Wenn Menschen Dinge kritisieren, dann können sie grundsätzlich einen von zwei Wegen gehen: sie vergleichen das Ding mit einem anderen Ding oder sie vergleichen es mit einem Ideal.
Dieses Ding kann alles Mögliche sein: es kann eine Küchenmaschine, eine Religion, wirtschaftliches System, politisches System oder eine Person meinen. Um was es geht, ist nicht wichtig, wichtig ist die Herangehensweise und was daraus folgt.
Wenn man etwa ein gesellschaftliches System kritisiert, kann man das System mit Systemen vergleichen, die es gerade in der Realität gibt oder man erweitert die Sichtweise auf Dinge die es nachweislich gegeben hat oder man geht weiter und vergleicht es mit Dingen, die es angeblich gegeben hat und dann weiter mit Systemen, die es geben wird um dann am Ende beim System anzukommen das es „geben sollte“.
Das System, das es geben sollte stellt immer eine Form von Paradies dar und den Begriff kennen wir alle, weil die Religiösen seit Jahrtausenden die reale Welt dem Paradies entgegenstellen und alle paar hundert Jahren ein „Paradies auf Erden“ prophezeien, das nie materialisiert.
Das ist Idealismus.
Idealismus bewertet „was ist“ nicht im Kontext mit den anderen Dingen die „auch sind“ sondern vergleicht den Istzustand ausschließlich mit dem Ideal „wie es sein sollte“. Der Realist, der Dinge die „sind“ miteinander vergleicht sieht damit einen Konflikt zwischen Systemen und ihren Anhängern, der Idealist sieht einen Konflikt zwischen jenen die in einer idealen, perfekten Welt leben wollen und jenen die er als Menschen wahrnimmt, die das nicht wollen. Verständlicherweise verwirrt das den Idealisten, denn wer will nicht in einer idealen Welt leben?
Was der Idealist typischerweise nicht versteht, ist dass „gut“ und „schlecht“ erstaunlich oft eine Geschmackssache ist. Bedienen wir uns wieder der Religion: Christen definieren die Hölle oft als den Ort der völlig gottlos ist, also der Ort wo man sich sicher sein kann, dass Gott nicht ist, nicht aufpasst und nicht agiert. Der Himmel hingegen ist der Ort, wo Gott mit Gewissheit ist, wo er alles sieht und wo er fühlbar allgegenwärtig ist. Da der Christ die Gegenwart Gottes als schön empfindet, ist der Himmel gut und die Hölle fürchterlich.
Für jemanden wie mich, der den Gedanken, dass ihm jemand ständig über die Schulter sieht, eher gruselig ist, klingt der Himmel nicht sehr verlockend. Das Christliche Ideal ist nicht mein Ideal.
Aber was ist dann das Ideal eines Rationalisten? Die Antwort ist ernüchternd, aber offensichtlich: der Rationalist hat kein Ideal und das ist der Umstand der in Debatten zwischen Idealisten und Rationalisten am häufigsten zu Verwunderung auf Seiten der Idealisten führt. Der Idealist argumentiert mit Perfektion, der Rationalist mit Kompromissen und aus Sicht des Idealisten hat er natürlich den Highground, denn seine Lösung ist ideal, die Lösungen des Rationalisten nicht. Warum lässt er sich nicht überzeugen?
"Ist der andere Böse, weil er das Gute nicht mag? Offensichtlich!" zu denken ist aus Sicht des Idealisten vernünftig.
Der Grund für die Skepsis und Widerstand des Rationalen ist aber einfach und logisch: der Rationalist zieht die Machbarkeit und Umsetzbarkeit in Betracht, für den Idealisten ist das aber kein Thema, für ihn ist es vernünftig anzunehmen, dass sein Ideal realisierbar ist „wenn nur alle darauf hinarbeiten“, „wenn wir es wirklich wollen“, „wenn wir daran glauben“.
Das Problem am Idealismus ist, dass er immer zur gleichen Lösung kommt: "jeder der gegen mich ist, ist gegen das Gute und damit Schlecht und es ist gut die Schlechten umzubringen".
Die Lösung des Idealisten ist immer Blut auf der Straße, Kampf, Widerstand, Krieg, Umsturz, Revolution und die Konsequenz ist immer Scheitern, Armut und noch mehr Blut.
Das Problem dabei ist, dass Idealismus sehr einfach ist. Man sucht sich ein Ideal aus und hält stur daran fest. Das ist einfach und es ist verführerisch und deswegen gibt es fast nur Idealisten auf der Welt, die unterschiedlichen Idealen anhängen und sich regelmäßig die Köpfe einschlagen, wobei geschickte Manipulatoren die Ideale nutzen, um die Masse zu bewegen um für Dinge zu kämpfen die der Manipulator eigentlich haben will.
Der Idealist schafft es nie an die Spitze und das ist vermutlich die schlimmste Erkenntnis in dieser Angelegenheit: die Idealisten sind die laufende, kämpfende, blutende und mordende Meute aber der Finger, der sie dirigiert ist praktisch immer ein psychopathischer Rationaler der sie als Werkzeug benutzt um ein, für sich erreichbares Ziel, zu erreichen.
Der Idealist lässt sich einfach zum Krieg überzeugen, zum Töten und zum Morden. Er erreicht dabei nie sein Ziel, weil sein Ziel unrealistisch ist und seine Anführer Lügner sind.
Nicht manchmal: Immer.
Aber das sieht er nicht, das versteht er nicht, denn wenn er es beginnt zu verstehen, hört er auf Idealist zu sein.
Und das ist schwierig.