Seit gut 100 Jahren bauen wir an einem System, das ohne Spiritualität auskommt. Ist das gut?
Um die Frage zu beantworten, müssen wir tiefer graben und uns zuerst mit anderen Fragen auseinandersetzen.
Die erste Frage ist: „was ist die Funktion eines Systems?“ Die unangenehme Wahrheit ist, dass die Funktion eines Systems ist, was es tut, nicht was es tun soll. Wenn ich einen roten Knopf baue der eine Rakete starten soll aber jedes Mal, wenn jemand den Knopf drückt die Rakete explodiert dann ist die Aufgabe des Knopfes der Start der Rakete aber seine Funktion ist das Ding zu sprengen.
Wenn ich in eine Klasse einen Assistenzlehrer setze um den Schwachen zu helfen, aber die beiden Lehrer die Situation ausnutzen (zB. einer vorträgt und der andere Hausübungen korrigiert) gibt es eine ähnliche Abweichung zwischen Soll und Ist. Was ein Ding tun soll, ist oft nicht, was es tut.
Kürzlich meinte Richard Dawkins das er Christen zwar nicht mag aber das Verschwinden des Christentums betrauere. Ähnliche Aussagen werden häufiger. Das Problem an Atheismus ist, dass man sich nicht aussuchen kann, ob man glaubt oder nicht. Ich bin kein Agnostiker, weil ich es sein will, ich bin es, weil es sich für mich „richtig anfühlt“.
Was also war die Idee der Ideologien, die ohne Spiritualität auskommen? Die Idee war eine Welt basierend auf Logik und Vernunft, die sich nicht durch Aberglauben von der Wahrheit ablenken ließ.
Das war was das System tun sollte, quasi die Rakete starten.
Das Problem ist nur eben das eine Welt ohne Geist und Mysterium eine Welt ist in der wir mit Chemikalien gefüllte Säcke sind, die auf einem Stein, der um eine Fusionsball kreist, herumhüpfen, nicht weil es für uns etwas zu tun gibt, sondern weil wir halt da sind.
Wie der Systemkünstler Pizzera im Radio trällert:
„Suach ned an Sinn, es wird kan gebn, woooah
Wo foah ma hin? Mia foahn eine ins Leben“
Der Fachausdruck dahinter ist „Nihilismus“, explizit erwähnt in der Passage:
„Sie müssen ihrem Leben einen Sinn geben
An Scheiß muass i“
Sprich: das Leben nicht nur keinen Sinn, nein, man muss dem Leben auch keinen Sinn mehr geben, es ist ok ein Sack zu sein der auf einem Stein hüpft, solange man Spaß dabei hat.
Der Hintergrund ist, dass in der Übergangszeit, also Spiritualität noch in Spuren vorhanden war (vor etwa 100 Jahren), wir zwar auch keinen göttlichen Auftrag mehr suchten, aber wir gaben uns selber einen. Es gibt einen Grund warum mehr oder weniger alle Ideologien, die uns noch heute beschäftigen aus dieser Phase stammen.
Wir bauen aber keine neuen Ideologien mehr, weil wir keinen Sinn mehr suchen. Wir hüpfen nur noch am Stein herum und singen dümmliche Lieder nach.
Das spirituelle Argument ist, dass alle Systeme, die denken, dass sie ohne Spiritualität auskommen können, zu reichen aber depressiven Menschen führen. Der Computer vor uns belegt, dass die Technologie wahr ist und dass wir ganz ohne Götter und Gespenster eine Welt schaffen können in der die Ärmsten mehr haben als vor 1000 Jahren die Reichsten hatten. Rationaität und Vernunft machen reich.
Aber warum bringen sich mehr Menschen um als früher, warum haben wir mehr Ängste und Depressionen als je zuvor?
Wenn es mehr gäbe als das was wir beobachten können, wäre, mehr da als wir beeinflussen können und wenn das so wäre, wäre nicht alles unsere Verantwortung. Für den Spirituellen und den Religiösen schultert Gott oder das Übernatürliche einen Haufen der Verantwortungen im Universum. Für den Religiösen ist die Durchschnittstemperatur der Erde nicht etwas das in seiner Sphäre liegt, das ist eine Aufgabe Gottes und weil Gott einen Plan hat ist alles gut.
Führt Spiritualität zu einem besseren Leben? Materialistisch betrachtet? Nein. Aber wenn wir Konzepte wie das „Seelenheil“ als relevant ansehen ist der Schluss naheliegend, dass Spiritualität schon auch einen guten Effekt haben kann.
Aber wie ist man „ein wenig spirituell“?
Ich denke die Antwort liegt im Agnostizismus, in der Akzeptanz dass man übernatürliches nicht bestätigen oder widerlegen kann und es daher vernünftig ist es in Betracht zu ziehen.
Das kostet uns etwas Rationalität und damit sicher etwas Wohlstand und Effizienz, aber ich denke wir sind an einem Punkt angekommen an dem etwas weniger Wohlstand gegen etwas mehr Seelenheil zu tauschen nach einem guten Deal klingt.
Aber wie schon gesagt: das Problem ist, dass wir uns nicht aussuchen können, was wir sind, aber wenn wir es uns aussuchen könnten, denke ich dass es klug wäre in der Welt Platz für das Übernatürliche zu lassen, nicht für uns aber für jene die nach uns kommen, auch wenn es sich für uns, die wir eben tief im Materialismus psychologisch, ideologisch und philosophisch verankert sind nicht richtig anfühlt. Am Ende des Tages macht ein fehlen an Spiritualität zwar reich aber, wie es scheint, auch unglücklich.
Nicht weil reiner Materialismus das machen soll, sondern weil er es tut und weil er es tut müssen wir eventuell gegensteuern, wenn wir unsere Kinder und Kindeskinder nicht mit dem Gedanken dass sie nur Chemiesäcke sind alleine sein lassen wollen.