Jede Zeit hat ihre Ideale. Ab dem 17. Jahrhundert idealisierte der Adel etwa das einfache Leben am Land. Ein bekanntes Beispiel hierzu ist der Tirolerhof in Schönbrunn. Hier bauten sich die Habsburger ein Stück „einfaches Leben“ nach.
Nach den mühsamen Staatsgeschäften saß man dann auf einer Holzbank und streichelte die Ziege, also ganz wie der einfache, unbekümmerte Mann vom Lande der gar nicht wusste wie mühsam es war den ganzen Tag Dokumente zu unterschreiben.
Um die Illusion komplett zu gestalten wurde tatsächlich Landwirtschaft betrieben und man konnte, wenn man wollte, auch mit dem einfachen Mann der im Kuhstall schuftete plaudern.
Diese Mode zog sich durch die ganze Aristokratie Kontinentaleuropas. Der Adel begann wieder die Laier zu spielen, ein Instrument das Jahrhunderte zuvor als ein Instrument des Hochadels begann und dann langsam über den Spielmann beim Bettler landete.
Erst als das Instrument fast vollständig aus den Augen des Adels verschwunden war, also in den Städten ausstarb und nur noch auf dem Land gespielt wurde, konnte es wieder Idealisiert werden und in dieser Idealisierung fand das Instrument wieder seinen Weg in die Kammern der Adeligen. Nur das Exotische kann ins Extrem idealisiert werden.
Das einfache Landvolk wurde als sorglos und zufrieden verstanden. Unglücklicherweise flüchtete dieses glückliche und zufriedene Landvolk in Scharen in die Stadt während der industriellen Revolution. Plötzlich nur noch einen Steinwurf von der Armut entfernt war der Adel schockiert über die fürchterlichen Zustände in denen die Arbeiter lebten. Sozialistische Ideen blühten auf und ein gewisses Unverständnis machte sich breit: warum ging jemand der zuvor ein zufriedener, glücklicher Bauer war, der nach der Arbeit am duftenden Feld seinen Humpen mit seinen Freunden trank, Karten spielte und dabei die Ziege streichelte in die Stadt und tauschte sein traumhaftes, sorglosen Leben gegen diese fürchterliche Arbeit?
Nur wenige akzeptierten dass das idealisierte Bild des Bauern eben nur genau das war: ein völlig verzerrtes Abbild der Realität. Das Leben als Arbeiter der sich sein Bett mit drei anderen Teilte und Tag ein Tag aus in der Fabrik schuftete war besser als das als Knecht am Lande. Die langsame Akzeptanz dieser Wahrheit zerschlug das Ideal des ländlichen Ideals.
Aber wie hätte es anders sein sollen?
Der Adel lebte in den Zentren der Macht und wenn er aufs Land fuhr dann sah er nur was er sehen wollte oder das was die lokalen Machthaber ihn sehen ließen. Er konnte nicht wissen wie das Leben dort wirklich war, wie die Menschen waren. Alles das er kannte waren Spezialisten die sich als Einheimische ausgaben aber in Wirklichkeit einfach nur ein Gefühl vermittelten für das der Adelige zahlte.
Was hat sich geändert?
Nicht viel.
Was einst die Städte waren sind jetzt Nationen. Wer Reich ist kann es sich leisten in die exotische Welt zu reisen aber was er sieht ist wieder eine Verzerrung die mit der Realität nichts zu tun hat. Wieder versucht sich die Elite diese Exotik zu importieren, das leckere Essen das man aus dem Urlaub kennt gleich vor der Türe ist nichts anderes als der Tirolerhof der Habsburger: eine Nachbildung einer Illusion, basierend auf einem gut vermarkteten Ideal das der Idee entspringt dass es „ein einfacheres Leben da draußen geben muss“.
Man fährt an die exotischen Orte, lebt zwei Wochen ein Leben der Sorglosigkeit und ist dann wieder frustriert von der grauen Tristheit des eigenen Altags.
Es ist daher völlig nachvollziehbar warum mit steigendem Wohlstand die Zustimmung für Migration höher ist. Es ist weniger die fehlende Angst vor Konkurrenz als viel mehr eine tief sitzende Sehnsucht nach der Exotik und dem Wunsch das Leben zu entschleunigungen. Wie ist das anders zu realisieren als durch den Import einer Kultur die man als so gemütlich, freundlich und sorglos im Urlaub erlebt hat?
Das Problem des Europäers ist dass er sich für weltmännisch hält weil er berufsbedingt in Europa verkehrt und im Urlaub die Hälfte aller Länder der Welt bereist hat. Tatsächlich entspricht das dem Adligen der ganz Wien kennt und im Urlaub die Bauern der Toskana oder Tirols beobachtet hat. In beiden Fällen entsteht Sehnsucht.
Die Realität bricht nun über uns herein. Solange wir uns nur wenige Schausteller und Köche ins Land geholt haben konnte die Illusion aufrecht erhalten werden, jetzt aber stehen wir vor dem gleichen Schock den die Adeligen erlebten als die Bauern in erheblicher Zahl in die Städte strömten.
Der Bauer am Tirolerhof der mit dem Kaiser plauderte war, erstaunlicherweise, so anders als die Bauern die jetzt in die Stadt wanderten.
Es ist verständlich dass die Reaktion heute wieder eine ähnliche wie damals ist: Verwunderung, Ungläubigkeit und Verwirrung darüber wie es ist und wie man es sich erträumt hat.
Idealisierung ist immer eine knifflige Angelegenheit, vor allem wenn man nicht erkennt dass man ein Ideal für die Wahrheit gehalten hat.
Diese Erkenntnis dämmert aber nun scheinbar.
Noch nicht allen, aber mehreren als noch 2015.
Die Folge ist vermutlich tatsächlich ein neues Biedermeier und die Idealisierung des simplen Bürgers der einfach nicht so genau hinsieht und sich nicht dazu äußert was und vor allem warum gerade das soziale Klima ist wie es ist.
Pieter Bruegel der Ältere https://de.wikipedia.org/