Folglich richtet sich der Hass der liberalen Gesellschaft gegen all jene, welche sich zu ihrer Geschichte und ihren Traditionen bekennen, die sich nicht ihre Würde im endlosen Spektakel der Konsumgesellschaft nehmen lassen wollen und ihre Generationenfolge schließlich dadurch fortzusetzen trachten, dass sie Kinder in die Welt setzen und diese dazu erziehen, es ihnen gleich zu tun. Hierin sieht Thor von Waldstein eines der entscheidenden Merkmale dieser Tyrannei der Freiheit, welche sich vor allem als entfesselte Freiheit zu erkennen gibt.
Liberalismus hat mit Demokratie nichts zu tun
In der achten These wird schließlich die Lebenslüge des Liberalismus entlarvt: Demokratie und Liberalismus sind nach von Waldstein miteinander unvereinbar.Denn das Volk kann nicht herrschen, wenn es nur noch Rechte des Einzelnen, aber nicht die des Volkes gibt. Über die Dinge, auf die es ankommt, wird in der liberalen Demokratie schlicht und ergreifend nicht abgestimmt. Für die BRD nennt von Waldstein hierbei den NATO Beitritt 1955, die Einwanderungswelle seit den 1960er Jahren, die Abschaffung der D-Mark, den Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag, die Aufgabe des ethnischen Volksbegriffes sowie die Eurorettungspolitik und viele weitere Beispiele mehr für das Faktum der Scheindemokratie.13
In Bezug auf den Kapitalismus herrscht ein Wechselverhältnis zwischen ihm und dem Liberalismus:
„In dem Maße, wie der Liberalismus die gewachsene Ordnung zerstört, wird das Feld bereitet für die Geldherrschaft des Kapitalismus. Und der ökonomische Erfolg des Kapitalismus stellt wiederum die entscheidende Basis für den politischen Erfolg des Liberalismus.“14
Liberalismus und Kapitalismus: Siamesische Zwillinge
Somit handelt es sich von Waldsteins neunter These zufolge beim Kapitalismus um den siamesischen Zwilling des Liberalismus. Der Liberalismus kann die politischen Gegensätze innerhalb der Gesellschaft nicht auflösen, jedoch versucht er sie mittels der individualistischen Imperative „Bereichert euch!“ und „Habt Spaß!“ in Wohlstand zu ertränken. Und darin liegt auch die Achillesferse dieses politischen Systems: Es ist auf Gedeih und Verderb zu unendlichem Wachstum und wirtschaftlicher Prosperität verdammt. Die seit 2008 herrschende Wirtschaftskrise verdeutlicht, dass der Kapitalismus hier am Ende seiner Weisheit angelangt sein dürfte. Ob wir nun aber schon eine vorrevolutionäre Phase erreicht haben oder nicht, wagt auch von Waldstein nicht zu sagen. Die Fesseln des Geldes drohen sich zu lösen – weder kann der Kapitalismus die ethnisch-religiösen Konflikte in Europa vor der Eskalation bewahren, noch angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs seine asoziale Struktur weiter verheimlichen. Das Ende der Plutokratie könnte bald erreicht sein. Nicht destotrotz leben wir weiterhin in einer Herrschaft der Minderwertigen, welche durch den Liberalismus verkörpert wird. So betreibt die westliche Demokratie durch das Parteienwesen eine bewusste Negativauslese: Unsere Politiker verkörpern nicht etwa eine moralisch integere Elite, sondern die Besten der Intriganten, Lügner und Betrüger.
„Man kann nur hoffen, daß sich gesunde Oppositionskräfte nicht an der schwindenden Herrschaft der Minderwertigen beteiligen, sondern auf einen vollständigen politischen Neuanfang setzen, den dieses vom Liberalismus verstrahlte Land bitter nötig hat.“15
1Thor von Waldstein: Die entfesselte Freiheit. Vorträge und Aufsätze wider die liberalistische Lagevergessenheit. Antaiosverlag. Schnellroda 2017.
2Ebenda. S.161
3Thor von Waldstein: Die entfesselte Freiheit. Vorträge und Aufsätze wider die liberalistische Lagevergessenheit. Antaiosverlag. Schnellroda 2017. S.162
4Vgl. ebenda, S.163
5Vgl. ebenda, S.165
6Vgl. ebenda, S.165
7Vgl. ebenda, S.165
8Zitiert nach: Thor von Waldstein. Die entfesselte Freiheit. Vorträge und Aufsätze wider die liberalistische Lagevergessenheit. Antaiosverlag. Schnellroda 2017. S.167
9Vgl. Thor von Waldstein. Die entfesselte Freiheit. Vorträge und Aufsätze wider die liberalistische Lagevergessenheit. Antaiosverlag. Schnellroda 2017. S.168
10Vgl. ebenda, S.169
11Thor von Waldstein. Die entfesselte Freiheit. Vorträge und Aufsätze wider die liberalistische Lagevergessenheit. Antaiosverlag. Schnellroda 2017. S.169
12Ebenda, S.170
13Vgl. Thor von Waldstein. Die entfesselte Freiheit. Vorträge und Aufsätze wider die liberalistische Lagevergessenheit. Antaiosverlag. Schnellroda 2017. S.172 – 173
14Ebenda, S.174
15 Ebenda, S. 176