Wer kennt es nicht? Man trifft einen neuen Menschen und verbringt dann die nächsten Tage schwärmend und erzählt allen wie wunderbar diese Person ist und wie vieles man doch gemeinsam hätte. Knappe zehn vier Jahre später klingt alles dann völlig anders. Was ist passiert? Haben sich die beteiligten Personen geändert? Häufiger als nicht hat sich in den Sichtweisen kaum etwas geändert, das Unbekannte wich aber dem nun Vertrauten, mit erstaunlichen Konsequenzen.
Zu Beginn geht man etwa davon aus dass der andere Musik mag, weil ja jeder Musik mag. Dann plaudert man etwas über das Leben und siehe da, irgendwann sagt der eine „ich liebe Musik“ und der andere erwidert mit glitzernden Augen „Wirklich? Wunderbar, ich liebe auch Musik!“
In der nächsten Stufe kommen die beiden dann dahinter dass sie besonders auf die Klänge der Gitarre stehen und das Gefühl von Verbundenheit wird größer, bis sich herausstellt dass der eine von Jimi Hendrix spricht und der andere von Andreas Gabalier gesprochen hat.
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Ab hier geht es steil bergab.
Egal wie sehr man sich in seiner Sache ähnelt, gräbt man nur tief genug landet man bei unüberbrückbaren Gegensätzen, die nur eben nicht oberflächlich sichtbar waren.
Der Zauber des Unbekannten ist eine mächtige Sache. Verringert man die Möglichkeit sich „wirklich“ kennenzulernen (also tiefer zu graben) übersetzt sich das üblicherweise in deutlich mehr Romantik (oder aber Antipathie).
Es verwundert nicht wie viele Beziehungen nach dem ersten gemeinsamen Urlaub in die Brüche gehen. Das menschliche Gehirn füllt Lücken. Was wir nicht kennen wird mit Annahmen gefüllt und diese Annahmen sind ein Resultat einer gewissen Grundeinstellung. Die Löcher der Dinge die wir als „nett“ empfinden werden also mit wunderbaren Annahmen gestopft und Dinge die wir ablehnen werden mit negativen Elementen gefüllt.
Wir nehmen also an, dass Menschen die uns auf den ersten Moment sympathisch erscheinen die Dinge mögen die wir mögen. Andersherum müssen die Unsympathischen Dinge ablehnen die wir mögen. Wie könnte es anders sein?
Es gibt Mittel und Wege diesen Zauber aufrecht zu halten, im Wesentlichen handelt es sich hierbei um gute altmodische Ignoranz. Paare in Fernbeziehungen sind in diesem Bereich gesegnet denn die wenige Zeit die man gemeinsam hat reicht einfach nicht um zu lernen was der andere mit seinen schmutzigen Socken tut.
Was für Beziehungen gilt, gilt auch für Bücher. Im Fahrwasser von „Twilight“, einer Jugendbuchserie über romantische Vampire, fand auch Bram Stokers Dracula wieder eine neue Leserschaft, die dann nach der Lektüre, zum Teil, bitter enttäuscht war. Entsprechende Rezessionen machten damals die Runde in bibliophilen Kreisen. Die Personen die erst via Twilight in den Vampirmythos eintauchten hatten eine gewisse Erwartungshaltung im Bezug auf Bram Stokers Arbeit, sie erwarteten eine gediegene, würdigere, klassischer Version von Twilight. Noch ehe sie „Drakula“ gelesen hatten „wussten“ sie bereits was in dem Buch stehen wird müssen, weil ihr Gehirn das Unbekannte mit ihren Erwartungen füllte. Die Realität war dann für diese Leute schockierend denn die beiden Bücher haben nichts miteinander gemeinsam, selbst die Idee was ein Vampir ist geht massiv auseinander.
Für die dann so bitter Enttäuschten war das Öffnen des Buches keine Sache die ihre Welt bereicherte sondern viel mehr etwas das ihnen etwas nahm. Davor war das altehrwürdige Buch eine Zier im Bücherregal doch einstmals gelesen ist der Zauber für sie dahin und es ist einfach nur ein altes Buch das ihnen nicht gefallen hat. Vermutlich weil Drakula darin nicht glitzert.
Diesen Zusammenhang verstehen auch Religionen. Jeder Priester weiß dass ein schweres altes Buch deutlich mehr Menschen beeindruckt als der Inhalt darin. Der Gläubige soll das Ding nicht lesen, sondern lauschen wenn der Priester ausgewählte Stellen vorliest. Das Kleingedruckte sollen sie nur befolgen ohne darüber nachzudenken.
Was für die Religion gilt, gilt auch für Ideologie; je weniger die Anhänger wissen, desto besser für die Ideologie und ihre Wächter. Ignoranz wird zu einer Tugend erhoben: man muss nicht alles verstehen, man soll Vertrauen dazu haben dass man der „wahren Sache“ folgt und die Führung alles hält was sie so verspricht.
Es gilt auch die Gegenseite nicht zu verstehen, es reicht zu verstehen dass die Gegenseite nur lügt und in Wirklichkeit Übles will.
Das Gehirn des entsprechend agierenden Menschen tut dann den Rest: die Lücken des eigenen Wissens werden bei den „guten Dingen“ mit wohlriechenden Blumen gefüllt und die Lücken der „schlechten Dinge“ mit weniger gut riechenden Mitteln. Das Resultat ist ein Fanatiker der bereit ist alles für „das Gute“ zu opfern und „dem Bösen“ gerechte Verachtung entgegenspuckt.
Der Schlüssel zum Fanatismus liegt also in relativ bequemer Oberflächlichkeit.
Man begnügt sich mit Slogans und lehnt jeden Gedanken der mit den eher praktischen Elementen der Idee zusammenhängt einfach ab. So postuliert der Veganer etwa dass für sein Essen kein Lebewesen sterben muss und ignoriert dabei zum einen dass der Weizen am Feld auch ein Lebewesen ist das für ihn stirbt und zum anderen dass der Feldhamster der vom Traktor überfahren wird auch auf seine Bilanz geht.
Die moralische Überlegenheit geht rasch flöten wenn auf der einen Seite eine tote Kuh steht und auf der anderen hunderte Pflanzen, Tausende Insekten und einen Hand voll Mäuse, Hamster und das eine oder andere Reh, denn wie wiegt man das eine gegen das andere?
Obgleich das Dilemma völlig offensichtlich ist, wird der fanatische Veganer dieses Argument einfach wegwischen und weiterhin so tun als ob Pflanzen nicht Leben und am Feld keine Tiere in Erntemaschinen in handliche Stücke geschnitten werden. Das tut er nicht weil er es nicht verstehen kann oder weil die Informationen nicht verfügbar sind sondern weil Ignoranz die einzige Möglichkeit ist, an der eigenen moralische Überlegenheit festzuhalten.
Man darf nicht verstehen was man selber tut und darf nicht verstehen was die Alternative wäre. Versteht man beides stürzt man vom hohen Ross und alles was bleibt ist das geringe Übel zu wählen. Um das zu tun muss man aber einen Fokus legen und sich fragen was man überhaupt will.
Viel einfacher ist es daran zu glauben dass eine Person, ein Glaube oder eine Ideologie in jeder erdenklichen Sache überlegen wäre, wenn es den „richtigen Weg“ gibt und alles andere „falsch“ ist. Wenn aber alles mit Vor und Nachteilen kommt und akzeptiert wird dass die Einschätzung was gut und was schlecht ist massiv von Standpunkten und Zielsetzungen abhängt, wird es mehr oder weniger unmöglich immer auf der „guten Seite“ zu stehen.
Die einzige Möglichkeit sich immer auf der Seite des Guten zu wähnen ist also nicht zu verstehen wo man wirklich steht und wo die anderen stehen. Man schließt einfach die Augen und lässt das Gehirn tun was es so gut kann: fehlende Informationen mit Annahmen zu füllen.
Das Resultat ist ein zufriedenes Leben und die Überzeugung das Richtige zu machen.
Thomas Gray hatte am Ende des Tages Recht: Ignoranz ist ein Segen, aber dieser Segen kommt mit einem fürchterlichen Preis.
Rodrigo Miranda https://www.pinterest.cl/pin/406309197607203967/