Österreich hat gewählt. Von knapp 6,4 Millionen Berechtigten haben 60 Prozent ihre Stimme abgegeben. 1,37 Millionen davon an Norbert Hofer, an den Herrn, der für die rechtsextreme FPÖ angetreten ist.
Wie kann das nur sein, fragen sich heute viele. Wie können knapp 1,4 Millionen Menschen so dumm sein, einen deutschnationalen Burschenschaftler als Bundespräsident haben zu wollen, hinter dem der Wehrsportler Strache steht, der sich selbst als Ziehsohn des verurteilten Terroristen Norbert Burger bezeichnet hat, hinter dem ein wegen Wiederbetätigung verurteilter Gudenus steht, des weiteren ein Holocaust-Leugner Fröhlich und zahlreiche andere Verurteilte, also Verbrecher? Und ich wage die Behauptung: diese Menschen, diese Hofer-Wähler, sind nicht dumm.
Verdrehung. Nicht alle, schränke ich ein. Nicht vergessen darf man nämlich freilich jene, die ihre Stimme bewusst und entschieden einer FPÖ geschenkt haben, und dies nicht, obwohl sie in absoluter Kenntnis der Vergehen dieser Partei sind, sondern eben gerade weil und wegen Verbrechen wie Wiederbetätigung, Hetze, Holocaust-Leugnung, Steuerhinterziehung, Veruntreuung. Und Rüpeleien. Unmenschlichkeiten. Dieser Teil der FPÖ-Wähler weiß nicht nur von einem "Wir werden dieses Land übernehmen!"-Gehabe seiner Gewählten, dieser Teil weiß nicht nur über die Verbandelung von Freiheitlichen und deutschnationalen Burschenschaften oder den hochgradig gefährlichen Identitären, nein, dieser Teil will all das bewusst und gezielt unterstützen, dieser Teil will auch, dass die FPÖ Stimmung macht mit Verdrehung, falschen Zahlen, öffentlichkeitswirksamen und aber stets rechtzeitig relativierten Lügen.
Nichts wissen. Ich selbst sehe diese Leute als Gefahr für Demokratie, als Beschwörer von Gewalt und Krieg, als Feinde von Humanismus und Besonnenheit. Ich will hier jetzt aber nicht entschieden Einspruch erheben, wenn irgendwer mir diese Leute der Einfachheit wegen als dumm bezeichnet. Mit in der Menge der FPÖ-Ermöglicher und -Förderer sind die, die von all den großen Gefahren, die radikale Parteien für Land und Volk bedeuten, nichts wissen. So soll man meinetwegen auch noch die als ignorant und dumm bezeichnen, die eben bis heute nichts gehört haben von der Vorstrafendichte in ihrer Partei, von der Nähe zu dubiosen Mächten und deutschnationalen Vereinen.
Hoffnung. Bei den 36 Prozent der mündigen oder eben zumindest wahlberechtigten Österreicher, die am letzten Sonntag Hofer gewählt haben, gibt es neben den genannten überzeugten Nationalisten, den Deutschtümlern, den Nazis, den Verbrechern und Hetzern einerseits und den Unwissenden, Uninformierten und Ungebildeten andererseits nun aber noch eine dritte Gruppe: Die ganz normalen Bürger! Die Gruppe jener Gläubigen, die mit der FPÖ ihre Hoffnung, ihren Wunsch auf Veränderung und Rache an der Regierung erfüllt sehen und deshalb an der dunklen, an der dunkelbraunen Seite dieser Blauen absichtlich vorbeischauen, die ihre Augen verschließen vor Vergehen, Übertretungen, Verbrechen und Unwahrheiten. Und all diese Menschen sind nicht dumm.
Krieg. Das sind die normalen Bürger, die Angst haben vor der Zukunft, die unzufrieden sind mit der Legislative, die Proporz satt haben und Inaktivität, die genug haben von einer rot-schwarzen Lähmung des Landes. Gruppe drei der normalen Bürger weiß nun zwar genau, dass FPÖ-Politiker Gärtner sind und Dünger zugleich im Gewächshaus der Unmenschlichkeit, der Falschinformation, der Hetze, der rechtsextremen Ungerechtigkeit, Gruppe drei der normalen Bürger weiß, dass Blaue eben auch nur Politiker sind, und oft nicht nur das, sondern gar die Großmeister sind in den Disziplinen Mauschelei, Verschleierung und Hinterziehung, Gruppe drei weiß, dass aggressive Politiker aggressive Politik machen, dass aggressive Politik aggressive Stimmung nährt und dass solche Stimmungen in der Geschichte stets der beste Nährboden waren für Ausschreitungen und Krieg.
Verzweiflung. Diese dritte Gruppe der FPÖ-Wähler, diese Gruppe aus ganz normalen Bürgern aber entschied sich am 24. April 2016 wieder (oder eben zum ersten Mal) trotzdem dafür, blau zu wählen. Das sind jene der Leute um und neben uns, die sich, wenn sie Kopfschmerzen haben, mit dem Hammer auf die Knie schlagen, um die Kopfschmerzen nicht zu spüren.
Und das ist nicht dumm. Das ist nur alternativ. Das ist arm mitunter, verzweifelt allemal. Es ist nicht einfach nur dumm. Es ist masochistisch und kurzsichtig, rachsüchtig und naiv, arglos und unerwachsen.
Normal eh nicht. Ahnungslos und unverantwortlich ist dieser dritte Teil der Blau-Wähler nicht erst seit der letzten Bundespräsidentenwahl. Schon davor waren drittklassige Wirtshäuser und Social Media-Seiten voll mit gewissenlosen, inhumanen und gewaltverherrlichenden Kommentaren, mit Radikalnationalismus, Fremdenhass und nicht selten strafbar formulierten Wahlempfehlungen. Soziologisch und psychologisch auffällige Ausdrucksweisen. Und nicht nur die oben genannten ersten beiden Wählergruppen alleine toben sich hier aus in der Anonymität des World Wide Web. Auch die dritte Gruppe, die, die "normal eh nie FPÖ wählen", wie sie sinnwidrig anführen, sind da aktiv mit dabei.
Neid und Ranküne. Wenn ich heute da und dort die Frage höre, wo bitteschön doch all die vielen Pöbler, all die vielen Hasspost schreibenden Kröten auf einmal her kämen in den letzten Monaten und Jahren, dann sage ich: Die waren immer schon da, diese Kröten. Die waren immer um uns. Still. Verhalten. Abwartend. Und es sind nicht bloß 36 Prozent der Bevölkerung, deren wahre Sprache das grobe Wort ist, deren wahres Denken eine Melange ist aus Ranküne, Ich-zuerst-Missgunst, Neid, Fremde-raus-Bosheit, Unwissenheit und Engstirnigkeit.
Es ist, so bin ich davon überzeugt, umgekehrt herum: 64 Prozent und mehr der Wahlberechtigten können das Heute nicht folgerichtig verknüpfen mit geschichtlichen Ereignissen. Keine 36 Prozent unserer Zeitgenossen können auch nur 10 Sätze ohne Schreibfehler verfassen, können mittelmäßig verschachtelte Texte sinnerfassend lesen. Wie sollen dann mehr als 36 Prozent unserer Landsleute einen Zusammenhang herstellen können zwischen einer FPÖ-Regierung und formidablen Nachteilen für jeden einzelnen von uns Staatsbürgern, zwischen Strache und Spannung im kleinen Land der Berge?
So blau … "So blau, blau, blau blüht der Massenwahn", schrieb ich schon vor 20 Jahren auf einem selbst produzierten und verteilten Flugblatt. Auch damals gab es eine Lichtgestalt für die Primitiven, für die Zündler, die Einfältigen. Damals war ein gewisser Haider die Legitimation für das Abgrundtiefe, das Absurde, die Geistlosigkeit in manchen Menschen. Was vorher nur hinter vorgehaltener Bierflasche zu sagen gewagt wurde, durfte dank Führer plötzlich laut hinausgerülpst werden. So war und ist die Primitivität also ein Schläfer, der wach wird und aktiv, wenn jemand ihn führt.
Nicht dumm. Aber bleiben wir meiner eigenen Textüberschrift halber einmal bei den aktuellen 36 Prozent. Vergessen wir auch die überzeugten Rechtsradikalen, vergessen wir die Ahnungslosen, kommen wir zurück auf die dritte Gruppe der Hofer-Wähler vom 24. April, auf die Gruppe der ganz normalen Bürger. Diese nämlich tut die Gefahren, die von nationalistischen und rechtsextremen Strömungen und ihrer eigenen Wahlentscheidung ausgehen, gerne ab mit der selbstsuggestiven Rechtfertigung: "Ach, was sollen die schon groß anstellen heutzutage?" Und das ist, wie ich eingangs sagte, nicht einfach dumm. Das ist Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit par excellence. Diese Gruppe vergibt sich ihre eigene Verneigung vor dem braunen Sumpf mit einem wohl notwendigen Denkzettel, adressiert an die Arbeit der momentanen Regierung, von der sie ebenso wenig Ahnung hat, wie von Humanismus und Courage. Ich schließe mit den Worten des großen Malers Hannes Schwarz: "Zur Welt, wie sie ist, sage ich nein …" Und wie erschreckend der österreichische Teil davon ist, werden wir am 22. Mai 2016 belegt bekommen. Es werden, so fürchte ich, nicht 36, wohl eher 64 Prozent sein.