Vorausgeschickt ist bekannt dass ich die Welt nicht als „in links und rechts“ gespalten sehe. Ich sehe da deutlich mehr Dimensionen. Nichtsdestotrotz ist diese eindimensionale Sicht der Standard und es gilt sich daran zu halten. Diese grobe Vereinfachung führt aber eben dazu dass auf beiden Seiten Menschen zusammengewürfelt werden die in Wirklichkeit wenig miteinander gemeinsam haben und manche Untergruppen werden, wie heiße Kartoffeln, hin und hergeworfen.

Grob betrachtet sammelt sich im Begriff der Linken der Teil der Bevölkerung der eher in Missstände sieht und ändern möchte, nach vorne blickt und revolutionäre Änderungen vorschlägt. Dreh und Angelpunkt ist das Gefühl und Ziel ist eine Welt in der alle glücklich sein können.

Die rechte Perspektive ist eine Sichtweise die das Gute der Vergangenheit konservieren und auf diese Errungenschaften aufbauen möchte. Der Blick ist daher immer teilweise nach hinten gerichtet und es wird auf graduelle Änderungen gesetzt. Es soll (eventuell) verbessert aber niemals revolutioniert werden. Zentral ist die Rationalität und messbare Fakten und das Ziel ist die bestmögliche Welt die man aus der Welt „wie sie ist“ machen kann, dabei ist klar dass Perfektion nicht möglich ist.

Interessant ist hierbei die jeweilige Einschätzung des anderen. Knapp gesagt sieht der Rechte den Linken als ungebildet und naiv an, der Linke sieht den Rechten aber als unmoralisch und böse.

Debatten verlaufen daher meistens aneinander vorbei.

Ein klassisches Beispiel ist etwa jede Debatte über sozialistische Experimente der Vergangenheit. Der Rechte wird darauf pochen dass all diese Experimente noble Ideale hatten und alle in einem Desaster endeten. Der Linke wird aber stets entgegenhalten dass es sich nicht um „echten Sozialismus“ handelte, da die Vision nicht realisiert wurde. Damit ist die Sache kein Versagen der Idee sondern nur ein Beispiel dafür dass die Welt da noch nicht "reif" war. Heute sei alles ganz anders.

Das gleiche gilt für gewalttätige Sozialisten. Die sind auch sofort Rechte, denn „Linke tun nichts Böses“.

Die Debatte dreht sich also für den Rechten um die Frage „was funktionierte in der Vergangenheit und was kann man draus lernen“ wohingegen der Linke eher an moralischen Fragen interessiert ist und sich fragt was denn sein Gegenüber gegen eine paradiesische Welt einzuwenden habe und wie man so abgrundtief böse sein kann das Paradies abzulehnen und statt dessen eine Welt bevorzugen könnte in der Menschen ihren Kindern beim Verhungern zusehen müssen.

Das Problem dabei ist eben die völlig andere Herangehensweise. Für den Linken ist die Frage „wie man zum Ziel kommt“ nur ein Detail. Wesentlich ist die Bereitschaft und der Willen dort hin zu kommen und wenn alle das wollen, dann wird man das schon schaffen.

Das "wie" finden wir dann schon heraus.

Der Rechte hingegen pocht auf die Machbarkeit und versteift sich mitunter zu sehr darauf was alles in der Vergangenheit nicht funktioniert hat.

Hier tritt der, von beiden Seiten gehasste, Zentrist auf und behauptet dass beide bis zu einem gewissen Teil Recht haben. Zum einen braucht der Mensch visionäre Ziele zu denen er hinarbeiten kann, auf der anderen Seite sollte man beim Versuch diese Dinge zu realisieren mit einem Bein am Boden bleiben.

Verbesserung ist immer möglich und sollte immer verfolgt werden. Es muss aber auch die Option des Scheiterns in Betracht gezogen werden. Das gilt für das Errichten eines zukünftigen Utopias genauso wie das Wiederbeleben eines vergangenen Ideals.

Der Zentrist folgt daher einem offenen Pragmatismus: man kann Versuchen etwas zu ersetzen aber wenn der Ersatz eben nicht besser ist als das Ding das man vorher hatte, dann geht man eben zurück zu der Sache die funktioniert hat. Sich sein Scheitern einzugestehen sieht der Zentrist nicht wirklich als Schande sondern als Teil des Lebens.

Das Problem des Zentristen ist, dass er so unheimlich langweilig ist. Er hat weder die goldenen Utopien der Linken vorzuweisen, noch die glorreichen goldenen Zeitalter der Rechten. Der Zentrist hat nur das "hier und jetzt" und nichts ist für den durchschnittlichen Menschen langweiliger als das Leben das er gerade lebt.

Der wesentliche Punkt ist aber dass der Linke nicht emotional ist weil er links ist. Der Linke ist links weil ihm Gefühle wichtiger sind als Zahlen. Der Rechte ist eben kühl, berrechnend, rational. Beide sind eben so.

Wir sind unterschiedlich und wir brauchen sowohl die rationalen als auch die emotionalen. Aber aus genau diesen Unterschieden entstehen völlig unterschiedliche Weltsichten.

Ich denke dass die daraus resultierende Dynamik, das ewige hin und her, zwar zerstörerische Elemente beinhaltet aber im Wesentlichen die Triebfeder der Entwicklung ist. Wir brauchen diesen ewigen Konflikt, denn immer wenn eine Seite die andere unterdrücken kann resultiert das in Stagnation.

Ich plädiere nicht dazu dass sich Links und Rechts vertragen soll. Ich schlage vor dass wir die Option die anderen „wegzubekommen“ verwerfen und akzeptieren dass die andre Seite, so eigenartig sie auch wirken, einen gesellschaftlichen Nutzen stiftet und daher ein Recht auf Existenz hat.

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LaMagra

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Iris123

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Kai-Uwe Lensky

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