"Wenn's so weitergeht, müssen wir bald dokumentieren, welche Insektenspezies wir in unseren Fallen fangen." Nach dem zweiten After-work-Achterl mit meinem kaufmännischen Leiter lass ich mich hinreißen. Des Österreichers Lieblingsbeschäftigung hält endlich auch in unseren Hallen Einzug: Sudern, Jammern, Raunzen. Auch ich kann es mir nicht verkneifen.
„Machen wir doch schon längst. Aber sei ganz beruhigt, die gemeine Stubenfliege ist Dauergast und hat es noch nie geschafft bis in die Produktion vorzudringen. Steht alles fein säuberlich im Schädlingstagesbericht Version 3.1", sagt er förmlich. „Witz?“ „Kein Witz!".
Aber das sei längst nicht alles. 80 Seiten Dokumentation pro Charge unserer Frischekosmetik? Macht fast hunderttausend Seiten im Jahr nur dafür. Weitere acht Millionen für Aufzeichnungen hier, Datenblätter da, Maschinenprüfberichte, Manuals, Dossiers, Bewertungen, Protokolle und Anweisungen. Lebensmittelaufsicht, Bezirkshauptmannschaft, Arbeitsinspektorrat, Finanzamt, GKK, Eichamt, Statistik Austria. Sie alle vollen versorgt werden mit Ordnern und Daten. Und vor allem mit jeder Menge Papier. Es wird evaluiert, kontrolliert und manchmal, niemand ist perfekt, bestraft. Und damit es uns Unternehmern richtig ins Hirn eingebrannt wird – neuerdings auch gerne fürs gleiche Delikt mehrmals.
Da kann ich mir ein wenig Kritik nicht verkneifen: „Bei der chinesischen Zensurbehörde gibt’s ja mehr Raum für Kreativität und Ideen.“ „Du kannst so kreativ sein wie du willst. Natürlich aber musst du dokumentieren, wann du wie und warum kreativ warst. Zehn Sekunden Geistesblitz, zehn Stunden Berichte. Sonst gibt's halt keinen Forschungsfreibetrag.“ Dieser wurde übrigens erst kürzlich als Unternehmerzuckerl im Zuge der Steuerreform erhöht, ist aber für die meisten Firmen aufgrund des Wahnsinnsaufwandes so unerreichbar, wie der Ellenbogen mit der Zunge.
Ich war da ja immer ein bisschen altmodisch. Für mich sollten Unternehmer schauen, dass sich das Geschäft entwickelt, unsere Kunden zufrieden, ja begeistert sind. Wir wollen Umsatz machen, wachsen, Dinge erfinden, unseren MitarbeiterInnen einen attraktiven Arbeitsplatz bieten. Vielleicht sogar etwas beitragen, Stichwort Nachhaltigkeit und CSR. „Kannst du doch“, beschwichtigt mich mein Gegenüber. „Den Papierkram erledigen ja ohnehin deine Experten. Sieben Akademikerinnen und meine Wenigkeit", wie er nicht ohne Stolz hinzufügt. Recht hat er, das ist mittlerweile kein Problem mehr. Das gleiche Unternehmen könnte ich aber heute nicht mehr gründen. Denn als Einmann- bzw. Einfrauunternehmen – so haben wir damals begonnen – kann man das heute nicht mehr alles selber machen und Geld für Mitarbeiter hatten wir in der Anfangsphase auch nicht.
Jetzt fallen alle Schranken und sie sprudeln nur so heraus: die Wörter. Die, die man dieser Tage landauf landab in Internet und Zeitungen liest: Generalverdacht gegen Unternehmer, Lohnnebenkosten, Steuern, Überverwaltung, Zielpunkt, Arbeitslosigkeit, Basel 3. Schön langsam schmeckt mein After-work-Achterl ein bisschen bitter. Wer bitte ist noch so blöd und macht seine eigene Firma auf?
Wir sprechen von Industrie 4.0 und halten uns eine Pflicht-Interessensvertretung in Verfassungsrang mit unkündbaren Funktionären im Elfenbeinturm. Eine Gewerbeordnung aus Kaisers Zeiten, die nicht Qualität fördern, sondern vor Konkurrenz schützen soll. Und hin und wieder, nach einem langen Unternehmerleben mit vielen Gewerbescheinen, überreichen sie dir eine Kommerzialratsurkunde mit Erinnerungsfoto (eine Chance, die ich mir mit dem Verfassen dieser Zeilen wohl verbaut habe). Zum Aufregen gibt’s genug, doch auch in Österreichs Chefbüros liegt zwischen dem Reden und dem Tun nicht das Meer, sondern der Stammtisch. Während fast alle Grund zum Protest haben, so Raunzen wir lieber bei einem Glaserl Wein.
Die Wirte ärgern sich aber trotzdem grün und blau, so viel können wir gar nicht trinken. Registrierkassen müssen quasi schon Vorgestern eingeführt werden, zum Wegräumen der Aschenbecher haben sie zwei Jahre Zeit. Allergenverordnung, Erhöhung der Mehrwertsteuer, Dokumentationswahnsinn. Der Punschstand um die Ecke und der Heurige sind fein raus. Auf Barrikaden aus Tischen und Tellern steigt hingegen keiner.
Der Handel ärgert sich über die Online-Konkurrenz und schreibt offene Briefe an ältere Diven, die - ach wie schrecklich - für Zalando werben. Der gleiche Handel nimmt es aber emotionslos hin, wenn sich Touristen aus Fernost in der Wiener Innenstadt an den Schaufenstern jeden Sonntag die Nasen plattdrücken. Immerhin können sie ja online bestellen.
„Und wir?“, reißt mich der Rest der 2-Mann Stammtischrunde aus meinem Rant. „Hol noch eine Flasche", sage ich. „Dokumentieren?“ „Nein! Der Protest beginnt genau jetzt“.