Ist unsere Demokratie zur neuen Aristokratie verkommen?

Wir sind stolz auf unsere Demokratie. Die Staatsform der Demokratie gilt als eine DER Errungenschaften unserer hochentwickelten Gesellschaft. Kein Monarch, kein Häuptling, kein Sonnengott regiert uns und glücklicher Weise auch kein Diktator. In der Demokratie geht alle Macht vom Volk aus. Also von uns Bürgerinnen und Bürgern. Ist das so? Sind wir tatsächlich noch der Souverän? Oder haben mittlerweile Neo-Aristokraten die Macht übernommen (und gelernt sie zu behalten)?

Schon vor 2.500 Jahren verknüpften die alten Griechen die Begriffe „dẽmos“ (Volk) und „krátos“ (Kraft, Macht) zu „dēmokratía“, also zur "Herrschaft des Volkes". Im Athen der vorchristlichen Zeit waren alle männlichen Vollbürger der Stadt, die das 30. Lebensjahr vollendet hatten, zum Mitbestimmen an der Regierung berechtigt.

Moderne Demokratien beschränken sich beim Mitbestimmen im Wesentlichen auf das aktive Ausüben des Wahlrechts. Die Attische Demokratie hingegen verstand unter Mitbestimmen deutlich mehr. Zum Wesen der ursprünglichen Demokratie – oder wie es Aristoteles ausdrückte: zur Freiheit der Demokratie – gehörte es, dass man abwechselnd regiert wurde und selbst regierte. Mitbestimmen hieß also auch, selbst politische Ämter auszuüben.

Um die Wählergunst, um die unsere heutigen Politiker mit mehr oder weniger lauteren Versprechen ständig werben, musste sich damals niemand Gedanken machen. Denn die Volksvertreter wurden nicht aus einer kleinen, elitären Gruppe heraus gewählt, sondern wurden aus dem Kreis aller, die das Recht zum Mitbestimmen hatten, per Los ermittelt.

Ja, Sie haben richtig gelesen. In der Urform der Demokratie wurden die Vertreter des Volkes nicht gewählt, sondern gelost. Ausgenommen vom Losverfahren waren lediglich Ämter, deren Übernahme besondere Fachkenntnisse voraussetzten, also die höchsten Strategen des Heeres und Finanzbeamte.

Noch einen essentiellen Unterschied zu unserer heutigen Demokratieform gab es. Die Regierungszeit eines Beamten endete grundsätzlich nach einem Jahr. Schon nach einem Jahr mussten die Volksvertreter ihr Amt für den – frisch ausgelosten – Nachfolger räumen und in ihr angestammtes Leben zurückkehren. Zusätzlich galt, dass der ausgeschiedene Beamte für zumindest zwei Jahre kein neues politisches Amt bekleiden durfte.

Und jetzt vergleichen Sie einmal die ursprüngliche Form der Demokratie mit unserer heutigen!

Damals per Los bestimmte Beamte mit Hausverstand, die aus dem Volk kamen und nach einem Jahr wieder in ihr angestammtes Leben zurückkehrten mussten. Heute mehrheitlich Berufspolitiker, die außer Macht ausüben und Macht erhalten oft keinerlei Berufserfahrung mitbringen, Parteipolitiker, die am Rockzipfel ihres eigenen Klientels hängen und Politiker, die wie in Dynastien ihre Macht an selbst bestimmte Nachfolger weitergeben.

Das Wesen der ursprünglichen Form der Demokratie hat sich offensichtlich über die Jahrhunderte hinweg massiv gewandelt. Angesichts der Ausprägungen – um nicht zu sagen Verwerfungen – unserer heutigen Demokratie drängt sich die Frage auf, ob unsere Wahldemokratie eine neue Aristokratie herausgebildet hat. Und das nicht nur bei uns in Österreich.

Aristokratie bezeichnet übrigens nicht zwingend die Herrschaft eines Monarchen, des Adels oder des Klerus. Als Aristokratie – ebenfalls aus dem Griechischen stammend – gilt grundsätzlich eine Herrschaftsform, in der die Macht von einer vergleichsweise kleinen, privilegierten Gruppe ausgeht. Haben sich unsere heutigen Politiker über Generationen zu solch einer elitären Gruppe entwickelt? Sind Volksvertreter von heute genauso realitätsfern wie vor Jahrhunderten der von Günstlingen umgebene Hochadel?

Sicherlich, auch vor 2.500 Jahren war vermutlich nicht alles nur besser. Im alten Athen wurde mutmaßlich ebenso intrigiert wie heutzutage, und das so genannte Scherbengericht hat manchmal wohl auch dazu gedient unliebsame Mitbürger zu verbannen. Trotzdem hat sich die ursprüngliche Form der Demokratie mit Losentscheid und aktivem Mitwirken aller Bürger über viele Jahrhunderte bewährt ohne zu kollabieren. Solch eine Auszeichnung kann noch keine moderne Wahldemokratie für sich verbuchen.

Grundsätzlich wäre eine moderne Form der Aristokratie durchaus diskussionswürdig. Allerdings nur, wenn sie ihrem griechischen Wortstamm entsprechend tatsächlich eine „Herrschaft der Besten“ wäre. Diese Besten müssten wir zuvor aber erst finden. Denn aktuell tummeln sich unter unseren demokratisch gewählten Volksvertretern noch zu viele aus der zweiten und dritten Liga.

Shutterstock/bikeriderlondon

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