Die Welt der Wissenschaft ist in zwei grobe Lager geteilt: die Naturwissenschaft und die Geisteswissenschaft.

Um zu verstehen was mit der Geisteswissenschaft falsch läuft nehmen wir jenen Teil aus ihr heraus den die meisten anderen Geisteswissenschaftler leidenschaftlich hassen: die Ökonomie.

Die Wirtschaftslehre ist relativ jung und geht grundlegend auf das 16. bis 18. Jahrhundert zurück. Erst mit Adam Smith um das Jahr 1780 nimmt sie aber moderne Züge an und schickt sich ab etwa 1900 an eine Wissenschaft zu werden.

Obgleich die Wirtschaftslehre mit Zahlen recht gut umgehen kann hat sie ein erhebliches Problem das die Physik nicht hat: sie kann Phänomene nicht so gut isolieren.

Das Problem einer Kanonenkugel die man über weite Distanz abfeuert kann etwa in der Physik in Teilprobleme zerlegt werden: Anziehungskraft, Luftwiderstand, Rotation der Erde und so weiter. Jeden einzelnen Effekt kann man isoliert betrachten, Hypothesen formulieren und dann via Beobachtung zu einer Theorie zu gelangen die Vorhersagen zulässt. Wenn wir heute eine Kanone abfeuern dann treffen wir nicht auf 20km, weil der Schütze ein gutes Bauchgefühl hat sondern weil der Computer die Zahlen, basierend auf einer Kombination von Theorien auswirft und uns sagt wie wir die Kanone einstellen müssen damit sie dorthin trifft wo sie treffen soll.

Die Naturwissenschaft zeigte besagte Fähigkeiten bereits um das Ende des 19. Jahrhunderts und die Ökonomen dachten sich „Wenn ich so eine Theorie der Wirtschaft machen kann, kann ich vorhersagen wie ich mehr Kohle machen kann und werde reich.“ Gesagt getan. Seither versuchen die Ökonomen Theorien zu entwerfen, mit zweifelhaftem Erfolg. Die modernen wirtschaftlichen Theorien funktionieren nicht wirklich. Ökonomen wie Friedrich Hayek argumentierten daher sehr früh, dass es sich hier um ein aussichtsloses Unterfangen handelt und dass seine Kollegen an „Naturwissenschaftsneid“ leiden würden. Die Wirtschaft sei zu komplex, zu chaotisch um Theorien zu entwerfen. Seine Lösung ist daher einfach das System zu finden das am Effizientesten läuft und es dann, auch wenn man das „Warum“ nicht wirklich (in Zahlen) versteht, laufen zu lassen.

Um das zu verstehen müssen wir nochmals auf unsere Kanonenkugel zurückzukommen: man stelle sich eine Welt vor in der sich der Wind jede Sekunde dreht und hundertmal so stark pusten würde wie in unserer Welt. In so einer Welt ist es unerheblich ob man Ballistik versteht, der Wind würde alle Berechnungen zu Nichte machen. Wirtschaft hat genau dieses Problem, wobei die Rolle des Windes die Irrationalität des Menschen spielt. Menschen tun komische Dinge. Riesige Menschenmengen kaufen etwa gern Dinge, wenn sie teurer werden, obwohl die Qualität gleichbleibt. Schuhe, Aktien, nichts ist vor der Irrationalität sicher.

Und genau das gleiche Problem haben alle Geisteswissenschaften. Menschen verhalten sich nicht wie die Anziehungskraft oder wie Flüssigkeiten in einem Rohr. Menschen sind hochgradig irrational. Früher hätte ich auf die Werke von Professor Dan Ariely verwiesen der eine Karriere daraus gemacht hat die Irrationalität der Menschen zu erforschen. Blöderweise wurde ihm kürzlich Betrug nachgewiesen. Ein erheblicher Teil seiner Arbeiten wurden via p-hacking manipuliert.

Was bedeutet das?

Er oder sein Team machten scheinbar Untersuchungen, nahmen Resultate auf, öffneten die Daten in Excel und veränderten so lange die Zahlen bis sie zur Theorie passten. Dann wurden die Resultate veröffentlicht und Peers nickten es ab. Warum? Weil die Geisteswissenschaft notorisch dafür ist Resultate andere nicht zu reproduzieren.

Warum etwas überprüfen das ein anderer gemacht hat, wenn man selber eine neue revolutionäre Idee fälschen kann?

Das Problem hier ist, dass das ganz ohne die Intention zu fälschen passieren kann. Man eliminiert einfach Daten die „nicht stimmen können“ und weil keiner die Resultate überprüft, erkennt keiner, dass die Rausreißer sehr wohl statistische Signifikanz hatten und das Resultat keine Korrelation mit irgendwas hatte, sondern nur Rauschen darstellt. Was nicht verwundert, wenn man davon ausgeht, dass die Handlungen von Menschenmengen eher rauschen als gerichtet sind.

Das Problem der Geisteswissenschaft ist Naturwissenschaftsneid.

Die Geisteswissenschaft hätte gern Formeln in die sie Zahlen eingeben können um zu Prognosen zu kommen. Genau wie die Chemiker, Physiker, Ingenieure und manchmal sogar die Medizinier. In manchen Bereichen kann das teilweise funktionieren, wie etwa in der Ökonomie, in anderen Bereichen wie etwa der Geographie ist jede Hoffnung auf Vorhersage völlig aussichtslos. Die Geographie kann uns etwa nicht sagen ob es in 200 Jahren mehr oder weniger Länder als heute geben wird.

Psychologie und ihr Spiegelbild, die Soziologie, sind aber von dem oben beschriebenen Problem besonders betroffen. Sie versuchen verzweifelt herauszufinden wie Menschen ticken. Das Problem ist, dass sie ahnungsloser als die Ökonomen sind, die Politik ihnen aber heute aber mehr glaubt als den Ökonomen, deren Rat schon mit äußerster Vorsicht zu genießen wäre.

Und das übersetzt sich in ein gesellschaftliches Problem:

Ahnungslose Politiker vertrauen ahnungslosen Geisteswissenschaftlern mit Thesen die nicht wirklich hinterfragt werden und deren Grundlage auf schwammigem Boden stehen und das Volk vertraut diesem „Expertenkomplex“ in der fehlerhaften Annahme, dass diese mehr Ahnung haben als sie.

Dabei kennt jeder die Binsenweisheit, dass ein Aktienportfolio das von der Putzfrau erstellt wurde gar nicht so schlecht performt, besser oftmals als das von „Experten gemanagte“. Mit der Kanone trifft sie aber auf 20km nie, der Experte aber locker und vor allem: wiederholbar.

Es gilt den Begriff des Experten zu überdenken.

Experten sind nicht Menschen die „sich intensiv mit einer Sache beschäftigt haben“. Experten sind Menschen die, mittels Anwendung von Theorien, reproduzierbar zu gewünschten Resultaten zu kommen.

Experten in Sachen Kanonen treffen mit Kanonen, Experten in Sachen Wirtschaft sind wirtschaftlich erfolgreich, erfolgreiche Psychologen haben ein gesundes Familienleben und erfolgreiche Historiker können 20 Jahre in die Zukunft blicken.

Experten müssen über Erfolg definiert werden. Wer in seinem Feld keinen aktiven Erfolg nachweisen kann, ist kein Experte und wir sollten auf seinen Ratschlag nichts geben. Das gilt vor allem für Ökonomen: Wenn wir Ratschläge von Menschen die am Hungertuch nagen, wie einst Karl Marx, annehmen ist unsere Zukunft das Hungertuch. Historiker die ihr Geld wert sind werden das bestätigen.

2
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Tourix

Tourix bewertete diesen Eintrag 17.10.2023 15:44:43

Reality4U2

Reality4U2 bewertete diesen Eintrag 16.10.2023 16:06:46

27 Kommentare

Mehr von Angus