„Alles tendiert zur Unerträglichkeit“ ist eine kühne Behauptung die eine entsprechende Beweisführung verlangt. Haben wir diesen Beweis aber gesehen und verstanden, erklärt sich so Vieles in der Welt.
Es lohnt daher das Gedankenexperiment mitzumachen und weiterzuerzählen.
Beginnen wir mit einem einfachen Beispiel: Ich fahre nicht mit dem Auto in die Arbeit. Nicht weil Greta das nicht gut findet, sondern weil mir der damit verbundene Stress zu groß ist. Im Stau stehen, Parkplatz suchen, all das stresst mich, ich empfinde es als unerträglich. Also weiche ich aus.
Wären die Straßen aber leer, die Parkplätze verfügbar und so weiter, würde ich wohl mit dem Auto fahren. Irgendwo zwischen dem „Ist-Zustand“ und diesem „Idealzustand“ (ie: keine Autos auf der Straße, außer meinem) liegt also der Punkt an dem ich gerade noch das Auto benutzen würde, auch wenn es schon hart an der Grenze zur Unerträglichkeit wäre.
Menschen die die gleiche, oder aber geringere, Toleranzschwelle aufweisen fahren nicht mit dem Auto. Menschen die eine höhere Toleranzschwelle besitzen, für die dieser Ist-Zustand eben (noch) erträglich ist, fahren aber.
Der vorhandene Zustand ist also genau der Punkt an dem für die Mehrheit der Menschen der Zustand gerade noch erträglich ist.
Wird es noch eine Spur unerträglicher, weichen Menschen aus und machen die Situation damit wieder eine Spur angenehmer. Es handelt sich daher um einen Regelkreis der sich immer genau an der Stelle der durchschnittlichen Unerträglichkeit einpendelt.
Das gleiche gilt für alle Dinge.
In einem Wald mit besonders vielen Hasen werden Füchse aus kargeren Regionen zuwandern oder aber die, die schon länger da sind, werden es schaffen mehr Junge durchzufüttern. Das Resultat sind mehr Füchse, die aber mehr Hasen fressen, was zu einem Abnehmen der Population der Hasen führt. Das führt dann natürlich zu verhungernden und abwandernden Füchsen.
Das System stellt sich also auch hier so ein dass die meisten Füchse nicht verhungern müssen, aber so wirklich fett fressen kann sich der durchschnittliche Fuchs auch nicht.
Der Naturzustand ist also die Krise, die Knappheit, die beinahe Unerträglichkeit.
Nun ist das ein Zusammenhang den die Natur schon längst erkannt hat. In besonders fetten Jahren, also Zeiten in denen wir wie irre Nachwuchs produzieren könnten, greift ein instinktives Failsafe System das wir seit den 1960igern als „Behavioral sink“ verstehen. Scheinbar reduzieren Säugetiere in Nichtkrisenzeiten (ie: „gute Zeiten“) ihre Reproduktion.
Der evolutionäre Vorteil liegt darin, dass eine Spezies die nicht über ihre Möglichkeiten lebt dann nach der paradiesischen Ausnahmesituation (Reichtum), im Normalzustand (also der Knappheit) nicht zu viele Jungen hat. Zu viel Nachwuchs könnte alle bedrohen.
Was aber wenn man Generationen lang diesen Idealzustand vorfindet? Was passiert dann?
Versuche an Mäusen (vor allem durch John B. Calhoun) zeigen dass dieser Failsafe genau das bewirkt was er verhindern soll: ein Aussterben.
Die Reproduktion wird schlicht abgewürgt.
Weibchen vernachlässigen und verstoßen ihre Jungen und beginnen zunehmen aggressiver zu werden und nehmen hierbei typisch männliche Verhaltensmuster an. Männchen auf der anderen Seite hören auf um Weibchen zu werben und beginnen sich übermäßig zu putzen. Forscher nannten sie die „Wunderschönen“. Diese Männchen kämpfen nicht mit anderen Männchen, werben nicht um Weibchen und selbst wenn man sie aus dem System herausnimmt und einem interessierten Weibchen gegenübersetzt, zeigen sie kein Interesse an Reproduktion.
Das Paradies kann also eine Todesfalle für eine Spezies sein.
Übersetzt sich das auch in menschliches Verhalten? Haben besonders privilegierte Menschen besonders wenig Nachkommen? Findet man genau in diesem Segment die aggressivsten Frauen und verweichlichten Männer?
You be the Judge.
Fakt ist dass wir dieses Verhalten im Tierreich beobachten können und es perfekt Sinn macht.
Wie aber schafft es dann ein Rudel Wölfe erfolgreicher zu werden als ein andere? Sie bilden Reviere und verteidigen ihre Grenzen. In dem Moment wird das Zuwandern von anderen hungrigen Wölfen unterbunden und die potentielle Beute bleibt dem Rudel vorbehalten.
Das Rudel unterliegt natürlich der Behavioral sink und vermehrt sich nur insoweit als dass der Idealzustand erhalten bleiben kann. Sinkt ihre Population aber so stark dass sie ihre Revier nicht mehr verteidigen können werden sie entweder ersetzt oder aber schalten, getriggert durch die Krise, wieder in den Normalmodus.
Es wird immer gerne behauptet dass Menschen ihre Instinkte verloren hätten. Das Beispiel Behavioral sink lässt aber vermuten dass die Instinkte da sind und wir sie, wie den Wald vor lauter Bäumen, einfach nicht sehen können.
Ohne Territorien, ohne Grenzen, tendiert jedes System zur Unerträglichkeit. Die einzige Möglichkeit in einem Zustand der ständigen Erträglichkeit zu landen sind daher Grenzen. Der daraus resultierende Frieden führt (ironischerweise) zu einer Schwächung der Gruppe und das führt dann zu einem Zusammenbrechen des Territoriums, was zum Normalzustand führt: der Krise. Das wiederrum führt zu einem Aussterben und Ersetzen oder aber zu einer Renaissance der nativen Spezies oder aber Kultur.
Wir im Westen haben 3 Generationen Frieden hinter uns und durchleben die logische Konsequenz: eine Phase von kollektiver Schwäche, Depression und Todessehnsucht und einer Kultur die versucht all diese Dinge zu adeln.
Das Resultat ist eine Krise die entweder unsere Kultur auslöscht oder aber erneuert.
Wesentlich ist aber eben zu erkennen dass der Naturzustand eben nicht Reichtum, Wohlstand und Frieden ist, sondern all die Dinge die wir als garantiert betrachten, die völlige Ausnahme darstellen.
Obgleich ständiger Wohlstand zwar keine Bedrohung für die Spezies Mensch darstellt, erscheint es als hätten unsere Instinkte das nicht verstanden.