Von den vielen verschiedenen Orten und Plätzen in Österreich hat Mariazell einen besonderen Klang. Meistens hört man davon, wenn mal ein Papst zu Besuch ist oder die Familien der Habsburger ein frohes oder eher trauriges Ereignis zu feiern haben. Schnell lernt man, dass dieser Ort in erster Linie ein bedeutender Wallfahrtsort ist. Aber ist der Ort und das umliegende Mariazeller Land vielleicht doch mehr als das? Aus Anlass einer Reise mit der Mariazellerbahn versuchte ich dieser Frage auf den Grund zu gehen.
Genau genommen kann man Mariazell inzwischen bequem vom Flughafen Schwechat erreichen. Man braucht nur mit dem Hochgeschwindigkeitszug vom Flughafen bis nach Sankt Pölten fahren und dort in die schmalspurige - sehr langsame - Mariazellerbahn einsteigen.
Bei der Fahrt von Sankt Pölten nach Mariazell empfehle ich einen Platz auf der rechten Seite des Zuges zu nehmen. So hat man während der Fahrt einen besonders guten Blick auf den markanten Ötscher, den Stausee und auf die wilde Landschaft des Erlauftales. Ob man lieber mit den modernen klimatisierten Zügen („Himmelstreppen“) oder mit einem nostalgischen Zug („Ötscherbär“) fährt ist Geschmackssache und wohl auch eine Frage der Tagestemperaturen.
Linktipp: Mariazellerbahn (Private Webseite)
Leider endet die Bahn doch einige Kilometer außerhalb Ortes und so spazierte ich noch ca. 20 Minuten in die Stadt hinein. Ich hätte mir aber auch einen Bus oder Taxi nehmen können, da es in Mariazell ein recht gut ausgebautes Rufsystem gibt, dass auch für Wanderer und Pilger zur Verfügung steht.
In Mariazell angekommen, fiel mir gleich der hohen Anteil an Besuchern aus Ungarn und Tschechien auf. Tatsächlich ist die Basilika nicht nur eine Art Nationalheiligtum für Österreich, sondern auch auf für Ungarn und für Mähren. Die Statuen vom ungarischen König Ludwig I. und vom mährischen Markgraf Heinrich an den Seiten des gotischen Hauptportales unterstreichen dies auch deutlich.
Gleich nach dem Besuch in der Basilika stellt sich die nächste Frage: Was nehmen wir jetzt mit nach Hause? Typische Souvenirs aus Mariazell sind Lebkuchen, Magenbitter und Schneekugeln.
Das mit der Schneekugel kam so: Der Wiener Erwin Perzy experimentierte mit neuartigen Lampen und erfand dabei nebenbei eine Kugel, in der eingebrachter Flitter nach heftigem Schütteln wie Schnee fiel. In diese Schneelandschaft setzte er ein Modell der Mariazeller Basilika und diese Kombination ist noch heute in den zahlreichen Wallfahrtswarenläden gleich neben der Kirche erhältlich.
Bezüglich Lebkuchen dachte ich zuerst an ein Nebenprodukt der für einen Wallfahrtsort so notwendigen Kerzenproduktion. Aber im Gespräch mit einem Einheimischen erfuhr ich folgendes: Früher – also vor Instagram und Facebook – brauchten die Pilger einen Beweis für ihre erfolgreiche Wallfahrt. Unter anderem kauften sie Lebkuchen, da diese Speise besonders haltbar war und sich bis zum Ende der Rückreise hielt.
Der Magenbitter erhielt seine Berechtigung durch den Umstand, dass man auf so einer Pilgerreise oft auch verdorbene Speisen gereicht bekam und spätestens in Mariazell hatte man so einen Trank bitter nötig. Nun, das Essen in den Gasthäusern ist inzwischen hervorragend, der Magenbitter aber blieb.
Zugegeben, der Ort Mariazell ist nicht besonders groß. Die Basilika und einige bemerkenswerte Häuser im klassischen Jugendstil sind schnell besichtigt. Das lenkt die Aufmerksamkeit auf die Umgebung, die man zum Teil wandernd, zum Teil auch per Straßenbahn (!) erfahren kann.
Das mit der Straßenbahn in einem Gebirgsort wie Mariazell kam so: Sie ist Teil einer Sammlung von historischen Straßenbahnen aus ganz Österreich. Die Sammlung wird noch nicht so richtig in einem Museum präsentiert, aber man kann einige Stücke davon auf regulären Fahrten von Mariazell zum nahe gelegenen Erlaufsee erleben.
Für Enthusiasten gibt es auch die Möglichkeiten Sonderfahrten zu bestellen, wo dann auch ein von Otto Wagner gestalteter Salonwagen eingesetzt wird. Wie mir der Gründer der Sammlung übrigens erzählte, arbeitet er gerade daran, auf dem Erlaufsee auch eine Bootsfahrt mit einem Nostalgieschiff anzubieten.
Linktipp: Museumstramway Mariazell
Zugegeben, in einer Straßenbahn zum Badeausflug zu fahren ist nicht besonders sportlich. Aber darf man von einem Wallfahrtsort auch sportliche Herausforderungen erwarten, die über eine Pilgerreise hinausgehen? Ja, man darf.
Eigentlich fuhr ich mit der Panoramagondel nur deshalb auf den Hausberg von Mariazell, um mir dort im Rahmen der jährlichen Veranstaltungsserie „Bergwelle“ ein Konzert von Andy Lee anzuhören. Aber dabei blieb es nicht. Die dort angelegten Speicherseen werden inzwischen für Wakeboarding genutzt. Es ist schon ein sehr eigenes Gefühl eine so sommerliche und strandnahe Sportaktivität inmitten eines Waldes durchzuführen.
Linktipp: Mountain Wakeboarding ‚Wakealps‘
Im Wald gibt es dann noch einen Lehrpfad zum Thema Forstwirtschaft und das Leben der Holzknechte. Dazwischen fährt zur Freude der Kinder die dritte Bahn, die ich an diesem Wochenende kennen lernen durfte.
Das Andy Lee Konzert, welches auf einer Bühne mitten in einem der Seen stattfand endete übrigens nicht nur mit tosenden Applaus und zahlreichen Zugaben, sondern auch mit einer beeindruckenden Lasershow, die mit Hilfe einer aufgesprühten Wasserwand den Eindruck vermittelte, man fliegt jetzt gleich durch einen Zeittunnel in andere Galaxien.
Linktipp: Konzertreihe auf der Bürgeralpe ‚Bergwelle‘
Andere Galaxien kann man übrigens in Mariazell besonders gut beobachten. Durch die Abwesenheit von Industrie und nur wenig Besiedlung ist der Himmel sowohl sauber, als auch kaum aufgehellt. Eine Volkssternwarte auf der Stehralm bietet hierzu auch das passende Fernrohr. Mein letzter großer Sinneseindruck vom Andy Lee Konzert war übrigens das Zurückgondeln in der Panoramagondel, wo man praktisch unter dem Sternenhimmel zur beleuchteten Stadt hinunter schwebt.
Linktipp: Volkssternwarte Mariazell
Zurück in der Stadt stellt sich natürlich die Frage, ob der Pilgerort nun auch von vielen Pilgern frequentiert ist. Zumindest bei meinem Besuch Mitte August war das nicht so. Viel stärker dominierten hier rastenden Motorradfahrer und Sportradfahrer, die in der glühenden Hitze andächtig eine Portion Eis genossen.
Auch scheinen viele Besucher der niederösterreichischen Landesaustellung 2015 mit dem Titel ÖTSCHER:REICH vorbei zu kommen. Tatsächlich befindet sich eine Station dieser Ausstellung im Umfeld von Mariazell. Entlang des Rosenkreuzweges von Mariazell zur nahe gelegenen Sebastianikirche ist ein Kräuterlehrpfad angelegt.
Im Rahmen einer Führung wanderte ich nun diesen Lehrpfad ebenfalls ab und lernte sowohl Kräuter in den dafür angelegten Beeten, als auch in der freien Natur kennen. Da der Rosenkranzweg auch einen Teil der Via Sacra darstellte, traf ich hier mit meiner Gruppe auch bald auf verschiedene Pilgergruppen, die man zwar nicht an der Kleidung aber doch an dem großen voran getragenen Kreuz erkennen kann.
Linktipp: Kräuterlehrpfad am Sebastianiweg
Mit der Zeit vermischten sich sowohl die Gruppen als auch die Gespräche. Kräuterexperten erklären Pilgern die Kräuterbeete, Pilger erklären den Kräuterexperten die Rosenkranzstationen. Ein interdiziplinärer Dialog mitten im Mariazeller Land. Und mit diesem Dialog und einigen Songs von Andy Lee im Ohr fuhr ich dann wieder mit der Schmalspurbahn zurück nach Sankt Pölten.