Rationalisten, also Menschen, die ihre Handlungen von rationalen Denkprozessen ableiten, stellen heute ein gewisses Ideal dar, haben aber ein gigantisches Problem.

Um das Problem zu verstehen, müssen wir uns daran erinnern, dass die rationale Überlegung nicht der einzige Grund ist zu tun, was wir eben tun.

Man könnte etwa tun was einem gesagt wird und sich dann auf die Autorität berufen, man kann tun was schon immer getan wird und sich auf die Tradition berufen, man kann tun was die Mehrheit will und sich auf die Demokratie berufen, man kann auf Experten, Gelehrte, Priester hören oder man folgt Ideologien, heiligen Büchern und so weiter und so fort.

Auf rationale Überlegungen zu hören ist nicht die einzige Möglichkeit, sie gilt aber hier und jetzt als die Beste zwischen den verfügbaren Optionen. Nicht ganz zu Unrecht.

Das Problem am Anhänger des Rationalismus ist aber nun, dass er typischerweise der Überzeugung ist, dass er denkt, was er denkt, und tut, was er tut, weil seine Weltsicht auf rationalen Füßen steht und jeder der die Welt anders sieht seine Augen „Vor der Wahrheit“ verschlossen hat. Ergo ist jeder der einem widerspricht schlicht uninformiert/ungebildet/dumm.

Hört man sich in rezenten Debatten beide Seiten an, argumentieren üblicherweise sowohl Linke wie Rechte damit, dass die anderen sich von falschen Argumenten von der Wahrheit abbringen haben lassen und die Lösung eben ist, dass man unbeirrt auf die Wahrheit pocht.

Das Problem an der Sache ist, dass das schlichtweg falsch ist: Es gibt keine endgültige Wahrheit. Es gibt Dinge, die fast universal richtig sind, aber nie ganz. „Stehlen ist schlecht“ ist so eine fast universale Wahrheit, für die aber jeder irgendwelche Ausnahmen zählen lässt, die beliebteste Ausnahme ist die Steuer.

Menschen akzeptieren, dass Steuern ein unfreiwilliger Transfer ist und damit die gleiche Definition erfüllen wie der Diebstahl, aber es wird als ein „notwendiges Übel“ nicht nur akzeptiert, sondern als etwas Gutes verstanden. Aus dem fast universalen Übel wird also, in Grenzsituationen, etwas Gutes.

Die restliche Welt ist noch schlimmer.

Nehmen wir ein hypothetisches Gedankenexperiment: wir stellen uns vor, dass in einer Stadt das Leid aller auf eine Person, die zufällig ausgewählt wird, fokussiert wird, durch irgendeine magische Maschine. Eine Person leidet ihr Leben lang fürchterlich aber 10 Millionen leben ohne Leid.

Wäre das moralisch?

Rational betrachtet kann man beides argumentieren und genau hier ist der Hund begraben: Der Schlüssel ist nicht die rationale Herangehensweise, sondern die Grundannahme. Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass „das Wohl vieler wichtiger ist als das Wohl weniger“ ist unser Gedankenexperiment moralisch gut, sieht man die Welt individualistisch ist es moralisch verwerflich.

Beides kann rational argumentiert werden und zwei Menschen, die beide rational aber von unterschiedlichen Standpunkten wegarbeiten, werden hier keinen grünen Zweig finden und beide werden darauf pochen das der andere „unvernünftig“ und „nicht rational“ ist weil sie nicht zur gleichen Schlussfolgerung kommen.

Und das ist die Achillessehne des Rationalismus: Die Annahme, dass alle rationalen Akteure zur gleichen Schlussfolgerung kommen würden, weil sie, fälschlicherweise, annehmen dass auch die Basis der Überlegung, der Ort, von dem wir wegarbeiten, ein Resultat rationaler Überlegungen sein kann und sein muss.

Die Wahrheit ist aber, dass diese Basis ihre Wurzeln nie im Rationalismus haben kann, sondern diese Grundsätze tief emotional sind und dabei erstaunlich unveränderlich sind. Die perfekt rationale Maschine, die künstliche Intelligenz, ist je nachdem welche Grundsätze wir ihr vorgeben, mal das eine und mal das Andere, obwohl sie immer gleich rational ist. Wenn man ihr vorgibt, dass es Gott gibt, dann kommt sie zu dem rationalen Schluss, dass wir Leiden, weil Leid etwas ist das Gott in unser Leben bringt und deswegen ist Leid gut. Auch das wäre rational.

Rationalismus ist nie der erste Schritt.

Der erste Schritt ist eine Grundannahme oder aber eine Vision für die Welt und beides kann nicht verhandelt werden, nicht argumentiert werden.

Menschen mit unterschiedlichen Visionen für die Welt werden immer „für ihre Vision kämpfen“, mit den Waffen, die sie am besten beherrschen. Das können Schwerter, Gewehre oder Worte sein. Der Rationalismus ist in dem Sinne nur eine Waffe, die benutzt wird, um die eigene Vision durchzusetzen. Der Rationalismus ist aber eben nicht, wie wir Rationalisten es gern hätten, ein Werkzeug mit dem wir den anderen „Die Augen öffnen können“, denn die Augen der anderen sind nicht verschlossen. Die Anderen sind nicht blind. Die Anderen haben eine andere Vision für die Welt und sie werden davon nicht abrücken, weil dieser Teil nicht rational ist.

Der Rationalismus ist damit kein Werkzeug für den Frieden, er ist leider eine Waffe im ewigen Kampf der Visionen: kein Teil der Lösung sondern ein Teil des Konflikts.

Die Lösung hingegen wäre zu akzeptieren, dass unterschiedliche Visionen friedlich nebeneinander existieren können, wenn sie sich nicht berühren. Daher brauchen wir Grenzen zischen den Anhängern unterschiedlicher Visionen, wenn wir Frieden wollen.

Das wäre die rationalste Lösung, egal welcher Vision man folgt.

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Matt Elger

Matt Elger bewertete diesen Eintrag 10.02.2025 19:48:57

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