Der Begriff der „Progressivität“ beschreibt grundsätzlich Fortschritt, im politischen und philosophischen Kontext beschreibt es eine Weltsicht die von einer stetigen und vor allem gerichteten Prozess „aus dem Alten ins Neue“ ausgeht. Die progressive Weltsicht geht also davon aus, dass der Mensch sich von einem „primitiven Entwicklungsgrad“ hin zu einem „Endzustand“ entwickelt (Von einem Anfang zu einem Ende). Erreicht man diesen Zustand, endet die Entwicklung und damit die Geschichte.

In dieser Weltsicht ist also jede Veränderung in der Gesellschaft hin zum Ideal ein Fortschritt und jede Abkehr von diesem Ideal ein Rückschritt.

Das progressive Dilemma ist aber, dass es auf die Frage „Wie dieser Endzustand aussieht“ unterschiedlich beantwortet werden kann. Der Sozialist beantwortet die Frage klassische mit einer „Gesellschaft, in der jeder gibt, was er kann, und jeder nimmt, was er braucht“. Der Faschist hingegen argumentiert mit einem „Staat, der alles Gute der Menschen in sich trägt, wo alles im Staat, nichts gegen den Staat ist“. In beiden Fällen gibt es natürlich unzählige Variationen dieser grundsätzlichen Ideen.

Das progressive Spannungsfeld <Sozialismus – Faschismus> ist, weil Progressivismus heute so dominant ist, in den Köpfen vieler Menschen das politische Spannungsfeld überhaupt und jede andere Ansicht wird von Progressiven versucht in diesem Zusammenhang zu verstehen, was dazu führt, dass sie andere Positionen nicht wirklich verstehen können.

(Sozial-)Darwinisten etwa gehen von überhaupt keiner Entwicklung <hin zu einer Endform aus>, sondern von einem „ewigen Anpassungsprozess“ an sich immer ändernde Umstände.

Anhänger zyklischer Weltsichten gehen davon aus, dass sich „Muster immer wieder wiederholen“ und wir aus diesem Rad niemals ausbrechen können.

Transhumanisten wiederum erwarten einen Punkt in der Geschichte in denen der Mensch so stark mit der Maschine verschmolzen ist, dass die menschliche Geschichte endet und wir in eine Ära der Logik eintreten die dann, mehr oder weniger, einen Endpunkt darstellt der dann aber Veränderungen unterliegt die für uns nicht absehbar sind, damit sehen sie den Endpunkt an als einen Übergangspunkt, was sie nicht irgendwie halb progressiv macht.

Das interessante in dem Zusammenhang ist, dass Religionen mit apokalyptischen Bestandteilen, wie etwa das Christentum, ebenfalls als progressiv verstanden werden können. Sie haben eine Vorstellung von einem Endzustand und erwarten, dass dann die Geschichte endet. Was sie von Sozialisten und Faschisten unterscheidet ist, dass sie glauben, dass Gott und nicht der Mensch am Ruder steht und entscheidet wann es soweit ist.

Als jemand der nicht denkt, dass wir uns auf eine „finale Form“ zubewegen erscheinen alle oben beschriebenen progressiven Ansichten schlicht als falsch. Entsprechend nervtötend ist der Versuch der Progressiven die Nichtprogressiven in ihr progressives Weltbild zu stopfen und einem zu unterstellen man näher am Faschismus ist, weil man den Sozialismus ablehnt. In Wahrheit ist der Sozialist dem Faschist deutlich näher als beide den meisten nichtprogressiven Ansichten.

Als jemand der keinen Endpunkt erwartet, sondern sich wiederholende Muster die ein Resultat einer sich stetig ändernden Welt, welche dann wieder sich wiederholende Muster aufweist, sieht ist das progressive Weltbild, von Sozialismus bis Faschismus und allem dazwischen, daneben oder sonst wo, reichlich naiv kleingeistig aus.

Die Idee, dass wir irgendwann in einem Utopia ankommen (egal wie das jetzt aussehen mag) ist, aus meiner Sicht, Unsinn.

Das progressive Dilemma ist also neben der Unfähigkeit der Progressiven als Gruppe sich auf ein Utopia zu einigen (was naheliegt dass es keine offensichtliche/richtige Lösung gibt), die blanke Unfähigkeit oder der sture Unwillen zu akzeptieren, dass es Menschen gibt, die keinen Endpunkt sehen und nicht „auf das große Ziel“ hinarbeiten.

Das Problem der Progressiven ist, dass sie sich erstaunlich schwer mit einer Weltansicht tun die kein großes romantisches Ziel hat sondern sich mit dem Weg als Ziel zufrieden gibt und kleinere, greifbarere und vor allem realistischere Ziele verfolgt.

Ziele, die man erreichen kann, anstatt auf ein Utopia hinzuarbeiten, das irgendwo in den Nebeln einer ungewissen Zukunft liegen mag oder auch nicht.

Ich persönlich denke, dass weder das sozialistische noch das faschistische oder christliche Utopia in unserer Zukunft liegt sondern das alles leere Versprechen von Menschen sind die sich davor drücken ihr eigenes Leben in den Griff zu bekommen und auf ein Utopia hoffen in dem sie keine Verantwortung mehr übernehmen müssen.

Es gilt abzuwarten ob die progressive Weltsicht bestehen bleibt oder wieder durch etwas anderes ersetzt wird. Ich für meinen Teil würde diesen Ersatz schon fast als Fortschritt verstehen.

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