In letzter Zeit frage ich mich immer wieder, warum rund um mich alles in fröhlicher Glückseligkeit versinkt, während ich mich täglich grün und blau ärgern muss. Wie schaffen es meine Mitbürger in Anbetracht des Abstiegs, in der sich die Alpenrepublik offensichtlich befindet, die Freude zu bewahren? In allen namhaften Rankings werden wir nach unten durchgereicht, aber dem gelernten Österreicher schmeckt das Bier wie eh und je. Nahezu alle Länder der EU befinden sich in, oder stehen vor dem ersten Aufschwung seit zehn Jahren, außer – erraten – Österreich.
Während ich so grübelte kam sie plötzlich, die Erkenntnis. Ich wusste, warum meine Mitmenschen zum Jubel ansetzen, während ich mir regelmäßig auf die Stirn greife: Man muss die Dinge einfach nur schönreden und alle Hürden, die es zu überspringen gibt um ein Stück nach unten legen. So lag er plötzlich vor mir, der Pfad zum Lebensglück; Der Pfad des Nivellierens nach unten … Und das Leben ist schön! Und deshalb, schreibe ich mir jetzt nicht mehr den Frust von der Seele, sondern erfreue mich ab sofort am Status Quo. Eine durchschnittliche Leistung ist plötzlich spitze, jede Niederlage hätte noch viel schlimmer ausfallen können.
Vier von zehn Kindern können nach vier Jahren Volksschule nicht richtig lesen? Aber hallo? Sechs von zehn schaffen das. Eine Direktorin einer Neuen Mittelschule sieht für ein Drittel ihrer Schüler schwarz am Arbeitsmarkt und im Leben? Es könnten ja auch mehr sein und auch das AMS will doch seine Kurse auslasten. Und überhaupt: Unser Bildungssystem ist doch gewissermaßen weltspitze: Es ist das Teuerste.
Apropos Arbeitsmarkt: Ist doch toll, wir haben weniger Arbeitslose als Griechenland. Das könnte viel schlimmer sein. Österreich liegt ja immer noch ziemlich gut. Die Erinnerung, dass wir einmal Vollbeschäftigung hatten und gleich nach Luxemburg den 2. Platz in der EU eingenommen haben, wird gerade aus unserem kollektiven Gedächtnis gestrichen. Ist das nicht schön?
Das höchste Amt im Staat steht vor der Neubesetzung. Das staatliche Bildungsfernsehen unterhält unterdessen mit Dancing Star. Super! Der Bundespräsident hat ja eh keine Macht und so kann man wenigstens vergessen, dass Österreich sich in einer Abwärtsspirale befindet, die sich neben den Pirouetten von Jazz Gitti nicht verstecken muss.
Zum Wahlkampf werden alle möglichen Themen und private Befindlichkeiten vom ORF während einer Fahrt in einem alten S-Klasse-Mercedes diskutiert. Lediglich warum Österreich derart auf dem absteigenden Ast ist, wird in jeder Gesprächsrunde elegant ausgespart. Schönwetterwahlkampf – finanziert durch die höchste Parteienförderung der Welt.
Seien wir doch froh, dass wir die Finanzkrise so gut überstanden haben. Was ja sicher auch an der besonders um- und weitsichtigen Führung durch unsere Regierung liegt. Ihr haben wir es schließlich zu verdanken, dass das schlingernde Schiff Österreich durch aktives Aussitzen, beharrliches Hoffen und gut geplante Glückstreffer so gut durch die Finanzkrise navigiert wurde. Auch das hätte ja alles viel, viel schlechter ausgehen können.
Was, wenn es uns so ergangen wäre wie Irland? Wie hätten wir alle unter den Reformen gelitten? Wir hätten doch beispielsweise das Pensionsantrittsalter erhöhen müssen! Wer bitte kann erwarten, dass man bis 65 arbeitet? Es ist doch wirklich beachtlich, dass wir mittlerweile bei einem tatsächlichen Antrittsalter von 60 Jahren und einem Monat sind. Tendenz homöopathisch steigend.
Unser Gesundheitssystem ist an der Grenze der Unfinanzierbarkeit, aber es funktioniert. Wie viele funktionieren nicht auf der Welt, schauen wir uns doch einmal um? Unser Föderalismus mag unser Land zwar finanziell ausbluten und lähmen, aber unser Mikrokosmos von Kirchturmmentalität und Lokalpatriotismus hält uns warm und bewahrt unsere Identität.
Nur ein Gedanke ließ mich nicht los: Gibt es etwas, wo wir wirklich noch Weltspitze sind? Nobelpreisträger? Das war einmal. Fußball? Schauen wir mal, ob wir mithilfe eines Schweizers etwas reißen. Wintersport? Siehe Nobelpreisträger. Nein, der Blick in diverse Rankings und Studien fördert überraschendes zutage: Österreich ist Weltklasse in „Lebensqualität“.
Noch. Natürlich ist zu erwarten, dass sich der Reformstau in unserem Land schon bald und ziemlich hart auch auf die letzte Spitzenleistung Österreichs auswirken wirkt. Aber mein persönliches Heilmittel habe ich schon intus: Längst habe ich mich mit dem Abstieg abgefunden. So werde ich nicht enttäuscht sein, zumal es dann so vielen Menschen anderswo noch viel schlechter gehen wird als uns Österreichern.