Jeder von uns hat Dinge, die er für fundamental wahr hält. In der Wissenschaft sprechen wir von Axiomen, also Grundsätzen, die nicht bewiesen werden, sondern angenommen werden müssen. Akzeptiert man ein Axiom nicht, macht die darauf aufgebaute Schlussfolgerung keinen Sinn mehr.
Jedem von uns ist der Konflikt zwischen den beiden Annahmen „Es gibt einen Gott“ und „Es gibt keinen Gott“ bekannt. Aus beiden dieser Ansichten lassen sich fundamental unterschiedliche Ansichten auf die Welt ableiten.
Wenn es etwa einen Gott gibt, dann können wir Menschen die Welt nicht zerstören, weil Gott das entweder verhindert oder zulässt, weil er die Welt ohnehin zerstören möchte und die Sache eh unausweichlich ist. Gibt es keinen Gott sieht die Sache völlig anders aus.
Rudyard Lynch hypothetisierte kürzlich, dass wir in der westlichen Welt gerade einen Konflikt zwischen vier unterschiedlichen Axiomen haben und alle Ideologien entweder aus diesen Grundannahmen ableitbar sind oder aus Mischungen dieser. Diese seien wie folgt:
„Es gibt einen Gott“ (religiöser Ansatz)
„Technologie kann jedes Problem lösen“ (technokratischer / kybernetischer Ansatz)
„Die Gesellschaft bewegt sich unaufhaltsam hin zu einem sozialen Utopia“ (progressiver Ansatz)
„Evolution setzt sich immer durch“ (darwinistischer Ansatz)
Die Idee ist, dass alle relevanten Ideologien und Glaubensysteme sich auf eines (oder mehrere) dieser Fundamente stützt. Wie beim Hausbau kann man auf gleichartige Fundamente grundverschiedene Dinge bauen. Offensichtlich ist das bei der Religion, interessanter ist aber der (im Moment dominante) progressive Ansatz, insofern wenn man sich bewusst macht, dass sowohl Kommunismus als auch Faschismus beide auf einem progressiven Fundament stehen.
Beide haben eine sehr klare Idee wie das Utopia auszusehen hat und verstehen ihre Ideologie als Endpunkt der Geschichte, es unterscheiden sich nur die Visionen, nicht aber die Grundannahme.
Jede dieser 4 Grundannahmen hat eine gewisse spezifische Attraktivität und ist daher für unterschiedliche Menschen unterschiedlich attraktiv und genau diese Attraktivität bestimmt letzten Endes welche Ideen wir interessant finden.
Ein Technokrat oder Darwinist etwa kann üblicherweise weder mit Kommunismus noch mit Faschismus etwas anfangen, weil er die Grundannahme „alles wird von selber besser und die Bösen die dem im Weg stehen müssen weg“ als naiv ansieht. Ebenso sieht es der Religiöse der weiß, dass die Pläne der Menschen ohnehin ständig von Gott überschreiben werden.
Und das sei die Krux an der Sache: aktuell wird in der politischen Debatte suggeriert, dass wir uns in einem Konflikt zwischen Faschismus und Kommunismus befinden, tatsächlich ist das aber nur einer der Konflikte innerhalb der progressiven Community, genauso wie der Konflikt zwischen Christen und Islam nur einer der religiösen Konflikte ist.
Für einen Progressiven ist es schwer zu verstehen, dass jemand nicht seine Grundannahme teilt aber genau das ist eben der Fall.
Für einen Darwinisten sind sowohl Kommunismus wie Faschismus Dinge die die Natur probiert und als unbrauchbar abgehakt hat. Entsprechend kann er beides ablehnen, ohne ein Faschist zu sein, wenn er den Kommunismus kritisiert und anders herum.
Ich denke wir bewegen uns aus dem progressiven Weltbild langsam heraus. Die Frage ist welches Axiom den progressiven Ansatz ersetzt und ich befürchte Lynch hat recht, wenn er sagt es wird wohl die Religion sein wird, vorwiegend weil das geschichtlich eben immer wieder so passiert ist.
Die Historiker der Zukunft werden sich fragen, warum wir die offensichtliche Entwicklung nicht gesehen haben aber wenn man mitten drin steckt, sieht man den Wald vor lauter Bäumen eben nicht. Eines ist aber recht unbestreitbar: die Progressiven verlieren Boden, langsam aber stetig.
Und im Hinblick auf das Leid das Progressivismus immer bringt ist das nicht notwendigerweise eine schlechte Entwicklung.