Um die progressive Weltsicht zu verstehen muss man verstehen wie Progressive die Geschichte sehen. Für diesen Menschenschlag ist die Geschichte linear. Wir starteten als affenartige Tiere, begannen Menschen zu werden, bildeten Gesellschaften, entwickelten uns über die Monarchie zum Kapitalismus dann weiter zum Sozialismus und werden in einer kommunistischen Überflussgesellschaft enden wo es für jeden mehr gibt als er jemals haben will.
Dieser Weg sei fix und unabänderbar, man kann sich nur auf diesem Weg hin und zurück bewegen. Für den Progressiven, also den der „nach vorn“ will, ist jeder der seine Weltsicht ablehnt jemand der „zurück will“. Der Monarchist etwa will zurück zur Zeit der Könige. Deswegen tut sich der Progressive recht einfach mit Monarchisten. Er tut sich aber erstaunlich schwer mit Faschisten, denn für die Faschisten stellt sich die Sache so dar, dass wir irgendwann Gesellschaften bildeten und uns dann über die Monarchie und den Kapitalismus hin zu einem sozialistischen System entwickeln das sich dann zu einem faschistischen Utopia entwickeln würde. Kommt uns das bekannt vor?
Faschisten wollen auch „nach vorn“ nur eben zu einem anderen Ziel als die Kommunisten. Beide wollen den „Kapitalismus überwinden“ nur meint jeder (scheinbar) etwas anderes damit.
Das ist auch nichts wirklich Neues. Das christliche Konzept eines Himmels auf Erden ist im Grunde genau die gleiche Idee: ein Ende der Geschichte mit einem Utopia als Ziel.
Und genau das ist der Knackpunkt der linearen Geschichte: die Idee, dass die Geschichte auf ein Ziel gerichtet ist und zwangsläufig an diesem Ende ankommen muss, ist völlig absurd. Sozialisten mögen sich wünschen, dass die Zukunft sozialistisch ist und die Faschisten und Christen können sich gern ihre jeweiligen Paradiese vorstellen, das macht die Sache aber nicht weniger unrealistisch.
Aus der Idee der linearen Geschichte folgt aber ein weiterer Trugschluss und das ist die Idee, dass manche Gesellschaften einfach nur „hinten nach“ sind. Die besagte Idee dreht sich wieder um die Idee, dass die Geschichte einen Anfang und ein Ende hat und jede Gesellschaft irgendwo auf dieser Linie ist. Die Mosuo etwa lägen eben ein oder zwei Jahrtausende hinter und, die traditionell lebenden Pitjantjatjara noch etwas weiter hinten.
Der Progressive im Westen wird üblicherweise in den nahen Osten blicken und behaupten, dass die Leute dort eben 50 bis 500 Jahre „hinten nach“ wären aber er wird keine Sekunde bezweifeln, dass jede dieser Gesellschaften genau dort landen werden wo wir gerade sind, weil wir halt einfach „weiter“ sind als die anderen.
Wartet man ein paar Jahrtausende werden die Yankunytjatjara Monarchie, dann Kapitalismus, dann Sozialismus und dann Kommunismus entwickeln, denn das sei eben die Natur der Geschichte. Der Progressive will diesen Weg beschleunigen, der Konservative steht auf der Bremse und der Regressive will zurück.
So einfach sei das eben, sagt der Progressive.
Und er irrt sich dabei.
Grundsätzlich ist ein gewisser Trend zwar absehbar (immer hin zu Arbeitserleichterung), aber wohin der Trend gesellschaftlich weist ist völlig unklar und der Umstand, dass sich sowohl kommunistische als auch faschistische Gesellschaftmodelle als nicht sonderlich lebenswert herausgestellt haben lässt eben den Autor vermuten, dass Christentum, Kommunismus, Sozialismus, Faschismus usw nicht das Ende der Geschichte sein werden, sondern Sackgassen der gesellschaftlichen Entwicklung.
Der Grund warum ich nicht glaube, dass es ein utopisches Ziel geben kann ist darin begründet, dass in eben diesem Utopia nichts mehr wäre nach dem man streben könnte und das entspricht nicht unserer Natur. Der Mensch ist ein Problemlöser, das ist was uns ausmacht.
Wir werden immer versuchen es besser zu machen als wir es jetzt tun und wir werden immer etwas finden das man verbessern kann und wehmütiger muss gesagt werden, dass das wohl daran liegt, dass wir auch niemals den Hals zu voll bekommen können. Es wird immer irgendwas knapp sein und wir werden uns um diese knappen Dinge zanken. Die Dinge die im Überschuss da sind werden eben als „normal“ verstanden, wer denkt etwa über die gerechte Verteilung von Sauerstoff nach? Praktisch Niemand. So sind wir eben.
Wenn materielle Armut ausgerottet wäre, würde niemand über materielle Güter nachdenken, die Menschen würden eben über andere Dinge streiten und diese Probleme, die wir dann haben werden, können unsere rezenten Ideologien nicht lösen.
Die Geschichte ist nicht linear und selbst wenn ich mich irre hat niemand eine Kristallkugel die uns sagt in welchem Utopia die Welt endet. Der Progressive will nicht wirklich nach vorn, er will hin zu einem Paradies das ihm jemand versprochen hat und er glaubt mit aller Macht an dieses Paradies und ist fest davon überzeugt, dass dieses Paradies Realität sein wird. Irgendwann und dieses Irgendwann schon bald sein kann, wenn er nur, je nach Glaubensrichtung, fest genug glaubt, betet, mordet oder Dinge sprengt.
Deswegen ist jeder Progressive, egal welchem Paradies oder Utopia er sich verschrieben hat, gebunden an das Ziel von dem er nicht wirklich wissen kann ob es wirklich funktionieren kann, ob es wirklich passieren kann oder ob es wirklich existieren kann.
Alles was er hat ist eben sein Glaube an die Zukunft.
Und genau deswegen sind so viele Menschen die sich für politisch halten in Wirklichkeit einfach nur ihrer Natur nach religiöse Menschen die an ein Paradies glauben wollen, das Paradies erhoffen anstatt die Welt, innerhalb der Möglichkeiten die wir in der Wirklichkeit haben, zu verbessern.
Utopia ist ein Fiebertraum der uns noch nie näher an eine gute Welt gebracht hat, aber oft genug in historische Sackgassen, voller Leid und Unmenschlichkeit.
Eventuell sollten wir beginnen den Utopisten zu misstrauen, wie wir gelernt haben den Priestern zu misstrauen. Womöglich können wir dann in Frieden das Leben leben das wir haben, anstatt es für eine Zukunft zu opfern die es überhaupt nicht geben kann.