Der wilde, unzivilisierte Mensch ist ein Wesen, das gegen die Natur kämpft. Er kämpft für Nahrung, gegen die Elemente und wilde Tiere. Entsprechend sieht der ideale Mensch für den Wilden aus: die Frau hat ein gebärfreudiges Becken und genügend Speck (an all den richtigen Stellen), um die Kinder durch einen harten Winter zu bekommen. Der Mann ist von mächtiger Statur und vermittelt kraftvolle Agilität.

Der zivilisierte Mensch hingegen hat das nicht nötig. Essen, Schutz, das Alles ist nichts, über das es sich nachzudenken lohnt. Der zivilisierte Mensch beschäftigt sich mit wichtigeren Dingen. Meistens bedeutet das die Welt, die über der natürlichen Welt existiert. Man denkt über den Himmel und natürlich über Götter nach, über die Zukunft des Menschen, die eigentliche Ordnung des Universums, jenseits der Welt in der es nur darum geht, sich zu paaren, bevor man gefressen wird.

Der einfachste Weg zum zivilisierten Denken und Leben ist einfach das Gegenteil von dem zu sein, was der Wilde ist.

Reiche Ägypter in der Antike etwa entledigten sich aller Haare auf ihrem Körper, um sich von den haarigen Bestien, also den Tieren und dem niedrigen Fußvolk, klar abzuheben.

Die Griechen schufen beeindruckende Statuen, in der frühen Phase waren die Männer beeindruckende Mannsbilder, in der Spätphase zarter, androgyner, zivilisierter eben.

Snobismus ist keine neue Erfindung.

In jeder Kultur und zu jeder Zeit zeigten die Menschen, die von der Arbeit anderer lebten, dass sie besser waren als „die da unten“. Man beschäftigt sich mit den wirklich wichtigen Dingen wie Kunst und Kultur. Und das Fußvolk versucht es natürlich nachzumachen. Das Fußvolk verachtet zwar die Obrigen (genau wie die Obrigen das Fußvolk verachtet), aber hier ist es eher Neid.

Man wäre gern einer von ihnen, also schmiert man sich eben Kohle auf die Zähne, damit man genauso schwarze Zähne hat wie die zuckerlessenden Damen der hohen Gesellschaft. Man emuliert und imitiert, meistens sehr unreflektiert.

Alle Teile der Gesellschaft versuchen sich also in Snobismus. Der Adel, weil er es kann und die Bauern, weil sie dem Adel nacheifern.

Wie das geschieht, ist alle hundert Kilometer und zwanzig Jahre anders, der Vektor zeigt aber immer weg von der realen Welt, hin zu einer Scheinwelt, eine Welt, in der das Weltliche weniger wichtig ist.

Das „Was“ wird zurückgedrängt hinter das „Wie“.

Wie man etwas sagt, wird wichtiger als das, was man sagt, Form und Konformität mit der aktuellen Orthodoxie steht im Fordergrund, Menschen verschafft es förmlich Schmerzen, wenn man ein V mit einem F vertauscht, für sie wird klar, dass alles, was die Person sagt, falsch sein muss, weil sie <Vordergrund> falsch getippt hat.

Das „Wie“ entscheidet, ob man dem Vorgetragenen beim „was“ überhaupt zuhört, denn wenn die Orthodoxie verletzt ist, die Form also nicht stimmt, handelt es sich nur um einen Wilden, der sich nur mit der greifbaren Welt beschäftigt.

Das offensichtliche Problem hierbei ist, dass die Natur eine mörderische Psychopathin ist, die jede Gelegenheit nutzt, gnadenlos auszusortieren und nur das übrig zu lassen, das ihren Fängen entkommt.

Es gibt einen Grund, warum die Natur nicht voller Eichhörnchen ist, die von den Bäumen herab Philosophie zitieren und auch in unserer eigenen Spezies die meisten ums Überleben kämpfen. Es gibt einen Grund warum, alle Zivilisationen eine wilde, kämpferische, unsaubere Vergangenheit haben und nach ihrem Scheitern Poesie vererben die von ihren Eroberern, die in den Ruinen der Hochkultur leben, als Klopapier verwendet wird.

Der Schlüssel zum Überleben ist schlicht und ergreifend nicht abzuheben, sondern, sich eine gewisse Wildheit zu bewahren.

Diese Wildheit ist nicht gleich Primitivität, sondern zu verstehen, dass eine schlecht formulierte, aber funktionierende Idee besser als eine eloquent formulierte Idee ist, die nicht praxistauglich ist.

Die Geschichte hat aber gezeigt, dass es immer einen Drift hin zur Form gibt, sobald zu viele, zu lange eine Spur zu bequem leben können.

Nicht nur beim Menschen. John B. Calhoun bewies in seinen Experimenten zwischen 1958 und 1962 dass selbst bei Nagetieren so ein Drift beobachtbar ist, der Begriff der „Behavioral sink“ wird in der Ethologie verwendet.

Das wirft aber eine spannende Frage auf: wenn selbst Mäuse beginnen Zivilisationskrankheiten zu zeigen, ist der Snobismus, die Abkehr von der Wildheit also, einfach Teil unserer Grundlegenden Programmierung als Säugetier?

Erfüllt all das nicht einfach, genau wie bei den Mäusen, einfach nur eine Reduktion der Geburtsrate weil unser Kleinhirn ganz genau weiß, dass nach den fetten Jahren, magere kommen und so aktiv gegen Überbevölkerung arbeitet und genau dieser Mechanismus zu einer Fehlfunktion führt wenn die fetten Zeiten länger als 3 Generationen dauern?

Was wenn alles was wir für hochkultiviert halten am Ende des Tages einfach nur die Behavioral sink ist die aus dem Ruder läuft? Könnte das die moderne Kunst erklären oder Menschen die neurotisch zusammenzucken, wenn man Goethe falsch zitiert?

Wenn es so wäre, dann ist der Snob, genau wie der Wilde, nichts das man ist sondern etwas auf das wir, je nach Situation, programmiert werden um ein Verhaltensmuster zu erfüllen das unsere Überlebenschancen als Spezies zu maximieren, was bedeutet dass genau jene die denken dass sie einen eigenen Willen haben am Ende genauso auf Autopilot laufen wie der Rest der Natur.

Ich für meinen Teil finde diese Interpretation sehr unterhaltsam.

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Tourix

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Matt Elger

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