Der gesellschaftliche Rand ist der Teil der Bevölkerung in dem komische Ideen hausen. Dieser Rand ist so interessant, weil dort gleichzeitig völlig absurde Ideen existieren, wie etwa dass die Welt flach ist, gleichzeitig aber auch Ideen die sich später als völlig korrekt herausgestellt haben, wie etwa die die Überzeugung, dass die Welt sich um die Sonne dreht.

Der gesellschaftliche Rand ist also eine Diamantenmine von Ideen und wie in jeder anderen Mine muss man Tonnen über Tonnen von Geröll zur Seite schieben um so einen einzigen Diamanten zu finden.

Eine Gesellschaft tut gut daran den Rand in Schach zu halten. Sie tut das üblicherweise über Moral, Tradition, Religion, Ideologie und/oder Politik. Würde sie das nicht tun, würden völlig absurde Ideen über die Gesellschaft schwemmen.

Eine Gesellschaft hingegen die sich vollends dem schon etablierten verschreibt kann sich nicht entwickeln und kann technologisch ermöglichte gesellschaftliche Änderungen nicht vollziehen, was dann die Ausnutzung der Technologie hemmt und neue gesellschaftliche Änderungen unmöglich macht.

Eine Gesellschaft die etwa darauf beharrt, dass der Ochse den Pflug ziehen muss kann den Traktor nicht in ihre Gesellschaft lassen und nimmt sich damit Annehmlichkeiten die eine offene Gesellschaft nicht hat.

Neue Technologie oder Werte bringen aber auch immer neue Herausforderung, die Amish etwa müssen sich nicht den Kopf über Erdöl zerbrechen. Eine konservative Gesellschaft hat also immer nur altbekannte Probleme mit altbekannten Lösungen. Offene Gesellschaften haben ständig neue Herausforderungen die neuen Lösungen aber auch neue Probleme bringen und gelegentlich überwiegen die Probleme.

Instinktiv bleiben wir daher bei dem was wir kennen, vor allem wenn wir älter werden. Die Jugendlichen experimentieren mit neuen Ideen, die Alten bremsen sie durch systematische Unterdrückung aus.

Lange war die Frage „wer bestimmt was durchtröpfeln darf?“ und das wurde traditionell oftmals mit „die Akademie“ beantwortet. In der Akademie wurde, unter Supervision, mit unorthodoxen Ideen experimentiert bis das Internet den Damm zwischen Gesellschaft und Rand schlicht sprengte.

Alle abstrusen Ideen, gewürzt mit einigen wenigen genialen Ideen, tröpfeln in die Gesellschaft ein und besagte Gesellschaft ist damit überfordert. Sie will zum einen offen sein aber nicht wirklich darüber debattieren ob die Welt nicht eventuell doch flach ist. Verständlicherweise.

Die Lösung ist ein konservatives Verharren im Istzustand, blöderweise sind wir nicht mehr alle der gleichen Ansicht.

Und genau das führt zu den verhärteten Fronten in der Gesellschaft: wir sind 20 Jahre in einer noch nie dagewesenen Geschwindigkeit auseinandergedriftet und plötzlich haben die meisten von uns aufgehört uns zu bewegen. Das Resultat ist eine völlig verbohrte, zerklüftete Gesellschaft.

Was auch immer die Lösung um aus dem Schlamassel herauszukommen sein mag, sie beginnt damit zu akzeptieren, dass unsere Tendenz andere Ideen abzulehnen völlig natürlich ist, ein gesunder Impuls der verhindert, dass jede Generation das Rad neu erfindet und jene im Zaum zu halten die meinen Räder wären eckig besser.

Wenn wir verstanden haben, dass unsere Gesellschaft nicht zerstritten ist, weil die „Anderenböse sind, sondern weil wir unterschiedlichen Ideen in einer sehr offenen Phase ausgesetzt wurden und diese Phase nun seit etwa 5 Jahren vorbei ist, kann man verstehen was gerade passiert.

Zentral ist zu verstehen, dass es den gesellschaftlichen Rand, so wie er früher war, nicht mehr gibt, weil der Schutzdamm durch das Internet zerstört wurde.

Ob das in Summe gut oder schlecht gewesen sein wird, wird die Zeit zeigen.

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Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 12.12.2022 21:22:25

Claudia56

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